Viele ältere Menschen sind von Depressionen betroffen. Und gerade Männer suchen den Ausweg aus der empfundenen Perspektivlosigkeit im Suizid – wie etwa der Unternehmer Wolfgang Grupp (83). Dabei ist fachliche Hilfe möglich und erfolgversprechend. Auch zur Vorbeugung von Altersdepressionen kann man einiges unternehmen.
Sind Altersdepressionen weit verbreitet?
Ja, auch weil die Depression insgesamt häufig vorkommt und etwa 30 Prozent der Menschen in Deutschland im Laufe des Lebens betrifft. Im Alter kommen Faktoren hinzu, welche die Gefahr einer Erkrankung vergrößern. So sinkt die Zahl der sozialen Kontakte. „Dazu treten gesundheitliche Einschränkungen, welche die Wahrscheinlichkeit erhöhen, eine Depression zu erleiden“, sagt Uwe Herwig, Professor und Ärztlicher Direktor der Psychiatrie und Psychotherapie Reichenau, dem SÜDKURIER.

Kommen Suizide und Suizidversuche öfter vor?
Das ist so. „Suizide unter Männern über 70 sind etwa viermal häufiger als bei Männern in jüngeren Altersgruppen“, sagt Uwe Herwig. Der vollzogene Suizid sei ein klares Phänomen der älteren Männer.
Mit welchen Symptomen geht die Altersdepression einher?
Zunächst unterscheiden sich die Symptome nicht wesentlich von denen, die bei depressiven Menschen in jüngeren Jahren auftreten. Dazu zählen laut Herwig die Energie- und Interesselosigkeit, Antriebsschwäche und Freudlosigkeit. Als weitere Symptome treten unter anderen Schuldgefühle und Suizidwünsche hinzu.
„Im Alter kommt dann die vermeintliche Perspektivlosigkeit noch besonders hinzu“, erklärt der Mediziner. Auch die Neigung, eine negative Lebensbilanz zu ziehen, gehöre zur Depression. Da sich Männer oft auch über ihre berufliche Leistung definierten, fehlten ihnen nun Aufgaben, Bedeutung und Einfluss. Körperliche Erkrankungen gingen teilweise mit Schmerzen einher. „Das erhöht die Wahrscheinlichkeit einer depressiven Verarbeitung.“
Ist die Altersdepression der Demenz ähnlich?
Laut Uwe Herwig kann es in frühen Phasen zu Verwechslungen zwischen Altersdepression und Demenz kommen. Manchmal träten beide Erkrankungen auch parallel zueinander auf. „Bei einem Menschen mit einer beginnenden kognitiven Einschränkung kann dies eventuell als Depression angesehen werden oder bei Depressionen mit kognitiven Einschränkungen wird eine Demenz befürchtet“, sagt der Psychiater. Die Mediziner berücksichtigen diese Befunde bei der Erstellung ihrer Diagnose.
Kann eine Altersdepression auch genetisch angelegt sein?
Ja, für Depressionen allgemein gibt es genetische Faktoren. „Wenn man weiß, dass in seiner Familie Depressionen vorgekommen sind, dann kann man bewusst präventiv dagegen vorgehen“, sagt Uwe Herwig.
Ist eine Altersdepression behandelbar?
„Absolut“, sagt Uwe Herwig. Man könne mit psychiatrischen Behandlungen sehr oft „deutliche Verbesserungen und auch Heilungen“ erreichen. Das bestätigten die Erfolge der Arbeit in der Psychiatrie Reichenau. „Es ist die Regel, dass wir helfen können“, betont der Mediziner. Er ermuntert Betroffene dazu, die gut etablierten Behandlungsmethoden zu nutzen.
Mit welchen Instrumenten gehen die Mediziner die Altersdepression an?
Im Mittelpunkt stehen Psychotherapie und Medikamente. Herwig tritt der verbreiteten Falschmeinung entgegen, dass etwa Psychotherapie im Alter keinen Nutzen mehr habe. „Das ist völliger Nonsens“, sagt der Fachmann. Es sei in jedem Lebensalter möglich, das psychische Wohlbefinden durch Reflexion der Lebenseinstellungen und kognitiver Verarbeitungen zu verbessern.
Der Arzt weist darauf hin, dass man in einer Depression sich selbst und die Umwelt negativer wahrnehme als sie wirklich sei, vor allem die Zukunft in düsteren Farben zu malen und sich auf den sich nähernden Tod zu fokussieren. Psychotherapie lenke unter anderem die Gedanken des Patienten wieder auf positive Inhalte und Chancen. „Das ist sehr wirksam“, sagt Herwig. Ein wesentlicher Teil der Behandlung sei auch der – eventuell zeitlich begrenzte – Einsatz von Psychopharmaka.
Ist es möglich, Altersdepression vorzubeugen?
„Auf jeden Fall“, sagt Psychiater Herwig. Er nennt zunächst die positive Wirkung von regelmäßiger Bewegung und Sport, etwa Wandern und Radfahren. Auch die Gesundhaltung des Körpers durch ausgewogene Ernährung sei wichtig.
Drittens nennt er die Rolle der sozialen Kontakte, die beispielsweise durch den Verlust des Ehepartners oder das Versterben alter Freunde und Bekannter bedroht sind, wenn dies auch, so Herwig, „schicksalhaft“ sei. Grundsätzlich kann man einer späteren Isolation durch neues Engagement in Vereinen oder Gruppen vorbeugen und Kontakte knüpfen. Mit dem Eintritt ins Rentenalter kann dann die neu gewonnene Zeit aktiv genutzt werden, um sich unter Menschen einzubringen. „Die Rente kommt ja nicht überraschend.“
Hilfe im Ernstfall: Das Zentrum für Psychiatrie Reichenau (ZfP) rät Menschen, die sich mit Suizidgedanken tragen, unbedingt ärztliche Hilfe zu suchen. Dafür sind auch beim ZfP Mediziner rund um die Uhr telefonisch erreichbar unter den Nummern 07531/977-0 oder 977-8700. (sk)