Sie meinen es Ernst, doch sie fühlen sich nicht Ernst genommen und lassen nicht locker. Es geht der Initiative aus der Fischerhäuservorstadt in Überlingen um nicht weniger als den Erhalt des historischen Charakters in ihrem gewachsenen Altstadtquartier. Dass dieses derzeit nicht überall das Flair ausstrahlt, für dessen Erhalt sie sich einsetzen, ist für die engagierten Bürger um Gassenpfleger Oliver Martin, Thomas Pross und Eric Hueber noch lange kein Grund, dieses Potenzial an Wohnqualität fahrlässig preiszugeben, wie sie sagen. An Investoren, denen es insbesondere um Ferien- oder Zweitwohnungen gehe, mutmaßen die Bewohner. Am Montag, 19. Juli soll der Ausschuss für Bauen, Technik und Verkehr die geltende Veränderungssperre um ein Jahr verlängern.
Kritik: Aktuelle Pläne widersprechen früher festgelegten planerischen Zielen
„Wir Nachbarn sind nicht gegen bauliche Veränderungen in der Fischerhäuservorstadt“, betont Eric Hueber noch einmal. „Es ist aber unübersehbar, dass durch die Genehmigung des Bauvorhabens Gartenstraße 5 bis 7 und dem jetzigen aktuellen Bebauungsplanentwurf die planerischen Ziele früherer, unter aufwendiger und kostenintensiver Beteiligung der Bürgerschaft formulierter städtebaulicher Ziele, die vom Gemeinderat beraten und verabschiedet wurden, nicht eingehalten bzw. komplett konterkariert werden.“

Im Herzen des Quartiers unter anderem dreigeschossige Gebäude vorgesehen
Eric Hueber verweist dabei insbesondere auf das integrierte Stadtentwicklungskonzept (ISEK) aus dem Jahr 2016, das den Grüngürtel innerhalb der Stadtmauern – von der Fischerhäuservorstadt über Uhlandhöhe und Scheerenschanze bis zu den Menzingergärten – als städtebaulich wertvoll definiert. Und auf die erst 2018 novellierte Altstadtsatzung, welche die Dichte der höheren Bebauung entlang der Hauptstraße und die geringe Gebäudedichte in den dahinter liegenden Gebieten beschreibt und die Solitärstellung der bedeutenden öffentlichen Gebäude hervorhebt. Diese Grundsätze sieht die Initiative mit dem aktuellen Bebauungsplanentwurf nicht berücksichtigt, der im Herzen des Quartiers unter anderem dreigeschossige Mehrfamilienhäuser vorsieht.
Initiative plant Aktionstag und Nachbarschaftsgespräch
Um die unterschiedlichen Auffassungen über die städtebauliche Entwicklung noch einmal zu reflektieren, will die Initiative ein Nachbarschaftsgespräch anregen, wie es im Rahmen eines Förderprogramms des Landes für eine breitere Bürgerbeteiligung finanziell unterstützt wird. Dazu ist im September ein Aktionstag mit detaillierten Informationen vorgesehen.
Anlass für die Kontroverse hatten Pläne für Grundstücke in der nordwestlichen Ecke des Quartiers gegeben, deren Anfänge in das Jahr 2016 zurückreichen. Aus anfangs sieben geplanten Wohnungen waren zunächst neun geworden, im aktuellen Bebauungsplanentwurf der Stadt sind zwölf Wohnungen ausgewiesen. Die Bewohner haben die Sorge, dass es noch mehr werden könnten.
Die Geschichte hat schon viele Kapitel. Nicht erst vor Jahresfrist hatte sich die Initiative zu Wort gemeldet. Ihre Sorgen um den Charakter der Fischerhäuservorstadt hatten die Anwohner bei einer Infoveranstaltung vorgebracht. Um die Dimensionen einer möglichen Bebauung anderen Bürgern anschaulich zu machen, baten sie die Stadt um ein Modell. Das sei zu teuer, argumentierte Stadtplaner Thomas Kölschbach. Das Angebot der Initiative, sich an den Kosten zu beteiligen, könne die Kommune allerdings nicht annehmen, sagte Baubürgermeister Matthias Längin. Außerdem sei eine Computer-Animation ohnehin sinnvoller, da man sie modifizieren und variieren könne.
Ballonaktion zur Verdeutlichung der Dimensionen verpufft weitgehend
Damit wollten sich die Vorstädter allerdings nicht zufriedengeben und unternahmen Anfang 2021 mehrere Ballonaktionen, um einen Eindruck von den Ausmaßen der möglichen Gebäude zu vermitteln. Ähnliches hatte es schon in der Bauphase des Burgbergs vor einigen Jahrzehnten gegeben. Doch die temporäre Aktion verpuffte weitgehend. Auch Gemeinderäte hätten sich kaum für die Bemühungen interessiert, sagen die Organisatoren.
Akteure schaffen Modell im Maßstab 1:200
Nun starteten die Aktiven einen neuen Anlauf und erstellten in einer gemeinschaftlichen Anstrengung ein maßstabsgetreues Modell im Verhältnis 1:200 der im Entwurf des Bebauungsplans ausgewiesenen Gebäudedimensionen. Die gesamte Topografie wurde mit zwei Millimeter dünnen Platten im Schichtverfahren nachgebildet. Die aktuelle Bebauung und die künftig möglichen Gebäudegrößen können als präzise Holzmodelle an den relevanten Stellen ausgetauscht und verglichen werden.

Das maßstabsgetreue Konstrukt bringt so unter anderem an den Tag: Das wuchtige Solitärgebäude des ehemaligen badischen Gefängnisses wird offenbar zum neuen Normal und zum Maßstab für die Zukunft. Deutlich wird dies auch, wenn man im Modell neben die Auferstehungskirche den bereits genehmigten Kubus setzt, der das Gotteshaus glatt in den Schatten stellt.
Fischerhäuservorstadt am Montag erneut Thema im Ausschuss
Am Montag ist die Zukunft der Fischerhäuservorstadt erneut Thema im Ausschuss für Bauen, Technik und Verkehr. Allerdings geht es lediglich um eine Verlängerung der Veränderungssperre während des Bebauungsplanverfahrens um ein weiteres Jahr.
In der Sitzungsvorlage heißt es: „Der Stadt Überlingen ist bewusst, dass es sich bei der Verlängerung der Veränderungssperre um einen Eingriff in die Eigentumsrechte handelt.“ Weiter: „Gleichwohl ist die Stadt der Auffassung, dass die gegenständliche Verlängerung der Veränderungssperre zur Sicherung der Planungsziele notwendig ist, da das Bebauungsplanverfahren noch nicht zum Abschluss gebracht wurde.“ Ob die Verwaltung damit nur einer formalen Notwendigkeit nachkommt oder ob sie noch einmal ins Grübeln gekommen ist über den vorliegenden Bebauungsplanentwurf, das wird sich in den nächsten Monaten zeigen.
Initiative sieht andere aktuelle Potenziale für Wohnraum
Den Bedarf an Wohnraum erkennt die Initiative unumwunden an, sieht allerdings auch andere aktuelle Potenziale. „Derzeit stehen in der Altstadt rund 20 Häuser leer“, glaubt Architekt Thomas Pross zu wissen: „Darum müsste man sich auch mal kümmern.“