Erstmals seit Langem ist Überlingens wohl bekanntester Hänselevater Harald Kirchmaier beim Hänselejuck wieder in sein Häs geschlüpft. „Das letzte Mal als Hänsele mitgejuckt bin ich tatsächlich vor 28 Jahren“, sagt der heute 62-Jährige. Und: „Es fühlt sich gut an.“ Bis zu seinem Rücktritt 2021 war Kirchmaier 16 Jahre lang Hänselevater, davor als Hänselerat in der Zunft aktiv. Doch nun habe er ja „keinerlei Verpflichtungen mehr“. Passt das Hänsele denn überhaupt noch? „Es war sogar schon mal enger“, verrät er.

All die Jahre hatte Kirchmaier den Hänselejuck minutiös organisiert. „Jeder wusste, wann genau er wo zu sein hatte.“ Und auch die Wochen davor war er im Dauereinsatz, ob bei der Einweisung der Kinderhänsele oder beim Preiskarbatschenschnellen. „Ab Dreikönig gab es praktisch kein freies Wochenende.“

Die ehemalige Narrenmutter Wolfgang Lechler (links) überreicht im Oktober 2021 Ex-Hänselevater Harry Kirchmaier nach seinem Rücktritt ...
Die ehemalige Narrenmutter Wolfgang Lechler (links) überreicht im Oktober 2021 Ex-Hänselevater Harry Kirchmaier nach seinem Rücktritt die höchste Auszeichnung, die die Narrenzunft zu vergeben hat. | Bild: Hilser, Stefan

Doch irgendwann komme der Moment aufzuhören, sagt er, „und anderen, die ja auch wollen, das Feld zu überlassen“. Doch wäre dieser Moment ohne die besonderen Umstände des denkwürdigen Dreikönigstags 2021 schon so bald gekommen? Vielleicht nicht.

Böse Überraschung am Schmotzigen

Damals kassierte Kirchmaier – ebenso wie Narrenmutter Wolfgang Lechler – einen Bußgeldbescheid der Stadt Überlingen wegen angeblichen Verstoßes gegen die Corona-Verordnung. Der Vorwurf: Verlassen der Wohnung zum Karbatschenschnellen und Aufruf zu einer Versammlung, nämlich des Einschnellens um 12 Uhr. Ausgestellt ausgerechnet am Schmotzigen Dunschtig. Was heute nach einem schlechten Scherz klingt, war während der Corona-Wirren bitterer Ernst. Und bewog Kirchmaier, in einer sehr emotionalen Hauptversammlung den Bettel hinzuschmeißen. Im April 2021 wurde das Verfahren eingestellt.

Wie ist es ihm seither ergangen?

„Es ist mir sehr aufs Gemüt geschlagen“, gesteht er. „Zur Fasnet letztes Jahr habe ich mich nirgendwo blicken lassen.“ Hinzu kamen Herzprobleme. Ob das mit der emotionalen Aufwallung zu tun hatte, vermag er nicht zu sagen. Doch „förderlich war es sicher nicht“. Noch heute spürt man seine Ohnmacht über das empfundene Unrecht – auch wenn das Verfahren recht bald eingestellt wurde. Er habe ja nie zu einer Versammlung aufgerufen, sondern im Gegenteil dazu, sich voneinander fern zu halten, sagt Kirchmaier. Und wie solle man sich ausgerechnet beim Karbatschenschnellen zu nahe kommen?

Kirchmaier im Februar 2021 vor dem dm-Markt in der Lippertsreuter Straße. Hier schnellte er am 6. Januar trotz aktueller ...
Kirchmaier im Februar 2021 vor dem dm-Markt in der Lippertsreuter Straße. Hier schnellte er am 6. Januar trotz aktueller Corona-Verordnung, die Treffen und Aufrufen zu Veranstaltung verbot. Regionale und überregionale Medien berichteten über den Fall. | Bild: Hilser, Stefan

Damals gab es ein breites Medienecho auf den Vorfall. Zeitungen, Radio- oder auch Fernsehsender in ganz Deutschland griffen das Thema auf, die Kommentare auf Facebook überschlugen sich. „Unglaublich viele Leute sprachen mir Mut zu, auch ein ehemaliger Oberbürgermeister, boten mir sogar Geld für einen Rechtsstreit“, sagt Kichmaier. Einen kleinen Jungen, der ihm damals geschrieben hatte „Du bist der beste Hänselevater“, hat er erst vor ein paar Tagen mit dessen Vater getroffen. Diese Unterstützung aus der Bevölkerung habe ihn damals „getragen“.

Wie schaut er heute auf die Karbatschenaffäre?

Und heute, mit etwas Abstand? OB Zeitler habe ihn damals angerufen, erinnert sich Kirchmaier. Seither aber nicht mehr, dem ehemaligen Hänselevater zufolge gab es kein Wort der Versöhnung. Aus den Akten kenne er die Beteiligten bei Ordnungsamt und Polizei. „Mit einem habe ich schon mit 16 am Biertisch gesessen.“ Man sehe sich natürlich manchmal, so Kirchmaier, doch „man geht sich aus dem Weg“.

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Wie tief die Kränkung bis heute sitzt, wird deutlich: Als Hänselevater habe man ja immer mit Polizei und Ordnungsamt zu tun, ob Organisatorisches zu klären sei oder eines der 1600 Hänsele mal über die Stränge geschlagen habe. „Das hätte ich niemals mehr können.“ Doch auch „jemals wieder ein Ehrenamt in Überlingen zu übernehmen“, ist für Kirchmaier – zumindest Stand heute – „undenkbar“.