Es ist fast so, als würde der Überlinger Auktionator Lion Zadick einem Tennismatch zuschauen. Ständig wandern seine Augen hin und her: Hin, das ist der Blick nach vorn, wo 15 Personen auf Stühlen sitzen, einen Mund-Nasen-Schutz tragen und im Fall der Fälle einen Arm in die Höhe recken oder auch nur lässig mit dem Zeigefinger schnipsen. Her, das ist der Blick auf einen Computer-Monitor rechts neben ihm, an dessen Tastatur Ehefrau Deborah sitzt.

Man gönnt sich ja sonst nichts: ein Tee- und Kaffeeservice aus Silber (um die Jahrhundertwende). Der Hersteller ist unbekannt. ...
Man gönnt sich ja sonst nichts: ein Tee- und Kaffeeservice aus Silber (um die Jahrhundertwende). Der Hersteller ist unbekannt. Mindestgebot: 680 Euro. | Bild: Niederberger, Holger

Auf dem Bildschirm sieht sich Zadick selbst, weil eine Videokamera bei der kombinierten Saal- und Online-Auktion auf ihn gerichtet ist. Außerdem zeigt der Bildschirm das gerade aufgerufene Los und dessen Beschreibung. Und natürlich das Gebot, das ein Online-Bieter gerade abgegeben hat. Zadick liest den Geldbetrag laut vor. Keine Reaktion im Saal, auch online tut sich nichts mehr – und schon hat das 30-teilige Jagdbesteck, Modell Othello, aus Edelstahl und mit Hirschhorngriffen einen neuen Besitzer gefunden. „Zum Ersten, zum Zweiten und zum Dritten.“ Zadicks Auktionshammer saust nach unten.

Das Gemälde von Maurice Utrillo zeigt eine Ansicht von Paris. Mindestgebot: 2800 Euro.
Das Gemälde von Maurice Utrillo zeigt eine Ansicht von Paris. Mindestgebot: 2800 Euro. | Bild: Niederberger, Holger

15 Interessenten können in Zeiten von Corona im Saal mitbieten, die anderen online

Diese Szene wird sich am Samstag, 26. September in ähnlicher Form wiederholen, wenn das Auktionshaus Lion Zadick zur 176. Auktion seit seiner Gründung im Jahr 1985 bittet. Auch dann werden im Auktionssaal an der Nußdorfer Straße in Überlingen, der normalerweise rund 50 Besuchern Platz bietet, bedingt durch das Coronavirus wieder nur 15 Menschen sitzen. Alle anderen Schnäppchenjäger machen online mit. Bei der vergangenen Kombi-Auktion im Juli waren es immerhin 377 Bieter und Interessierte, die sich reif für die Digitalisierung zeigten.

Kleines Auktions-Abc

Auch über 80-jähriger Bieter online dabei

Darunter sogar ein Mann mit über 80 Jahren. Deborah Zadick hat den Stammkunden betreut und war überrascht, wie schnell sich der ältere Herr auf der Plattform Lot-Tissimo zurechtfand. Dieses Auktionsportal sei weltweit im Einsatz und auch die ganz Großen der Szene, wie Christie's oder Sotheby's, setzten darauf.

Von Menschen und Möpsen heißt ein Buch von Loriot: Dieser Porzellan-Mops von Emille Gallé (um 1900) stammt aber nicht aus dem Nachlass ...
Von Menschen und Möpsen heißt ein Buch von Loriot: Dieser Porzellan-Mops von Emille Gallé (um 1900) stammt aber nicht aus dem Nachlass des vielseitigen Humoristen. Mindestgebot: 380 Euro | Bild: Niederberger, Holger

Reine Online-Auktion für manche Interessenten attraktiver als im Saal

Lion Zadick hat mit seiner Frau zusammen im Mai 2020 sogar eine reine Online-Auktion veranstaltet. Diese gelten bei einer bestimmten Klientel als besonders attraktiv, weil das Bieten anders abläuft als im Saal. Lose sind einige Wochen lang aktiviert. Da kann der Interessent die Werke in Bestauflösung, von allen Seiten und virtuell in einem Raum platziert ansehen. Und wenn es der Kunde so will, dann greift Zadick erneut zur Kamera, um beispielsweise ein Detail noch mehr hervorzuheben.

Online können schon vorab Gebote abgegeben werden

Online können auch schon vor dem eigentlichen Auktionsstart Gebote abgegeben werden. Mit wenigen Klicks lässt sich testen, was eventuell günstig zu haben ist, weil es im Vorfeld wenig Interessenten gibt. Diesen Vorteil haben vor einer Live-Auktion sonst nur die Angestellten. Auf der Webseite hingegen ist klar zu sehen, wie viele Gebote abgegeben wurden und wann der Mindestpreis überschritten ist.

Schmuck in Hülle und Fülle.
Schmuck in Hülle und Fülle. | Bild: Niederberger, Holger

Online-Auktionen tragen zur „Demokratisierung„ bei

Online seien alle Bieter gleichberechtigt, unterstreicht Zadick. Ein gewisses Auktionsfieber entwickelt sich trotzdem, denn die Versteigerung endet zu einer festgelegten Uhrzeit. Ausnahme: Wenn noch aktiv Gebote eingehen, verlängert sich die Zeit, um allen Unterbietern die Chance zu geben, nochmals nachzulegen. Es gibt sogar Stimmen, die sagen, dass reine Online-Auktionen zu einer „Demokratisierung„ des Auktionshandels führen – weil alle Bieter dasselbe System nutzen und der Algorithmus nicht zwischen Herrn Maier und Frau Schmid unterscheidet. Bei einer Live-Auktion hat der Versteigerer trotz aller Öffentlichkeit durchaus die Möglichkeit, einem Kunden mehr oder weniger Entscheidungszeit für die nächste Bietrunde zuzugestehen.

Auch Teppiche kommen unter den Hammer.
Auch Teppiche kommen unter den Hammer. | Bild: Niederberger, Holger

Manche schätzen Anonymität der Online-Auktion

Zadick nennt einen weiteren Vorteil. Er weiß, dass der Besuch eines Auktionshauses manche Menschen abschreckt, weil Auktionen als etwas Elitäres gelten, die nur Zeitgenossen mit gut gefülltem Geldbeutel besuchen. Manch einem falle es leichter, aus der Anonymität heraus mitzubieten.

Jüngere Jahrgänge sind Geschäfte am Computer gewohnt

Und jüngere Jahrgänge, die normalerweise eher selten ein Auktionshaus betreten, seien es gewohnt, Geschäfte am und mit dem Computer zu machen. Lion Zadick jedenfalls hat über seine kombinierten Online- und Saal-Auktionen neue Kunden gewonnen, auch der Umsatz sei leicht gestiegen. Außerdem: Für Geld auf der Bank gibt‘s aktuell kaum noch Zinsen, da investierten viele Menschen lieber in Wertgegenstände, so Zadick. Denn Inflation kann einem Goldarmband nichts anhaben.

Lion Zadick hat mehr Freude an der Atmosphäre bei konventionellen Auktionen

Bei allen Vorteilen, mit denen der digitale Vertriebsweg den Auktionshandel belebt: Konventionelle Auktionen in seinem voll besetzten Auktionssaal oder wie vor knapp zwei Jahren in der Villa der Meersburger Fabrikantenfamilie Holzer bereiten Zadick viel mehr Freude – denn da kann er sein Moderatoren-Talent ausspielen, die Stimmung beleben oder sie wenn nötig beruhigen. Da blüht er auf. Bei einer reinen Online-Auktion, so gesteht er ein, müsse er sich sehr zusammennehmen, nicht in einen monotonen Singsang zu verfallen.