An diesem Mittwoch debattiert der Bundestag über das Dritte Bevölkerungsschutzgesetz. Darin geht es unter anderem um die Vorbereitung von Corona-Impfprogrammen. Der Gesetzesentwurf ist umstritten – auch die Initiative Querdenken und ihre Überlinger Anhänger sind dagegen. Sie befürchten mit der Verabschiedung eine weitere Aushebelung der Grundrechte.
Wie der SÜDKURIER erfahren hat, wurde in der Telegram-Gruppe der Initiative im Vorfeld der Bundestagsdebatte zu einem Telefonprotest bei Wahlkreisabgeordneten in der Bodenseeregion aufgerufen. Laut des Beitrags sollten die Mitglieder die Abgeordneten durch eine Vielzahl von Anrufen davon überzeugen, am Mittwoch gegen das Gesetz zu stimmen. Die Telefonleitungen der Wahlkreisbüros sollten dabei nicht verschont bleiben.
Das ist der Aufruf der Überlinger Querdenker
„Bitte ruft in den Büros eurer Wahlkreis-Bundestagsabgeordneten an“, heißt es in einem Beitrag von Sonntag, 8. November. „Als höchst besorgter Bürger in freundlich-sachlichem Ton“ solle man die Abgeordneten auffordern, „diesem Infektionsschutz-Änderungsgesetz auf keinen Fall zuzustimmen!“ Der Tonfall sei demnach sehr wichtig, um ernst genommen zu werden und nicht sofort Abwehrgefühle zu erzeugen.

Anrufer der Wahlkreisbüros sollten zudem durchblicken lassen, dass man die Politiker „beim Ausverkauf der Grundrechte nicht wiederwählen wird“. „Rüstet euch dazu mit den besten Argumenten für dieses Gespräch“, geht der Aufruf weiter. „Jeder Anruf ist hundert Mal wirkungsvoller als eine E-Mail. Die Drähte in den Abgeordnetenbüros müssen heiß laufen! Jeder Anruf wirkt!“ Im Anschluss an den Beitrag in der Telegram-Gruppe, die laut Informationen des SÜDKURIER rund 100 Mitglieder hat, kündigten mehrere Nutzer ihre Teilnahme an der Protestaktion an.
Der Aufruf sollte an alle Parteien außer die AfD gehen. „Diese ist mit Wahrscheinlichkeit als einzige gegen dieses Gesetz“, heißt es. Mittlerweile haben sich aber auch die Parteien Die Linke und die FDP gegen das Gesetz ausgesprochen. Dazu wurde eine Datenbank mit offiziellen Telefonnummern und Mailadressen aller deutschen Bundestagsabgeordneten in der Gruppe veröffentlicht.
CDU-Bundestagsabgeordneter berichtet von einseitigem Weltbild der Anrufer
Einer der Abgeordneten, dem der Telefonprotest galt, ist der CDU-Bundestagsabgeordnete Axel Müller aus dem Wahlkreis Ravensburg. Ihn erreichten in der vergangenen Woche mehrere Anrufe und Mails von Bürgern, die gegen das Gesetz protestierten. „Die Anrufer und Verfasser der Schreiben vom Gesetzesentwurf zu überzeugen, ist nahezu aussichtslos“, sagt er. Sie hätten ein gefestigtes Meinungs- und Weltbild. „Wer auch immer dafür verantwortlich ist: Ihre Informationsstände sind einseitig geprägt und erscheinen wenig differenziert.“
Auch der Tenor in den Protestschreiben sei immer gleich, so Müller. „Im Grunde weigern sie sich, die Tatsache einer pandemischen Lage anzuerkennen, und beziehen sich dabei auf Einzelmeinungen angeblicher Sachverständiger, die bei genauer Betrachtung teilweise sehr obskur sind. Und sie behaupten, dass die Grundrechte außer Kraft gesetzt würden, was aber definitiv nicht der Fall ist“, unterstreicht Müller. „Grundrechte werden durch einzelne Maßnahmen eingeschränkt, wie das durch viele andere Gesetze in zahlreichen Bereichen des Lebens der Fall ist.“ Mit dem kritisierten Gesetzesentwurf soll eine bessere Ausdifferenzierung des Infektionsschutzgesetzes erfolgen.

Der Jurist und Bundestagsabgeordnete, der unter anderem im Rechtsausschuss sitzt, hat keine rechtliche Bedenken bezüglich des Gesetzes. „Wir haben in einer gemeinsamen Anhörung des Gesundheits- und des Rechtsausschusses zahlreiche Sachverständige zu den medizinischen und rechtlichen Fragen gehört und uns ein differenziertes Meinungsbild erarbeitet, dessen rechtliche Bewertung ich sehr gut vornehmen kann.“
Doch Müller hebt auch hervor: „Ich kann nicht sagen, dass die Drähte heiß liefen.“Insgesamt habe es vier Anrufe gegeben und „geschätzt ein gutes Dutzend“ Protestschreiben habe er erhalten. Ein derartiges Dialogbedürfnis der Bürger sei nicht ungewöhnlich. „Das gibt es auch bei anderen Themen“, sagt er.
Querdenker-Rechercheaufrufe für Salemer Landtagsabgeordneten

Beim Wahlkreisbüro des Salemer Landtagsabgeordneten Klaus Hoher kamen in der vergangenen Woche vermehrt Protestanrufe und -mails an. Darunter waren laut eines Mitarbeiters seines Wahlkreisbüros auch Recherchetipps und -anregungen zur Pandemie. „Anrufe von besorgten Bürgern habe ich täglich mehrere, darunter sind auch viele Corona-Skeptiker“, sagt Hoher. „Ob diese Anrufer von Querdenken gelenkt werden, entzieht sich zunächst meiner Kenntnis. Bei einigen wenigen Anrufen stellte es sich im Gespräch heraus, dass es sich um Sympathisanten der Bewegung Querdenken handelt.“
Eingehende Mails würden zunächst von seinem Wahlkreisbüro geprüft. Die vorgefertigten Schreiben von der Querdenken-Internetplattform würden kurz mit dem Hinweis beantwortet, dass er vorgefertigte Schreiben nicht kommentiere. Dies gelte aber nicht für seriöse Anfragen und Anliegen von Einzelpersonen, wie unter anderem Gastronomen, Hoteliers oder Soloselbstständige.
Protestmails als Beschäftigungsmethode für Abgeordnete
Martin Hahn, Überlinger Landtagsabgeordneter der Grünen, erhielt in dem Zeitraum lediglich einen Anruf eines Corona-Skeptikers. Er stellt aber auch klar: „Bürger aus dieser Meinungsrichtung rufen üblicherweise nicht an.“ Dennoch auch Hahn schon einige Telefongespräche mit sogenannten Querdenkern aus der Region.

Hahn sagt: „Es gibt in diesen Gesprächen oft Punkte, wo man mit rationalen Argumenten nicht mehr weiterkommt. Das ist das Problem. Wenn ich das Gefühl habe, dass jemand nur seine Parolen loswerden will, lege ich auch schnell auf. Wenn die Leute nachvollziehbare Argumente bringen, dann natürlich nicht. „
Jede Woche erhalte er bis zu zwölf „sehr kritische Mails zum Thema Corona„. Auf Mails antwort er immer persönlich, sagt der Politiker. Er schaue, ob Menschen aus seinem Wahlkreis dahinter stecken. Wenn aber nur landesweite Kampagnen aus diesen Nachrichten herauszulesen und auch die Personen nicht aufzufinden seien – Hahn nennt diese Absender „Fata Morgana“ –, dann ignoriere er diese Anfragen. „Die werden nur verschickt, um Abgeordnete zu beschäftigen.“
Protestgruppe mit Grableuchten vor Haustür von Bundestagsabgeordneten
Mehr als Anrufe und Mails erhielt Lothar Riebsamen, CDU-Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Bodensee. Wie er in einem Beitrag auf seiner Facebook-Seite mitteilte, stand am Sonntagabend eine Protestgruppe mit Grableuchten vor seiner Haustür. Anschließend hinterließen sie 16 Exemplare vor Ort. „Telefonprotest und E-Mail Protest gegenüber dem örtlichen Bundestagsabgeordneten sind in der Tat legitim und auch nicht außergewöhnlich“, schrieb er zur Protestaktion der Querdenker. Allerdings habe er für den „unangemeldeten Besuch“ kein Verständnis. „Über die Anwesenheit der Polizei waren meine Frau und ich sehr dankbar“, so Riebsamen.
Das sagt der Sprecher der Überlinger Querdenker
Udo Daecke, offizieller Sprecher der Überlinger Querdenker, verteidigt den Aufruf zum Telefonprotest: „Die Bitte, mit seinem Landtags- oder Bundestagsabgeordneten bezüglich eines Gesetzvorhabens ins Gespräch zu kommen, ist sicherlich in einer Demokratie zu begrüßen.“ Zur Umsetzung der Ziele stehe man darüber hinaus mit unterschiedlichen Volksvertretern in Kontakt und sei auch überregional gut vernetzt. „Die privaten Netzwerke erstrecken sich inzwischen über mehrere Gruppierungen aus der Mitte der Gesellschaft“, so Daecke.
Wie er mitteilt, sei der Protestbeitrag in der Telegram-Gruppe den Verantwortlichen der Initiative allerdings nicht aufgefallen. „Es handelt sich dabei um einen weitergeleiteten Post von uns unbekannter Quelle“, schreibt Daecke. Dieser wurde von einem Nutzer weitergeleitet in vielen anderen Telegram-Gruppen und -Kanälen ebenfalls verteilt. Insgesamt ist er laut Daecke über 230 000 Mal angesehen worden.

Eine genaue und regelmäßige Überprüfung des Inhalts der Telegram-Gruppe scheint es laut Daecke aber nicht zu geben. Videos von Demonstrationen wie in Leipzig oder bekannten Persönlichkeiten der Bewegung werden gern herumgeschickt. „Ein Eingriff in die Diskussionen erfolgt nur, wenn die Gruppenmitglieder die Probleme nicht selber untereinander lösen können und um Hilfe bitten.“ Man stehe für die „vollständige Wiederherstellung des Grundgesetzes“ und lehne eine Zensur innerhalb der Messenger-Gruppe daher ab.
So ordnet Rechtsanwalt Ingo Lenßen den Aufruf zum Telefonprotest ein
Fernsehanwalt Ingo Lenßen verteidigt die Aktion der Querdenker. „Es wird mit dem Aufruf zwar eine gewisse Hemmschwelle überschritten. Aber es ist kein Aufruf zur Schikanierung der Abgeordneten“, sagt der Jurist aus Bodman-Ludwigshafen. Solange die Anliegen über die offiziellen Telefonnummern und Mail-Accounts der Abgeordneten gingen, sei dies noch im Rahmen.
Lenßen weiter: „Man muss auch fragen: Was steht dem entgegen? Wir leben derzeit in besonderen Zeiten, in Zeiten einer Pandemie. Es handelt sich hier um die Anliegen von Bürgern an demokratisch gewählte Volksvertreter.“ Gegen den Telefonprotest spreche nichts – das sei ihr gutes Recht. „Den Volksvertretern kann man das durchaus zumuten.“ Eine Grenze zur Straftat sei laut Lenßen daher nicht überschritten worden.