Er soll 75 Autos im Stadtgebiet von Überlingen zerkratzt, mit Klebstoff übergossen, mit Farbe besprüht oder ihre Schlösser verklebt haben: Vor dem Landgericht Konstanz hat am Mittwoch der Prozess gegen einen 45-jährigen Mann begonnen. Außerdem habe er 38 Mal Klebstoff in Haustürschlösser gesprüht. Und er habe beleidigende Parolen an öffentliche Flächen gesprüht.
Angeklagt ist der Mann in Summe für 117 Fälle, die sich zwischen Januar 2022 und März 2023 ereigneten. Der Gesamtschaden liege bei rund 245.000 Euro. Der Gerichtsprozess ist auf drei Tage angesetzt. Die Staatsanwaltschaft hält ihn für gemeingefährlich und begehrt seine Unterbringung in der Psychiatrie.
Die Zweifel der Verteidigung
Der 45-jährige Angeklagte wird verteidigt von Rechtsanwalt David Schneider-Addae-Mensah aus Karlsruhe, der erhebliche Zweifel an der Arbeit der Polizei sät. Er wirft den Beamten einen Ermittlungseifer vor zur Beruhigung von Fällen, die in Überlingen für Verunsicherung unter der Bevölkerung sorgten. Beweise gegen seinen Mandanten gebe es nicht. Dennoch hätten sie in vorverurteilender Weise nur das eine Ziel, „meinen Mandanten wegzusperren“.

Der Angeklagte wohnt seit 2017 in Überlingen. Aufgewachsen ist er in Albstadt, seine Kindheit galt als behütet. Nach dem Hauptschulabschluss absolvierte er eine Ausbildung zum Orthopädietechniker. Seit Jugendtagen konsumiert er Cannabis. Er wechselte sehr oft seine Arbeitsstelle, seine Beziehung ging 2017 in die Brüche. Ab 2018 wurde er in Überlingen straffällig.
2020 legte er ein Geständnis ab
So stand der Orthopädietechniker im Jahr 2020 für eine Serie von 59 Sachbeschädigungen gegen Autos vor Gericht. Die Fälle wurden damals unter dem Begriff „Hans“ bekannt. So nannte sich die Ermittlungsgruppe der Polizei, bezogen auf das Wort „Hans“, das der Angeklagte in die Motorhaube eines Autos kratzte. Damals legte der Angeklagte ein Geständnis ab.
Beim Prozess im Jahr 2020 kam der Angeklagte mit einem Freispruch davon. Das Landgericht hielt ihn für schuldunfähig, nachdem der bestellte psychiatrische Gutachter eine paranoide Schizophrenie diagnostizierte. Das Gericht ordnete damals die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus an, setzte sie allerdings zur Bewährung aus. Als Bewährungsauflage wurde ihm aufgetragen, sich einer ambulanten psychiatrischen Behandlung zu unterziehen.
Polizei ermittelte in über 100 Fällen
Nachdem bei der Polizei im Jahr 2022 erneut Sachbeschädigungen gegen Autos in der Altstadt angezeigt wurden, fiel der Verdacht auf den in der Altstadt wohnenden Mann. Die Polizei gründete eine Ermittlungsgruppe, diesmal unter dem Namen „Uhu“. Der Name bezieht sich auf Flüssigkleber, der bei einer Vielzahl von Fällen zum Einsatz kam.
Die Polizei ermittelte in über 100 Fällen, die sich aus ihrer Sicht einem einzigen Täter zuordnen ließen. Es seien Parallelen erkennbar. Insbesondere, was die in den Lack gekratzten Wörter und das Schriftbild betrifft. Es ergebe sich auch ein Muster, was Tatorte und Tatzeiten anbelangt.
Überwachungskamera in der Turmgasse
Als Durchbruch für ihre Ermittlungen betrachtet die Polizei das Material einer Überwachungskamera in der Turmgasse. Darauf ist zweierlei zu sehen: Wie im Januar 2023 um Mitternacht herum ein Mann an den Türschlössern einer Trafostation hantiert – am nächsten Tag wurde dort Klebstoff festgestellt. Zum anderen, wie die selbe Person in den folgenden Tagen mehrfach nachts durch die Gasse spaziert und etwas vom Boden aufhebt. Die Polizei geht davon aus, dass er Kieselsteinchen aufhob, mit denen er unweit auf einem Parkplatz Autos zerkratzte. Die Tatzeit jedenfalls würde passen.
Für die Polizei steht zweifelsfrei fest, dass es sich bei der Person um den Angeklagten handelt. Er sei auf den Videos im Gesicht trotz einer Kapuze erkennbar, an der Statur, an seinem „watscheligen Gang“, wie ein Polizist im Zeugenstand sagte, und an der Kleidung, die später beim Angeklagten beschlagnahmt wurde. Ein weiteres Indiz dafür, dass sie den richtigen dingfest machten: Seit er im März in die Psychiatrie gebracht wurde, gebe es keine derartigen Fälle mehr.
Gegenschlag: Verteidiger zeigt die Polizei an
Aus Sicht des Verteidigers, Rechtsanwalt David Schneider-Addae-Mensah, gibt es keine Beweise, nur Indizien, die er für unzureichend hält. Vielmehr habe sich die Polizei auf seinen Mandanten „eingeschossen“. Es gebe in keinem Fall einen Zeugen. Die Person auf dem Video in der Turmgasse könne jede andere Person gewesen sein, bei der beschlagnahmten Kleidung handle es sich um Allerweltsklamotten. Vor Prozessbeginn erstattete Rechtsanwalt Schneider-Addae-Mensah deshalb Strafanzeige: Gegen die Polizei und gegen einen Überlinger, der Kratzer in seinem Auto meldete. Er wirft ihnen falsche Verdächtigungen und Verleumdung vor. Er lehnt auch den psychiatrischen Gutachter ab, da es derselbe Facharzt wie beim Prozess von 2020 ist. „Er ist ein besonderer Repräsentant der Vorverurteilung“, sagte der Verteidiger.
Der Prozess wird fortgesetzt.