Ein Bodensee fast ohne Schiffe. Ein Paradoxon möchte man meinen, doch durch die Corona-Krise bis auf wenige Ausnahmen bereits Realität. Denn die Bootshäfen fallen unter Sportanlagen, und sind deshalb laut Artikel 4 Absatz 1 Nummer 5 der „Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2 (Corona-Verordnung)“ geschlossen. Dort heißt es, dass der Betrieb von „allen öffentlichen und privaten Sportanlagen und Sportstätten, insbesondere Fitnessstudios sowie Tanzschulen, und ähnlichen Einrichtungen“ bis zum Sonntag, 19. April, untersagt ist und diese geschlossen bleiben.
Geschlossene Häfen im Bodenseekreis
Laut einer Mitteilung des Landratsamts Bodenseekreis bedeutet Schließung der Häfen aber nicht Betretungsverbot. So sei der normale Betrieb, also die Nutzung von Anlagen und Booten zu Sport- und Freizeitzwecken zwar untersagt, das Gelände dürfe aber betreten werden, um die Sicherheit der Boote zu gewährleisten und um ein Boot zu beruflichen Zwecken zu nutzen, also eben nicht im Sinne einer Sport- oder Freizeitstätte. Claus Weitkamp vom Bodensee Yacht Club Überlingen sagt: „Das Verbot macht meiner Meinung nach Sinn. Es ist schwierig, auf andere Weise, als durch ein Verbot, die Leute dazu zu bringen, Maßnahmen zu ergreifen, die die Ausbreitung des Virus verlangsamen.“ Natürlich ließen sich immer Fälle konstruieren, wie weiterhin gesegelt werden könne, ohne dass sich Segler mit dem Virus infizieren oder andere Segler infizieren. Das sei allerdings schwer durchzusetzen und schwer zu kontrollieren.
Coronafreies Segeln
Gänzlich unbehelligt segelt derweil Jonathan Koch, ebenfalls Mitglied des Bodensee Yacht Club Überlingen, weiter. Und das vollkommen coronafrei und ohne das Risiko einer Infektion – zu Hause im Wohnzimmer, vor Kurzem noch auf einem Berg in Thailand oder auf der heimischen Couch. Denn der 25-jährige Master Student in „Europäischem Verwaltungsmanagement“ führt im Moment die deutsche Rangliste im eSailing an. Hier segelt man virtuell – in den bekanntesten Segelrevieren der Welt, beispielweise vor den Küsten von San Francisco, Sydney, Kiel oder Mallorca. Die App funktioniert auf Handy, Laptop oder Tablet, also von überall und ganz mobil. Die Gegner dazu kommen aus aller Welt.

Jonathan Koch sagt: „Ich habe einerseits schon immer eine Leidenschaft fürs Segeln, einen großen Ehrgeiz und auf der anderen Seite faszinierten mich Videospiele schon immer.“ Daher käme vermutlich auch der Erfolg im virtuellen Segeln. Seit knapp einem Jahr betreibt er eSailing, in September letzten Jahres wurde er Vize-Meister in Deutschland. „Das Ganze läuft über die App Virtual Regatta Inshore“, erklärt er. „Ich wär zwar auch gern auf dem Wasser, aber das ist auch super.“ Seit dem 1. März laufe die aktuelle eSailing Saison für die deutsche Meisterschaft und Weltmeisterschaft. Seitdem sei er fast täglich online Segelboot gefahren.
Die Deutsche Segel-Bundesliga weiß sich zu helfen
Nun sei die „echte“ Deutsche Segel-Bundesliga durch die Corona-Krise erst einmal auf Juli verschoben worden. Dann habe man sich beraten, wie man weiter verfahren solle und sei auf die Idee einer eSailing Bundesliga gekommen. Das erste Event fand am Freitag, 10. April, statt. Es seien 68 Vereine mitgesegelt, sagt Koch. „Das Schöne ist, dass so auch Teams mitsegeln können, die normalerweise nicht in der Bundesliga dabei wären“, sagt er. Laut der Deutschen Segel-Bundesliga orientiert sich das Format ansonsten aber eins zu eins an der Segel-Bundesliga: „Club gegen Club, viele kurze Rennen sowie eine feste Anzahl von Spieltagen, die aus jeweils fünf Rennen bestehen. Die ersten sechs Clubs in der Ligatabelle nach sieben Spieltagen treten anschließend im Finale um den Titel „eSailing-Meister der Segelvereine“ an. Alle Rennen sowie die Ergebnisse werden live auf YouTube, Facebook und segelbundesliga.de übertragen.“ Jonathan Koch ist beim ersten Event auf den dritten Rang gesegelt.
Anke Lukosch, Projektleiterin der Segel-Bundesliga sagt: „Wir wollen den Seglern, den Clubs und den Liga-Fans gerade jetzt eine Möglichkeit geben, unseren großartigen Sport und die Begeisterung für die Liga aufrecht zu erhalten: mit eSailing Connection in Zeiten von Social Distancing.“ Die Idee, die DSBL virtuell zu starten, sei dabei gemeinsam mit Liga-Sponsor BAY entstanden. Karl-Christian Bay, geschäftsführender Gesellschafter, sagt: „Der Sport hat gerade in Zeiten wie diesen eine wichtige Aufgabe und kann einen erheblichen Beitrag dazu leisten, die derzeitigen Einschränkungen des öffentlichen Lebens einigermaßen erträglich zu machen. Der Ansatz, die Segel-Bundesliga virtuell am Bildschirm zu starten, ist richtungsweisend und kann eine Blaupause auch für andere Sportarten darstellen.“
eSailing zwar Alternative, aber kein Ersatz
Trotz aller Vorteile sei eSailing für Jonathan Koch aber natürlich kein Ersatz zum echten Segelsport. Er sagt: „Natürlich würden alle Segler lieber den Wind, das Wasser und die Wellen spüren, aber das geht zur Zeit eben nicht.“ Doch das eSailing habe auch Vorteile, die das echte Segeln nicht bieten könne. So könne man sich praktisch und taktisch gut weiterbilden, da man sich nicht so viel Gedanken machen müsse. „Man kann viel mehr Taktik dabei erlernen. Das fehlt, glaube ich, vielen Seglern. Beim virtuellen Segeln kann man sich viel besser auf das „Spielfeld“ konzentrieren“, sagt er.
Die Zahl der Spieler sei laut Koch seit Corona extrem gestiegen, auch im Bodensee Yacht Club Überlingen habe es einen großen Anstieg gegeben. Die Mitglieder seien vorwiegend durch die Bundesliga und wahrscheinlich durch ihn auf das eSailing aufmerksam gemacht worden, vermutet er. Man sei nun gerade dabei, ein Konzept zu entwickeln, wie man das eSailing noch weiter im Verein einbauen könne, beispielsweise abends nach einem Segeltag bei einem Bierchen gegeneinander, sagt Jonathan Koch. Er selbst habe auch schon an ein Seminar mit Tipps und Tricks zum virtuellen Segeln gedacht. Dafür betreibt er bisher auch sein eigenes Forum namens eSailing Germany.