Eigentlich hätte in den kommenden Monaten die vierte Waldrapp-Generation am Bodensee fliegen lernen sollen. Die Eier, aus denen die gefiederten Kandidaten schlüpfen werden, sind auch schon gelegt und entwickeln sich im Tierpark Rosegg, wie Bernhard Gönner vom Waldrappteam des österreichischen Wissenschaftlers Johannes Fritz berichtet. Aufgrund des milden Winters habe der Countdown für die nächsten Jungtiere in diesem Jahr etwas früher begonnen als gewohnt. Nun ist aber klar, dass die jungen Vögel nicht wie ihre Vorgänger im Jahr 2019 nach Heiligenberg kommen werden. Grund ist die aktuelle Ausnahmesituation aufgrund der Coronavirus-Pandemie.

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Hoffnung lange nicht aufgegeben

Dabei hatte Johannes Fritz die ersten Widrigkeiten ausräumen und die Finanzierung schon weitgehend sichern können, nachdem die Europäische Union ihre Förderung für das vierte Aufzuchtjahr versagt hatte. „Es sieht für 2020 ziemlich gut aus, es fehlt uns nur mehr wenig am Budget, um die Saison zu finanzieren“, hatte Fritz Mitte Februar auf Nachfrage zur Fortsetzung des Projekts mitgeteilt. „Erfreulicherweise haben sich eine Reihe von Zoos gefunden, die uns fördern, unter anderem Zoo Wilhelma in Stuttgart und Zoo Karlsruhe“, berichtete Fritz. Hinzu kämen Stiftungen wie der World Wildlife Fund (WWF) Deutschland und die Deutsche Postcode-Lotterie. Umso erfreulicher wäre es für das Team gewesen, wenn das vierte Kapitel der Waldrappe am Bodensee nicht an der Corona-Pandemie scheitern würde. Lange hatte man die Hoffnung jedoch nicht aufgegeben.

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Waldrappe der ersten Kolonien bereits auf dem Weg

Auf der anderen Seite rechnen die Biologen in diesem Frühjahr mit der Rückkehr einiger Tiere der ersten Generation, die 2017 in Hödingen aufgezogen worden waren. Und Vögel sind schließlich diejenigen, die am wenigstens vor Grenzen Halt machen. Selbst wenn sie aus der Toskana und damit aus einem der Corona-Risikogebiete kommen. Waldrappe der ersten Kolonien in Kuchl am Inn und Burghausen bei Salzburg haben sich inzwischen auch schon auf den Weg nach Norden gemacht, wie ihre GPS-Sender belegen. Nicht so Vertreter der ersten Hödinger Generation, von der sich eine vorwitzige Vertreterin im Vorjahr in der Schweiz schon fast bis an den Bodensee vorgewagt hatte.

„Wir rechnen nach unseren Erfahrungen mit zwei Brutpaaren“

„Wir rechnen nach unseren Erfahrungen mit zwei Brutpaaren“, sagt Johannes Fritz. Um die Waldrappe mit den geplanten Brutfelsen am Seeufer in der Nähe von Goldbach vertraut zu machen, müssen die Biologen gleich mehrere Tricks anwenden. Da die erwachsen gewordenen Vögel bei ihrer ersten Rückkehr aus dem Winterquartier zunächst stets an ihren Abflugort – in diesem Fall das Gelände beim Hödinger Sportplatz – zurückkehren, werden sie dort von Mitarbeitern des Teams erwartet und eingefangen.

„Wir rechnen nach unseren Erfahrungen mit zwei Brutpaaren“, sagt Johannes Fritz vom Waldrappteam.
„Wir rechnen nach unseren Erfahrungen mit zwei Brutpaaren“, sagt Johannes Fritz vom Waldrappteam. | Bild: Hanspeter Walter

„Wir müssen die Vögel sekundär an den Brutfelsen gewöhnen“

Schrittweise müssen sich die Waldrappe an ihr künftiges Brutquartier herantasten. Dazu ließen die Biologen auf einer Wiese bei den Goldbacher Weinbergen eine Holzplattform aufbauen, die von der Zimmerei Schmon bereits im Januar erstellt wurde. Hier wird für die Tiere eine künstliche Brutstätte zur Eiablage geschaffen, die von einer kleinen Voliere umgeben ist. Erst wenn die Jungtiere geschlüpft und ein gewisses Alter erreicht haben, werden sie mit ihren Eltern und dem gesamten Nest in eine geeignete Nische der hohen Molassefelsen am See umquartiert. „Wir müssen die Vögel sekundär an den Brutfelsen gewöhnen, indem wir sie quasi zwingen dort zu brüten, wo wir sie haben wollen“, erklärt Wissenschaftler Fritz: „Da wir die Vögel aber schlecht im natürlichen Fels auf 20 Meter Höhe einsperren und versorgen können, braucht es die Voliere mit den künstlichen Brutmöglichkeiten.“

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Gestaltung der künstlichen Brutwand wird auf Herbst verschoben

Doch auch hier machte das Virus bei der weiteren Vorbereitung einen Strich durch die Rechnung. Eigentlich hätte der Salzburger „Betonkünstler“ Stephan Macala anreisen sollen, um auf der Holzplattform einen Kunstfelsen zu gestalten, wie er es auch an den beiden anderen Brutstätten in Bayern und Österreich gemacht hatte. Als Folge der Pandemiepläne und Reisebeschränkungen wird die Gestaltung dieser künstlichen Brutwand nun auf den Herbst verschoben, wie Gönner mitteilte. Davon lassen sich die Tiere in der Toskana allerdings kaum beeindrucken. Wenn ihre innere Uhr das Startsignal gibt, machen sie sich auf den Weg, um am Bodensee eine neue Familie zu gründen. „Wir müssen dann eben improvisieren“, betont Bernhard Gönner, „und die vorhandene Holzplattform anders nutzen.“ Auf jeden Fall müsse eine der vertrauten Ziehmütter mit an den Bodensee kommen, um bei der Gewöhnung der Tiere an den künftigen Brutfelsen zu helfen. Doch wer weiß das in diesen turbulenten Zeiten.