Es ist abends kurz nach 18 Uhr. An der Tanzschule No. 10 in Überlingen ist ein Fenster auf und davor steht ein Kastenwagen mit offener Heckklappe. Karton um Karton wird eingeladen. Erst Nudeln, Ravioli-Dosen, Reis und mehr und dann noch jede Menge Toilettenpapier. Aus dem Inneren des Gebäudes reicht Andreas Sieber, der Leiter der Tanzschule, das Material heraus. Michael Niehl aus Bodman und Cornel Weber aus Owingen laden den Kastenwagen. Später werden auch noch jede Menge Werkzeuge in einen Anhänger geladen.

Hier wird ein Kastenwagen unter anderem mit Toilettenpapier für den Transport beladen (von links): Tanzschulleiter und Koordinator ...
Hier wird ein Kastenwagen unter anderem mit Toilettenpapier für den Transport beladen (von links): Tanzschulleiter und Koordinator Andreas Sieber (rechts) reicht das Material aus dem Fenster und Michael Niehl (links) und Cornel Weber packen das Auto. | Bild: Jäckle, Reiner

Das Trio gehört zu einem großen Team Freiwilliger, die am nächsten Morgen aufbrechen werden in Richtung Troisdorf, der bevölkerungsreichsten Stadt im Rhein-Sieg-Kreis in Nordrhein-Westfalen. Andreas Sieber hat nach der Flutkatastrophe in der vergangenen Woche einen großen Hilfskonvoi organisiert. Insgesamt kamen acht große 40-Tonnen-Lastwagen sowie etwa zehn Kastenwägen, VW-Busse und Autos mit Anhänger zusammen, die im Konvoi gesammelte Hilfsgüter in die Krisenregion bringen werden.

Kontakt zu Personen im Krisengebiet ist essenziell

Der Tanzschulleiter weiß, was er macht, denn er hat bereits Erfahrung in der Organisation von Hilfstransporten. Er hat bereits 2012, als die Überlinger Partnerstadt Bad Schandau extrem vom Hochwasser betroffen war, einen großen Hilfskonvoi auf die Beine gestellt. „Ich habe von Beginn an den Kontakt vor Ort gehabt“, berichtet er. „Das ist bei einer solchen Hilfe das Allerwichtigste.“ Wer als Privatperson mit einem Auto voller Hilfsmittel losfährt, geht ihm zufolge die Gefahr ein, dass er nie am Ziel ankommt. „Man braucht mittlerweile eine Bewilligung, um überhaupt ins Krisengebiet zu kommen“, erklärt Andreas Sieber. „Außerdem habe ich den Kontakt vor Ort. Wir werden dort erwartet und wissen, wo wir unsere Hilfsgüter abladen können.“

Sieber: „Vor allem Werkzeug ist ganz wichtig“

Das Ziel des Konvois ist Troisdorf. Selbst der Kommandant der Kriseneinsatzkommandos hat sich angekündigt, der persönlich vorbeikommen möchte und danach die Verteilung koordiniert. „Es stehen sogar Helfer von vor Ort zur Verfügung, die beim Ausladen helfen werden“, so Andreas Sieber. Sehr viele Privatpersonen, aber auch Firmen aus Überlingen und der Umgebung haben in den vergangenen Tagen gespendet. „Vor allem Werkzeug ist ganz wichtig“, sagt der Tanzschulleiter. „Aber auch Nahrungsmittel und Hygieneartikel.“ Ein Autohaus hat sogar ein Auto zur Verfügung gestellt, mit dem der Konvoi nach Troisdorf fährt und es dann dort lässt.

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Dass dies gebraucht wird, davon erzählen Birgit Nadig und Markus Brandt von Profigas aus Lippertsreute, die am Mittwoch mit ihren beiden Lastern bereits wieder zuhause waren. Sie hatten zu einer Spendenaktion aufgerufen, die am Sonntag Lippertsreute verkehrstechnisch dermaßen lahmlegte, dass selbst in „Google Maps“ der Bereich rot markiert war und geraten wurde, den Ort weiträumig zu umfahren. „Wir haben drei volle Lagerhallen gehabt“, sagt Birgit Nadig.

Auf dem Weg durchs Katastrophengebiet fahren Birgit Nadig und Markus Brandt immer wieder an riesigen Schuttbergen vorbei.
Auf dem Weg durchs Katastrophengebiet fahren Birgit Nadig und Markus Brandt immer wieder an riesigen Schuttbergen vorbei. | Bild: Birgit Nadig

Der Vorteil bei dieser Aktion war, dass hier schnell die Güter auf die Straße kamen. Am Montag waren sie mit den zwei 40-Tonnen-Lastwagen nach Bad Neuenahr-Ahrweiler gestartet. „Wir sind überall sehr gut hingekommen, weil wir Kontakte über den Verein BLV-pro bekommen haben“, berichtet Markus Brandt. „Da, wo wir waren, konnten wir bislang keinerlei staatlich organisierte Hilfe erkennen.“ Dafür gab es ihm zufolge aber eine große private Hilfe. Immer wieder waren kleinere Spendenberge an den Straßen zu sehen. Dort konnten sich die Einheimischen bedienen. Die Menschen vor Ort seien sehr froh und dankbar gewesen, als die beiden Lastwagen aus Lippertsreute kamen und einen Teil der Ladung dort ausgeladen hätten.

Das Profigas-Team aus Lippertsreute mit den beiden 40-Tonnen-Lastern in Bad Neuenahr-Ahrweiler (von links): Axel Konieczny, Markus ...
Das Profigas-Team aus Lippertsreute mit den beiden 40-Tonnen-Lastern in Bad Neuenahr-Ahrweiler (von links): Axel Konieczny, Markus Brandt und Birgit Nadig. | Bild: Markus Brandt

„Es waren wirklich schreckliche Bilder“, erzählt Birgit Nadig. „Kaputte Häuser, demolierte Autos und Helfer, die mittlerweile völlig entkräftet sind.“ Ein Unternehmer in Bad Neuenahr-Ahrweiler wurde kurzfristig zum Krisenmanager. „Dort liefen alle Infos der Stadt zusammen. Er koordinierte das Ganze unfassbar gut“, sagt sie. „Absolut beeindruckend war die Hilfsbereitschaft von vielen freiwilligen Helfern vor Ort. Sie wussten teilweise gar nicht, wo sie schlafen sollten. Trotzdem arbeiteten sie bis zum Umfallen.“

Der Lastwagen mit den Hilfsgütern aus Lippertsreute wird in Obendorf vom Technischen Hilfswerk abgeladen.
Der Lastwagen mit den Hilfsgütern aus Lippertsreute wird in Obendorf vom Technischen Hilfswerk abgeladen. | Bild: Birgit Nadig

Markus Brandt, Birgit Nadig und Mitarbeiter Axel Konieczny sind ins Krisengebiet gefahren. Auch sie raten dringend davon ab, einfach so dorthin zu fahren. Man brauche unbedingt einen Anlaufpunkt. „Auf dem Heimweg haben wir Militärfahrzeuge gesehen, die in der Region unterwegs waren“, so Birgit Nadig. „Trotzdem werden wir zum Wochenende nochmal mit einem Lkw hochfahren.“ Zum einen, weil sie eine direkte Anlaufstelle haben, und zum anderen, weil sie immer noch viele Hilfsgüter haben, die in das Krisengebiet gebracht werden sollen.

Helferteams haben sich miteinander vernetzt

Andreas Sieber und das Helferteam aus Lippertsreute haben sich mittlerweile gut vernetzt. „Wir haben auch einiges aus Lippertsreute mitgenommen“, sagt der Tanzschul-Leiter, der froh ist, dass er von seinem Chef die Freiheit bekommen hat, den Hilfs-Konvoi zu organisieren. Sein Telefon klingle fast im Zehn-Minuten-Takt. Kaum hat er das gesagt, klingelt es. Am anderen Ende möchte jemand etwas spenden. Andreas Sieber erklärt immer wieder, dass Kleidung nicht mehr gebraucht werde. Das wichtigste seien Werkzeug, Nahrungsmittel und Geld. In diesem Moment fährt der nächste Kastenwagen an der Tanzschule vor, um beladen zu werden.

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