Konflikte gehören zum Alltag. Jeder muss lernen, Meinungsverschiedenheiten auszuhalten. Und nicht jede Hänselei ist Mobbing. Wenn sich aber Kinder oder Jugendliche über längere Zeit ausgeschlossen, beleidigt oder ungerecht behandelt fühlen, besteht Handlungsbedarf.
Eltern bekommen Probleme oft erst spät mit
Gradmesser ist der individuell empfundene Leidensdruck und der ist meist nur durch sehr genaues Hinschauen zu erkennen. Eltern bekommen die Probleme oft erst spät mit, denn viele Kinder reden aus Scham oder diffusen Schuldgefühlen nicht über die Demütigungen.
Mitschüler provozierten Jungen, bis er ausrastete
Näher dran an solchen Kindern sind Mitschüler wie Annalena und Emil. Sie gehen in die 6. Klasse des Gymnasiums in Überlingen und erzählen von einem Fall, bei dem ein leicht reizbarer Junge von Klassenkameraden provoziert wurde, weil er dann immer so schön ausrastete. Das fanden nicht alle Kinder lustig und sprachen den Klassenlehrer an.
Gespräch mit allen Beteiligten
Es folgte ein Gespräch mit allen Beteiligten. Mittlerweile sind die Ausraster des Jungen selten geworden und jeder hat etwas dazugelernt.
Lehrerin: Problem auf allen Ebenen transparent machen
Lehrerin Simone Seelhorst erklärt: "Bei Konflikten sollte man immer das Gespräch suchen und alle einbeziehen." Sie hat sich in personenzentrierter Beratung fortgebildet und ist eine von mehreren Ansprechpartnern, die sich Schülerproblemen annehmen. Sie ergänzt: "Das Problem auf allen Ebenen transparent zu machen, ist unvermeidlich, wenn sich etwas ändern soll."
Klassenlehrerstunde für 5. und 6. Klassen
In den Klassenlehrerstunden bekommen die Fünft- und Sechstklässler das Rüstzeug für ein faires Miteinander und eine Stärkung des Selbstvertrauens. Das sei die beste Voraussetzung, damit es nicht zu einem Mobbingvorfall komme, denn meistens hätten sowohl Täter als auch Opfer ein mangelndes Selbstwertgefühl.
Annalena: "Offen sagen, was einem nicht passt"
Wie gut dieses Rüstzeug funktioniert, belegen Annalena und Emil. Das Mädchen hält zum Beispiel nichts vom Lästern: "Man sollte lieber mit demjenigen sprechen und offen sagen, was einem nicht passt."
Emil: "Haben gelernt, wie man jemanden nicht verletzt"
Auf den Einwand, dass das nicht gerade einfach ist, fügt Emil hinzu: "Wir haben im Unterricht gelernt, wie man das machen kann, ohne jemanden zu verletzen." Mit diesem Satz macht er seiner Lehrerin eine große Freude. "Das ist meine heiß geliebte Feedback-Kultur!", sagt sie. "Schweigen aus Angst ist fatal. Man muss den Mut haben, ernst zu nehmen und offenzulegen, was man erlebt hat."
Bei älteren Jugendlichen Mobbing schwerer zu erkennen
In den höheren Jahrgängen ist die Betreuung nicht mehr so intensiv, die Klassenlehrerstunden werden weniger und die Schüler kommen in die Pubertät. Das macht es für Lehrer und Eltern bisweilen schwer zu erkennen, ob jemand keine Lust oder ein Problem hat. Gudrun Sauter ist Mutter von sechs Kindern und kennt die Bandbreite pubertärer Kommunikation.
Mutter: "Das Wichtigste ist, Kinder ernst zu nehmen"
"Manche Kinder kommen aus der Schule und müssen erst einmal alles loswerden, andere beschränken sich auf Antworten wie 'ja', 'nein' und 'vielleicht'." Auch sie kennt das Problem, dass es dem eigenen Kind nicht gut geht. Sie hatte nicht das Glück, an eine geschulte Ansprechpartnerin zu gelangen. Das Problem zog sich wie ein roter Faden durch die frühe Schullaufbahn des Kindes. "Das Wichtigste ist, dass die Kinder ernst genommen werden. Das Handeln ist dann der nächste Schritt."
Therapeutin: Manchmal reichen zwei Therapiestunden
Dieser Schritt kann in der Schule oder mit Fachleuten gegangen werden. Manuela Dirolf arbeitet in Überlingen als Traumatherapeutin für Kinder und Jugendliche. Sie kann von einem Fall berichten, bei dem sich ein Teenager lange mit der Problematik herumgeschlagen hat, bis er zu ihr kam. "Wir haben nur zwei Therapiestunden gebraucht, dann war die Sache vom Tisch."
"Nicht einer hat ein Problem, sondern die Gruppe"
Auch für Simone Seelhorst ist Offenlegen und Transparenz der einzige Weg, Mobbing-Opfern zu helfen. Sie betont, dass es dabei nicht um den Einzelfall geht. "Nicht einer hat ein Problem, sondern die Gruppe!" Wenn die Schwäche eines Mitschülers ausgenutzt werde und Mitläufer das Ganze unterstützten, habe die gesamte Gruppe ein Problem, das sich nur gemeinsam lösen lasse.
Im Zweifel sollten Eltern zeitnah fachliche Hilfe holen
Manuela Dirolf, Traumatherapeutin für Kinder und Jugendliche, erklärt, worauf Eltern achten sollten.
Was weist auf ein Mobbing-Problem hin?
Anzeichen sind Konzentrationsschwund, rapider Leistungsabfall oder die Weigerung, in die Schule zu gehen. Dazu können psychosomatische Störungen wie dauernde Kopf- oder Bauchschmerzen, eine depressive Stimmung oder ein allgemeiner Rückzug kommen.
Gibt es weitere Anhaltspunkte?
Wenn Kinder oder Jugendliche Ausreden für Verletzungen oder das Verschwinden von Sachen erfinden, sollte man hellhörig werden. Das ist anfangs schwer zu erkennen, aber wenn sich das wiederholt, besteht Handlungsbedarf.
Was können Eltern tun?
Sie sollten das Kind darauf ansprechen. Wenn es aus Scham mauert, sollten sie ihm Zeit geben, nachzudenken und dann darüber zu reden.
Und wenn das nicht funktioniert?
Man kann Vertrauenspersonen des Kindes ansprechen, wie Freunde oder Lehrer, ob sie Ähnliches beobachtet haben. Wenn sich das Problem nicht mit Gesprächen lösen lässt, sollten die Eltern sich zeitnah fachliche Hilfe holen.
Und wenn das eigene Kind mobbt?
Die Ursache ist oft mangelndes Selbstwertgefühl. Die Täter leiden unter zu wenig Aufmerksamkeit oder wenig Zuwendung. Hier kann man nur versuchen, sie zu stärken, damit sie das nicht mehr nötig haben.