Wohlfeil sind beim Blick auf den Burgberg despektierliche Kommentare über Betonburgen. Dass auch ganz andere Perspektiven möglich, nötig und angezeigt sind, macht Hermann-Josef Krug in seinem Buch „Wolkenkratzer auf dem Burgberg“ deutlich. Auf den umfangreichen Recherchen zu diesem Buch fußte auch sein Beitrag zu den stadtgeschichtlichen Vorträgen.

Das zum fußläufigen Einkauf gedachte Burgbergzentrum hat seinen Zweck längst eingebüßt.
Das zum fußläufigen Einkauf gedachte Burgbergzentrum hat seinen Zweck längst eingebüßt. | Bild: Hanspeter Walter

„Den Burgberg kann man ambivalent sehen“, hatte Stadtarchivar Walter Liehner in seiner Begrüßung formuliert. „Es gibt Menschen, die lehnen ihn ganz ab“, sagte er und erinnerte an das Narrenbuch von 1972, als Victor Mezger einen „Moloch“ gezeichnet hatte, der das historische Überlingen verschlingt. Es gebe allerdings auch „begeisterte Burgbergler“, betonte der Stadtarchivar und nannte die Siedlung eine „lebenswerte Gegend“ mit viel Gärten und Grün.

Der fundierte Vortrag des Medienwissenschaftlers Hermann-Josef Krug schien längst überfällig. Zumal er mit der Erinnerung an die Entstehungsgeschichte und die konzeptionellen Hintergründe ein ganz neues Licht auf den Burgberg warf. Als „Demonstrationsbauvorhaben“ des Bundesministerium mit hohem Anspruch habe es Bürgermeister Anton Wilhelm Schelle auf den Weg gebracht worden. „Ziel war es, durch kostengünstiges und effizientes Bauen neue qualitative Maßstäbe zu setzen“, erklärte Krug.

Nicht im Sinne der Erfinder des Konzepts war es, dass der Park um das Schloss Burgberg später mit exklusiven Eigentumswohnungen bebaut ...
Nicht im Sinne der Erfinder des Konzepts war es, dass der Park um das Schloss Burgberg später mit exklusiven Eigentumswohnungen bebaut wurde. Bild: Hanspeter Walter | Bild: Hanspeter Walter

Dazu gehörten auch die vielfältige architektonischen Formen, die ganz unterschiedlichen Bedürfnissen Rechnung tragen sollten – in Form vom ebenerdigen Gartenhofhäusern, Terrassenbauten und Geschosswohnungen in Hochhäusern, über deren Höhe schon im Verlauf der Planung kontrovers diskutiert worden war. Sie sollten als Landmarke zugleich die Topographie des Gebietes nachzeichnen und eine eigene „Skyline“ entstehen lassen.

Viele Überlinger fremdelten von Anfang an mit der ambitionierten Planung. Mancher habe bis heute noch nicht seinen Frieden mit der Siedlung geschlossen, erklärte Hermann-Josef Krug und erinnerte an die Bürgerversammlung zum neuen Wohnbaulandmodell 2019. Man wolle „keinen zweiten Burgberg“, sei da zu hören gewesen.

Hermann-Josef Krug: „So wohnten am Burgberg von Anfang an Arbeiter und Handwerker, Lehrer und Professoren, Angestellte und ...
Hermann-Josef Krug: „So wohnten am Burgberg von Anfang an Arbeiter und Handwerker, Lehrer und Professoren, Angestellte und Selbstständige in enger Nachbarschaft zusammen.“ | Bild: Hanspeter Walter Journalist-Texte-Bilder

„Urbanität durch Dichte“ zitierte Krug einen Leitgedanken vom Anfang der 1960er Jahre. Neben der Schaffung von Wohnraum gehörten eine breite Streuung des Eigentums, eine hohe soziale Durchmischung und ein politisch aktives Bürgertum zu den erklärten Zielen. Krug: „So wohnten am Burgberg von Anfang an Arbeiter und Handwerker, Lehrer und Professoren, Angestellte und Selbstständige in enger Nachbarschaft zusammen.“

Das Burgbergzentrum bot alles für den täglichen Bedarf – bis die Discounter kamen

Zu optimalen Lebensbedingungen sollte auch das Burgbergzentrum beitragen. Hier gab es zunächst alle Einkaufsmöglichkeiten, auch Banken und Post waren präsent. Das fußläufig erreichbare Zentrum habe wie ein autofreier Marktplatz auch eine wichtige „sozialräumliche Funktion“ übernommen. Die Eröffnung mehrerer Discounter und eines Einkaufszentrums habe später den Abstieg eingeleitet.

Drei Fragen an Hermann-Josef Krug

„Auch die Bewohner der Burgbergsiedlung setzten sich nun immer öfter ins Auto“, beschrieb Krug die weitere Entwicklung. Von der ursprünglichen Grundversorgung sei heute nur noch der Friseur erhalten. Nicht im Sinne der Erfinder war auch die Bebauung des Parks um das Schloss Burgberg, der als grüne Oase tabu bleiben sollte. Eine Bürgerinitiative wehrte sich Ende der 1970er Jahre dagegen, konnte aber nicht verhindern, dass später mitten im Park exklusive Eigentumswohnungen entstanden. Dennoch spiegle die Siedlung Burgberg insgesamt die europäische Idee von Freiheit, Gleichheit und Solidarität wider.

Referent warnt vor einer Zunahme der Zweitwohnungen

Eine Botschaft gab Krug den Zuhörern noch mit auf den Weg und zitierte den SPD-Politiker Hans-Jochen Vogel. „Grund und Boden ist keine beliebige Ware, sondern eine Grundvoraussetzung menschlicher Existenz.“ Vor diesem Hintergrund warnte der Referent auch vor einer Zunahme der Zweitwohnungen, die teilweise lediglich einer Geldanlage dienten. Eine Lanze brach der Medienwissenschaftler für eine intensive Bürgerbeteiligung an der Stadtentwicklung. Krug: „Es ist ein großes Geschenk an die Stadt, wenn sich die Bürger einmischen.“