Und Abflug: Die dritte Waldrapp-Generation, die vom österreichischen Expertenteam um Leiter Johannes Fritz aufgezogen wurde, ist am Mittwochmorgen in Richtung Süden gestartet. Begleitet werden die 31 Tiere von zwei Ultraleichtflugzeugen, die von Fritz und Walter Holzmüller geflogen werden und an deren Bord sich auch die beiden Ziehmütter Anne-Gabriela Schmalstieg und Helena Wehner befinden. Geplant ist, dass die Vögel in sechs bis sieben Tagesetappen die Strecke von Heiligenberg bis zu ihrem Winterquartier an der Laguna di Orbetello in der südlichen Toskana zurücklegen.
Viel Training vor dem Start Richtung Süden
Damit auch alles reibungslos klappt, wurde früh mit dem Training begonnen: Bereits wenige Tage nachdem sie im April geschlüpft waren, wurden sie den Wissenschaftlern von einem Tierpark in Österreich übergeben. Im Anschluss wurden die Jungtiere an das Team und die Geräusche der Ultraleichtflugzeuge gewöhnt. Damit sie diesen während der Reise nach Italien auch folgen, lernten sie außerdem einen Lockruf kennen. Sobald sie flügge wurden, ging es dann während Trainingsflügen drei bis viermal in der Woche in die Luft.

Und das war auch nötig, denn jetzt wird es ernst für die jungen Waldrappe. Rund 200 Kilometer sollen sie laut Johannes Fritz pro Tag zurücklegen, bis sie in ihrem Winterquartier angekommen sind – vorausgesetzt, das Wetter spielt mit. Nur, wenn es trocken ist und nicht stürmt, wagt das Waldrappteam mit den Vögeln die einzelnen Etappen. „Wenn das nicht der Fall ist, müssen wir am Zwischenstopp abwarten“, sagt Johannes Fritz. Und das kann „mitunter auch mehrere Tage“ dauern. Während dieser unfreiwilligen Pausen aber auch während der Rast werden die Waldrappe in ihrer Voliere untergebracht, die das Team auf die Reise mitnimmt.

Adlerattacken können zum Problem werden
Aber auch bei strahlend blauem Himmel und Windstille kann ein reibungsloser Ablauf der Reise nach Süden gestört werden – etwa durch Adlerattacken, die laut Johannes Fritz zunehmen, da sich vermehrt Adler im Alpenraum ansiedeln. An sich sei die wachsende Population eine gute Sache, betont er. Für die Waldrappe können die Raubvögel allerdings gefährlich werden. Dennoch, allzu ernst ist die Lage nicht: „Bei fünf Adlerattacken in den vergangenen drei Jahren ist nur ein Vogel verloren gegangen.“
Bei Zusammenstößen mit den Ultraleichtflugzeugen könnten die Waldrappe verletzt werden und sich etwa die Flügel brechen. Passiert das oder ein anderer Unfall und das Tier kann nicht mehr weiterfliegen, scheidet es aus dem Auswilderungsprogramm des Expertenteams aus und wird in Gehegehaltung übergeben. Denn nachholen könne es die Reise im nächsten Jahr nicht, sagt Johannes Fritz: „Ein Zugvogel muss im Herbst des ersten Lebensjahres die Route lernen, sonst lernt er sie nie.“ Zu Unfällen mit den Flugzeugen komme es allerdings so gut wie nie.

Knapp zwei Stunden zum ersten Etappenziel
Erstes Etappenziel war Schnepfau im Bregenzerwald. Von Heiligenberg bis dorthin war eine Flugstrecke von 91 Kilometern zurückzulegen. Dafür benötigten die Waldrappe knapp zwei Stunden. Geht alles gut während der Migration, kommen die Vögel schon bald vollzählig an der Laguna di Orbetello an, wo sie bis zur vollständigen Auswilderung voraussichtlich bis Oktober von ihren Ziehmüttern betreut werden. Danach bleiben sie die nächsten drei Jahre in der Toskana.

Nach Deutschland kehren sie erst wieder zurück, wenn sie geschlechtsreif sind und selbst für eine Generation Waldrappe sorgen. Aber es gibt auch Ausnahmen. Jüngstes Beispiel ist Sonic, ein Weibchen aus der 2017er Handaufzucht, das es schon vor der Geschlechtsreife in Richtung Überlingen zog. Unterwegs entschied sich Sonic zwar dafür, länger in der Schweiz zu bleiben. Inzwischen hat sie es jedoch über Sahlenbach und Billafingen fast bis nach Hödingen geschafft. „Sonic ist ein sehr positives Beispiel“, sagt Fritz. „Das zeigt, dass die Vögel sehr motiviert sind, nach Überlingen zu kommen.“ Nächstes Jahr sollen sie erstmals am Bodensee brüten.
Das Projekt
Das Waldrappteam möchte mit seinem Projekt „Reason for Hope“ (Deutsch: Grund zur Hoffnung) die Wiederansiedlung des Waldrapps in Europa vorantreiben. Seit 2017 wurden in Überlingen-Hödingen zwei Mal Waldrappe aufgezogen und von den Menschen beim Zug über die Alpen begleitet. In diesem Jahr wurden die Vögel am Segelflugplatz in Heiligenberg aufgezogen und trainiert. Da mit der Rückkehr erster Waldrappe der 2017er-Generation gerechnet wurde und sich die subadulten Vögel und die Jungvögel nicht in die Quere kommen sollten, wurde der Standort gewechselt. Überlingen soll ab 2020 Brutkolonie werden, Burghausen und Kuchl sind es schon. Das Wintergebiet der Waldrappe liegt in der Toskana in der Laguna di Orbetello. Dabei handelt es sich um ein WWF-Schutzgebiet. Die Europäische Union fördert das Artenschutzprojekt momentan über ihr „Life+ Programm“. Über die App Animal Tracker kann der Weg der Waldrappe und anderer Wildtiere verfolgt werden.