Im Februar 2017 starteten Sie als neuer Überlinger Oberbürgermeister, 2018 war Ihr erstes komplettes Jahr hier in der Stadt. Wie fällt Ihre Bilanz aus?
Intensiv. Wenn man einmal die Vielzahl der Projekte betrachtet, die wir in den vergangenen zwei Jahren angegangen sind und in die Umsetzung brachten, ist das schon enorm. In diesem Jahr haben wir die Frequenz der Gemeinderatssitzungen noch erhöht, das spiegelt wider, wie sich das Jahr darstellt. Zusammenfassend: Es war ein intensives, aber auch ein wichtiges Jahr für unsere Stadt.
Was waren die wichtigsten Dinge?
Die Vielzahl an Spatenstichen zeigt es. Mehrfeldsporthalle, 167 Wohnungen der BGÜ, Parkhaus Therme. Dass wir diese drei Großprojekte in die Umsetzungsphase gebracht haben ist – ich möchte nicht von einem Wunder sprechen – für mich ein sehr gutes Jahresergebnis. Endlich wissen wir, wir sind im Bau! Und auf alle diese Projekte warten die Menschen. Die Schüler, die endlich wieder in einer vernünftigen Sporthalle sich bewegen möchten; die Menschen, die bezahlbaren Wohnraum suchen; aber auch die Besucher der Therme, die selbstverständlich Anspruch darauf haben dürfen, ihr Fahrzeug nahe der Therme abstellen zu können.
Die Menschen warten aber nicht nur auf die Landesgartenschau und die beschriebenen Projekte, sondern auch darauf, dass in der Verkehrsdebatte etwas voran geht. Seit Jahrzehnten wird darüber diskutiert, aber in der Hafenstraße passiert immer noch nichts, obwohl eigentlich die Sperrung schon beschlossen war, das Verkehrsleitsystem fehlt auch noch. Wie erklären Sie das?
Die letzten Jahrzehnte nehme ich nicht auf meine Kappe, aber die letzen zwei Jahre. Wir haben eine lebhafte Diskussion zum Verkehr, auch jetzt noch, nach der Beschlussfassung zur Hafenstraße. Es entspricht meiner Maßgabe, dass wir zuerst die Hafenstraße umsetzen, sprich: abschließen, und dann, im nächsten Schritt, das wird 2019 der Fall sein, über die temporäre Innenstadtsperrung sprechen. Wir haben sicher noch nicht die Lösung, auf die der eine oder andere wartet, aber wir haben das Tempo in den möglichen Veränderungen so zu dosieren, wie es der Gemeinderat vorgibt. Was das Verkehrsleitsystem betrifft, ärgere ich mich auch. Wir hatten im Gemeinderat die Aussage getroffen, dass es bis Ende dieses Jahres steht. Doch sind wir hier von externen Verkehrsplanern abhängig, die die Standorte des Leitsystems noch nicht endgültig mit dem Regierungspräsidium abgestimmt haben. Ich lege großen Wert darauf, dass wir es bis Ostern haben, weil wir es dringend brauchen.
Noch ein Projekt, das wir im Jahresendinterview vor einem Jahr schon angesprochen haben: Das Kramer-Areal. Es wurde 2018 viel darüber diskutiert, aber es ist wenig passiert.
Ich wehre mich gegen den Begriff „wenig passiert“. Es handelt sich um den Privateigentum eines Konzerns, der bis 2019 das Gelände noch nutzt und der für sich in Anspruch nimmt, sich seine eigenen Gedanken über das Areal machen zu können. Der Eigentümer hat sehr wohl erkannt, dass die Stadt Überlingen die Planungshoheit hat, dass wir auch Ideen entwickeln, wie das Gelände einer Nutzung zugeführt werden kann. Ich habe aber den Eindruck, dass in der Öffentlichkeit suggeriert wird, wir seien die Einzigen, die darüber bestimmen, was mit dem Areal passiert. Dass nicht viel passiert sei, möchte ich relativieren: Und zwar dahingehend, dass es uns gelungen ist, mit den Konzernverantwortlichen in konstruktive Gespräche zu kommen. Wenn wir mit dem Konzern über diese Fragestellung sprechen, sind wir uns sehr wohl über den Wert des Areals bewusst.
Darf man 2019 hier Fortschritte erwarten?
Na ja, wir bleiben mit dem Eigentümer im Gespräch und versuchen, Lösungen für die Stadt hinzubekommen. Wenn der Konzern sagt, wir wissen noch nicht, was passiert, dann können wir keine Entwicklung des Grundstücks erzwingen. Wir können uns über die baulichen Rahmenbedingungen und über die Ausübung der kommunalen Planungshoheit Gedanken machen. Doch der Eigentümer bestimmt das Tempo mit.
Gibt es Pläne, der Stadt, das Gelände zu kaufen?
Es wäre ja falsch, wenn wir sagen würden, dass wir das Areal nicht interessant finden. Das ist ein offenes Geheimnis. Mein Ziel ist es, eine sinnvolle Entwicklung hinzubekommen. Das können wir über das kommunale Planungsrecht steuern, oder indem wir Eigentum erlangen. Wichtig ist nur, dass wir über das Planungsrecht hinaus Optionen erarbeiten.
Ein weiteres Projekt, über das wir vor einem Jahr auch schon gesprochen haben: Schloss Rauenstein. Außer, dass die Mietverträge mit den jetzigen Mietern gekündigt wurden, ist nichts über die Nutzung des Schlosses bekannt. Wie ist der aktuelle Sachstand?
Unser Ziel ist es, dass wir über das Areal völlig frei verfügen können. Wir haben den Auftrag, uns Gedanken über die Entwicklung des Gebäudes zu machen, es gab schon zahlreiche Gespräche. Momentan sind wir im Bereich der Ideenfindung.

In welchem Zeitraum bewegen Sie sich für eine neue Nutzung von Schloss Rauenstein?
Wir sprechen über einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren.
Welche Ideen für eine Nutzung von Rauenstein gibt es?
Es gilt, einige Ideen zu untersuchen, von Ideen aus der Industrie bis zu Dienstleistungsnutzungen, aber auch Pflege oder der Bereich Gesundheit. Es gibt aber auch die Überlegung, dort anspruchsvolle Softwareentwicklungen anzubieten.
Im Mai stehen die Kommunalwahlen an. Welche Projekte wollen Sie vorher noch abschließen im Hinblick darauf, dass manches nach den Wahlen schwieriger werden könnte?
Ein kommunaler Gremienbetrieb darf durch eine Wahl nicht ins Stocken geraten. Wir haben viele wichtige Beschlüsse bereits gefasst. Was mir noch wichtig ist: Dass wir beim Pflegezentrum rasch die nächsten Schritte gehen können. Ansonsten setzen wir unsere Planung, unabhängig von den Kommunalwahlen, fort. Es gibt aber kein Projekt, außer dem Pflegezentrum, das wir unbedingt noch vor Mai in die Umsetzungsphase bringen müssten. Wir sind derzeit bei vielen Projekten in der Abarbeitungsphase.
Haben Sie nicht die Befürchtung, dass im Wahlkampf das eine oder andere Projekt zerpflückt werden könnte?
Nein, dafür sind die getroffenen Beschlüsse zu eindeutig. Da mache ich mir bei diesem Gemeinderat keine Sorgen, dass er aufgrund des Kommunalwahlkampfs von seinem eingeschlagenen Weg abweicht.

Was die Zusammensetzung des neuen Gemeinderats betrifft: Gehen Sie davon aus, dass neue Gruppierungen andere Stoßrichtungen vorgeben?
Grundsätzlich akzeptiere ich als Oberbürgermeister den Wählerauftrag. Wenn neue Gruppierungen in den Rat kommen, sind sie herzlich dazu eingeladen, konstruktiv mitzuarbeiten. Befürchtungen habe ich keine. Im Gegenteil, wir freuen uns über neue Impulse.
Die Zeit um den Jahreswechsel herum ist immer auch die Zeit, in der man etwas zur Ruhe kommt und sich Gedanken grundsätzlicher Art machen kann. Sind bei etwas freieren Gedanken neue Impulse von Ihnen zu erwarten?
Eine schöne Frage. Gegenstand meiner strategischen Überlegungen ist es derzeit, unseren Spital- und Spendenfonds weiter zu entwickeln, so dass wir außerhalb des privaten Wohnungsmarktes über unsere Stiftung Wohnangebote machen können. Der Fonds führte in den letzten Jahren ein Schattendasein. Es wurde zu wenig Wert darauf gelegt, ihn zu entwickeln. Wir haben einen ansehnlichen Wohnungsbestand. Für mich stellt sich die Frage, ob wir unseren Spital- und Spendenfonds so aufstellen können, dass mehr Menschen ein angemessenes Wohnungsangebot finden. Eine Überlegung wäre es, einen Eigenbetrieb zu gründen, in dem das Thema Wohnen verortet wird. Aktuell renovierungsbedürftiger Wohnraum könnte revitalisiert werden. Unser Bestand an Wohnungen könnte ausgebaut werden. Das sind Fragetsellungen, die ich mir über die Feiertage gedanklich ordnen möchte.
Was heißt das für die Bürger?
Der Spital- und Spendenfonds verfügt über kein eigenes Personal, das sich aktiv um die Möglichkeiten, die sich innerhalb des Stiftungszwecks bewegen, kümmern könnte. Wir haben einen Bestand an Wohnungen, den wir als Stadt zwar mitverwalten, aber kein Personal, das hier aktiv steuert. Da liegt Potenzial brach, das wir heben könnten. Momentan verwalten wir, aber wir gestalten nicht. Für die Bürger ist das sehr wohl wichtig.
Geht es also darum, eine städtische Wohnbau-Gesellschaft zu gründen?
Nein. Warum soll ich eine GmbH in Gründung bringen, wenn ich mit dem Spital- und Spendfonds schon ein Instrument habe, das diese Aufgabe mindestens genauso gut oder besser abbilden kann? Es gibt einen spitälischen Bestand, und wir verfügen über spitälische Flächen, die bebaut werden könnten.
Welchen Gebäudebestand hat der Spendfonds momentan?
Wir haben 31 Einzelgebäude, darunter befinden sich Wohnhäuser, Bürogebäude, Garagen und Schuppen, die Musikschule, Kirchen, Kapellen und so weiter. Rund 10 Gebäude davon sind in unterschiedlicher Größe einer Wohnnutzung zuzuordnen.
Welchen Vorsatz treffen Sie für 2019?
Wenn man die Vielzahl unserer Projekte aktuell sieht, wenn man bestimmte Fragestellungen durchdenkt, dann stelle ich fest, dass wir zügig sein müssen. Wir haben etwas aufzuholen. Das ist der Tatsache geschuldet, dass die großen Fragestellungen, die wir zu bearbeiten haben, sich häufen.
Silvester, Jahreswechsel, ein knapp formulierter Gedanke an das neue Jahr?
Der erste Augenblick gehört meiner Frau. Und dann, mit Blick auf Überlingen, sage ich: Machen wir weiter wie in den letzten beiden Jahren, in der gleichen Intensität!
Zur Person
Jan Zeitler (Jahrgang 1970) wurde am 27. November 2016 mit 50,1 Prozent der Stimmen im zweiten Wahlgang zum neuen Oberbürgermeister von Überlingen gewählt. Er folgte auf Sabine Becker. Zeitler ist Diplom-Verwaltungswissenschaftler und war zuletzt Bürgermeister in Horb. Er ist verheiratet mit Annette Stoll-Zeitler, Fachbereichsleiterin bei der Landesgartenschau GmbH.