Es ist fast zwei Uhr morgens an diesem 26. Januar, als kurz vor 2 Uhr ein vermummter Mann das Treppenhaus eines Mehrfamilienhauses in der Überlinger Christophstraße betritt. Die Kamera im Flur zeichnet auf, wie er eine Flüssigkeit über die Fußmatten auf der Holztreppe verteilt.
Der Mann blickt kurz in die Kamera, ehe Sekunden später ein brennendes Tuch genau auf die Stelle fliegt, an der er zuvor den Brandbeschleuniger ausgeschüttet hat. Das Feuer brennt – und erlöscht erst nach 90 Minuten wieder. Eine Katastrophe in der Überlinger Innenstadt bleibt aus.
Wer war dieser Mann?
Diese Frage steht im Zentrum des Prozesses, der am Freitag vor dem Landgericht Konstanz begonnen hat. Auf der Anklagebank: ein 47-Jähriger aus Überlingen, in der Stadt bekannt als ‚Hans‘, der Mann, der über Jahre hinweg Autos zerkratzte und mehrfach mit der Polizei zu tun hatte.
Nun geht es um weit mehr als Sachbeschädigung. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, das Feuer vorsätzlich gelegt zu haben, während mehrere Menschen in dem sanierten Fachwerkhaus schliefen. Zwei Ferienwohnungen in dem Haus waren in der Tatnacht belegt.
Doch lässt sich der Angeklagte zweifelsfrei als der Täter identifizieren? Das Überwachungsvideo zeigt eine vermummte Gestalt – Kapuze tief ins Gesicht gezogen, Schal darüber, Jeans, Sneaker. Für die Ermittler aus Überlingen steht dennoch früh fest, wer es gewesen sein soll.
Mehrere Polizisten treten am ersten Prozesstag als Zeugen auf. Sie kennen den Angeklagten seit Jahren, aus Kontrollen, aus Ermittlungen, aus Überlingen eben, wo er an einem Kiosk arbeitete. Der watschelnde Gang, die hängenden Schultern, die Augen, die rundliche Statur – für sie passt all das zum Mann, der nun schweigend im Schwurgerichtssaal sitzt.
„Ihm war klar, dass wir kommen“
Dass das Landeskriminalamt den Täter auf dem Video nicht eindeutig zuordnen konnte, spielt für einen Polizisten keine Rolle. Er sagt – wie alle seiner Kollegen auch: „Ich finde ihn supersympathisch, ich hab gar nichts gegen ihn.“ Der Angeklagte sei stets kooperativ gewesen. Aber kein Mann in Uniform lässt einen Zweifel daran: Der Mann auf dem Video, das kann nur einer sein.
Auch der kommissarische Leiter des Polizeireviers Überlingen schildert ihn als einen alten Bekannten, bei dem er schon ein Samurai-Schwert unter der Couch fand oder eine Cannabis-Plantage abbaute. Als die Polizei am Tag nach dem Brand mitten in der Nacht zur Durchsuchung an der Wohnung des 47-Jährigen eintraf, öffnete dieser selbst die Tür, ohne zu fragen, warum die Polizei kam. „Ihm war klar, dass wir kommen. Er hat ja direkt in die Kamera geschaut“, sagte der Revierleiter.
Sorge nach Gewalttaten
Dass der Angeklagte psychisch auffällig sei, davon zeigte sich der Polizist überzeugt. Er schilderte, der Mann laufe nachts mit Batterien in den Socken umher, bewaffne sich. Es wäre nicht verwunderlich, wenn er sich verfolgt fühle. Er werde auch beobachtet. In Überlingen hätten die Menschen damals zeitweise sogar ihre Autos umgeparkt, aus Sorge, der Autokratzer könnte wieder zuschlagen.
Nach Einschätzung des Beamten spielte auch der Drogenkonsum eine Rolle: Weil der 47-Jährige kein Cannabis mehr bekommen habe, sei die Situation womöglich eskaliert. Er habe sich gefragt, wohin das führen solle – besonders nachdem der Mann, der vorher nur Gegenstände beschädigt habe, plötzlich wegen Körperverletzungen auffiel.
Der Angeklagte schweigt
Der 47-Jährige selbst schweigt. Kein Wort zum Vorwurf der Brandstiftung. Kein Wort zu den anderen Vorwürfen – etwa den beiden Attacken auf Jugendliche in Überlingen. Beide Jungen sagten am Freitag aus, der Angeklagte habe sie ohne erkennbaren Anlass geschlagen oder herumgeschleudert und gegen eine Scheibe geworfen.
Am Nachmittag tritt eine Sachverständige des Landeskriminalamts auf. Ihr Auftrag war, herauszufinden, ob sich die sichergestellte Kleidung aus Mülltonnen des Angeklagten mit der auf dem Video getragenen Kleidung übereinstimmen. Bei drei Teilen – einer Used-Look-Jeans, einem Paar brauner Sneaker mit einer unbeschnürten Öse und einem Schlauchschal – entdeckte sie Übereinstimmungen. Besonders auf der Jeans stellte sie ein Detail an der Naht fest, das auch auf den Videoaufnahmen zu erkennen sei.
Spricht „Hans“ noch selbst?
Die Menschen, die in jener Nacht im Haus waren, bemerkten vom Anschlag offenbar nichts. Die Eigentümerin sah das Video erst Wochen später. Eine junge Frau, die mit Freundinnen eine der Ferienwohnungen nutzte, berichtete, man habe bis Mitternacht gefeiert und am Morgen das Haus verlassen. Die angekokelten Schoner auf den Treppen habe sie nicht gesehen.
Der Prozess wird am kommenden Dienstag fortgesetzt. Bis dahin bleibt offen, ob der Angeklagte sich noch äußern wird. Verteidiger David Schneider-Addae-Mensah hat eine mögliche Einlassung zumindest nicht ausgeschlossen. Bisher hat der Angeklagte den Vorwurf der Brandstiftung bestritten. Ein Urteil soll im August fallen.