Wenn ein Feuerwehrkommandant eine Brandrede hält, dann wird es Zeit, Alarm zu schlagen. Es war Kreisbrandmeister Henning Nöh, der vor der Freiwilligen Feuerwehr Frickingen eine Rede hielt, die aufhorchen lässt. Nöh befürchtet, dass Freiwillige Feuerwehren aufhören könnten zu existieren und durch Berufsfeuerwehren ersetzt werden müssten. Der gesellschaftliche Wandel, mangelnde Anerkennung des ehrenamtlichen Engagements, das seien Gründe dafür, warum sich nicht mehr genügend Freiwillige meldeten. „Dass die Sicherheit auf dem Ehrenamt beruht, ist noch nicht bei allen angekommen", empörte sich Henning Nöh in seiner Frickinger Rede. Grund für seinen Ausbruch war eine von Misserfolg gezeichnete Werbeaktion der Freiwilligen Feuerwehr Frickingen, die 400 Werbebriefe verschickte – und keine einzige Rückmeldung erhielt.

Audioslideshow: „Wir müssen eine Gemeinschaft sein“, sagt Ann-Kathrin Weber. Sie leitet die Meersburger Kinder-Feuerwehr und ist in der aktiven Wehr mit allen Geräten wie Drehleiter und allen Fahrzeugen vertraut. Sie weiß, was Frauen an der Feuerwehrarbeit reizt und wirbt für die Mithilfe.
Auf Nachfrage bei Henning Nöh stellte sich heraus, dass die Hütte noch nicht lichterloh brennt. "Wir sind noch in der Fläche vertreten", sagt er. Doch erkenne er eine gefährliche Tendenz. "Wehret den Anfängen", sagt Henning Nöh. Niemand solle sich der Illusion hingeben, dass die Berufsfeuerwehr ein Ersatz sei. Selbst in Städten wie Berlin gebe es ehrenamtlich tätige Feuerwehrmänner. "Die Berufsfeuerwehr ist dort nur für den ersten Löschangriff zuständig." Der Aufbau einer Berufsfeuerwehr sei weder finanzierbar noch organisatorisch machbar. Vor allem nicht in ländlichen Regionen, nicht beim Feuerlöschen und nicht beim Bergen von Unfallopfern auf der Straße. Erstens fehle es am Geld in den Gemeindekassen, zweitens am ausgebildeten Personal. Eine zwangsrekrutierte Feuerwehr, wie es sie mangels Freiwilligen zum Beispiel im Ferienort List auf der Insel Sylt gibt, hält Nöh für die schlechteste von allen Ideen. "Es war noch nie gut, wenn man den Hund zum Jagen tragen muss."
Was würde eine Berufsfeuerwehr kosten? Lohnkosten von 80 000 Euro angesetzt, käme man in den Gemeinden des Bodenseekreises auf jährlich 91 Millionen Euro an reinen Personalkosten. Diese Rechnung, die der Pressesprecher der Kreisfeuerwehr, Christian Gorber, aufmacht, geht von der Annahme aus, dass sich jede der 23 Gemeinden im Bodenseekreis jeweils nur eine Löschgruppe leistet. Eine Löschgruppe enthält 9 Mann. Um die Einsatzfähigkeit rund um die Uhr sicherzustellen (Arbeitszeiten, Urlaub, Krankheit mitberechnet), setzt Gorber den Faktor 5,5 an. Sprich: 23 Gemeinden Mal 9 Mann Mal Faktor 5,5 Mal 80 000 Euro ergibt 91.080.000 Euro. Die tatsächlichen Kosten dürften Höher sein, denn bei Großbränden genügt eine Löschgruppe nicht. Außerdem dürften die Lohnkosten höher sein. Wie Christopher Haigis von der Branddirektion der Berufsfeuerwehr Stuttgart sagte, müsse von rund 100 000 Euro jährlichen Lohnkosten ausgegangen werden. Haigis betonte, dass auch Stuttgart aufs Ehrenamt setzt, mit insgesamt 23 Abteilungen der Freiwilligen Feuerwehr, die vor allem im Stuttgarter "Speckgürtel" im Einsatz seien. Sie operierten dabei nach dem "SSV-Prinzip: Die Freiwilligen immer, wenn sie schneller, spezieller oder verstärkend eingreifen können".
Wie ist es um die Feuerwehren im Bodenseekreis bestellt, was sagen die Zahlen? Auf den ersten Blick sieht es gut aus, auf den zweiten Blick düsterer. Gorber zieht einen Zehn-Jahres-Vergleich: Von 2006 bis 2016 nahm die Zahl der freiwillig Aktiven in der Feuerwehr sogar leicht zu, um 1,6 Prozent, von 2358 Männern und Frauen auf 2395. Also alles paletti? Nein, denn im gleichen Zeitraum nahm die Zahl der Einwohner um 5,5 Prozent zu, so dass der prozentuale Anteil an Feuerwehrleuten in der Bevölkerung abnahm, und zwar von 1,14 auf 1,11 Prozent. Aber auch das ist doch eine stabile Zahl an Freiwilligen?! Mitnichten, wie Gorber betont. Denn die Zahl der Einsätze sei im genannten Zeitraum insgesamt um 11,37 Prozent auf 3036 Einsätze stark angestiegen. Nicht nur die reine Fallzahl, auch die Schwere der Einsätze nehme stark zu. Während die Zahl der Bagatellfälle abnehme, sei die Zahl der kritischen Einsätze, bei denen es um Menschenleben geht, drastisch angestiegen. Mussten im Jahr 2006 kreisweit noch 77 Menschen von der Freiwilligen Feuerwehr gerettet werden, waren es 2016 laut Gorber 123 Prozent mehr, nämlich 172 Menschen. Ein ähnliches Bild bei den Bränden, deren Zahl um 53 Prozent auf 490 zunahm.

Damit nicht genug. Das Bild von der flächendeckenden Versorgung bekommt einen weiteren Riss, wenn man bedenkt, wie die Wehr sich heute organisieren muss, um schnell zur Stelle zu sein. Schwierig ist vor allem die Verfügbarkeit tagsüber und am Wochenende, wenn die Ehrenamtlichen im Büro unabkömmlich sind, auf Montage arbeiten, eine Dienstreise angetreten haben oder ganz privat verreist sind. Der gesellschaftliche Wandel, betont Henning Nöh, die höhere Mobilität bei der Arbeit und das veränderte Freizeitverhalten verlange der Feuerwehr großes Organisationstalent ab. In einem Satz formuliert: Es muss eine immer größere Gruppe alarmiert werden, um die gleiche Zahl an Rettungskräften in Marsch zu setzen. Beispiel Überlingen: Wie Gorber sagt, musste man vor 25 Jahren nur 30 Leute alarmieren, um einen Löschzug mit rund 20 Mann und vier Fahrzeugen innerhalb von drei bis vier Minuten ins Rollen zu bringen; vor zehn Jahren waren es doppelt so viele Ehrenamtliche, die für den gleichen Einsatz alarmiert werden mussten; und heute gebe es selbst bei der Alarmierung von 60 Mann insbesondere tagsüber und in der Urlaubszeit manchmal Engpässe, um auch das dritte Großfahrzeug des Löschzugs kurzfristig auf die Straße zu bringen.
Wie sieht die Lage im Landkreis Sigmaringen aus? Kreisbrandmeister Michael Hack "Wir können noch keine Überforderung der Freiwilligen Feuerwehr feststellen. Dennoch stellen wir fest, dass manche Wehren langsam an die Belastungsgrenze heran kommen." Als Grund dafür macht er eine steigende Zahl an Einsätzen aus. Die Zahl der aktiven Mitglieder sei in den letzten zehn Jahren nahezu gleich geblieben; im gleichen Zeitraum sei die Zahl der Einsätze aber jährlich von 1200 auf etwa 1600 um rund 33 Prozent gestiegen. Hack: "Sollten die Einsatzzahlen hoch bleiben – und hierfür spricht vieles – und die Mitgliederzahlen nicht stabil gehalten werden können, so kann es bei einzelnen Wehren zu Engpässen kommen."
Paragaph 3 des Feuerwehrgesetzes von Baden-Württemberg schreibt vor: "Jede Gemeinde hat auf ihre Kosten eine den örtlichen Verhältnissen entsprechende leistungsfähige Feuerwehr aufzustellen." Ob sie das mit einer Frewilligenwehr oder einer Berufsfeuerwehr macht, oder ob sie "Freiwillige" zwangsverpflichtet, ist jeder Gemeinde überlassen. Kreisbrandmeister Henning Nöh ist jedenfalls davon überzeugt, dass es wesentlich günstiger ist, jetzt Geld in die Hand zu nehmen, um das Ehrenamt langfristig attraktiv zu gestalten. Die Bürgermeister und Gemeinderäte hätten die oben genannte und in seinen Augen einfache Rechnung noch nicht überall begriffen. Feuerwehrsprecher Christian Gorber: "Die Bürgermeister lassen ihren schönen Sonntagsreden am Montag im Rathaus kein konkretes Verwaltungshandeln folgen."
Wie könnte der ehrenamtliche Feuerwehrdienst gestärkt werden? Denkbar wäre für Gorber beispielsweise, dass ein Mitglied der Feuerwehr bei der Vergabe von Bauplätzen Sonderpunkte erhält, dass bei einer Stellenausschreibung in der Verwaltung gezielt erwähnt wird, dass die Feuerwehrarbeit gerne gesehen wird, oder dass Arbeitgeber mit vielen Feuerwehrmännern in ihren Reihen bei der Gewerbesteuer einen Bonus erhalten. Solche Modelle könnten in seinen Augen helfen, das Ehrenamt zu stärken. Gorber: "Nur schöne Reden auf das Ehrenamt reichen nicht." Wichtig seien außerdem gut ausgestattete Feuerwehrhäuser, mit Umkleidekabinen für Frauen beispielsweise. In Überlingen suche man vergeblich danach, was auch ein Grund dafür sein könne, dass nur wenig Frauen sich in der Truppe engagieren. Kreisweit sind es nur fast sieben Prozent.