Patrick Ruetsch hält sich zugute, ein Autofahrer zu sein, der sich an Regeln hält. „Da fühlt es sich nicht gut an, wenn man geblitzt wird.“ Es ist der 24. September, 7.50 Uhr: Ruetsch ist auf dem Weg zur Arbeit, er steuert den Firmenparkplatz bei der Volksbank in der Altstadt an. Beim Auto vor ihm blitzt es. Ruetsch denkt an eine Tempokontrolle, vergewissert sich, dass er korrekt fährt – und zack, blitzt es auch bei ihm. Denn es handelt sich gar nicht um eine Tempokontrolle. Vielmehr werden alle Autofahrer geblitzt und mit einem Knöllchen bedacht. Auf Verdacht.

Die Rechnung wird Ruetsch mit Datum vom 8. Oktober zugestellt, in Form einer Verwarnung der Stadt Überlingen. 50 Euro wegen einer angeblichen Ordnungswidrigkeit, begangen in der Jakob-Kessenring-Straße. Der Vorwurf: „Sie beachteten mit einem Kraftfahrzeug nicht das bestehende Verkehrsverbot, Zeichen 260.“

Der Poller an der Kapuzinerkirche, Eingang zur Jakob-von-Kessenringstraße.
Der Poller an der Kapuzinerkirche, Eingang zur Jakob-von-Kessenringstraße. | Bild: Stefan Hilser

Freie Fahrt zum Pizzaholen

Zeichen 260 verbietet die Einfahrt. In diesem Fall ist es mit dem Zusatz „Anlieger frei“ versehen. „Anlieger“: Das ist ein schwammiger Begriff. Pino Arena, Wirt am Landungsplatz, ließ sich vom Ordnungsamt deshalb bestätigen, dass Anlieger im Sinne des Schildes auch die sind, die bei ihm im Gasthaus Greth eine Pizza abholen. Es gibt aber auch die, die in Wahrheit keine Anlieger sind.

Wir fragten im Rathaus nach. „Der Grund für die Verkehrskontrolle waren Beschwerden, dass bei Öffnung des Pollers in der Andienungs- und Lieferzeit die Jakob-Kessenring-Straße von einer Vielzahl von unberechtigten Fahrzeuglenkern befahren wird und es dadurch zu Gefährdungen der Rad- und Fußgänger kommt.“ Die Kontrolle habe zwischen 7.30 Uhr und 8.14 Uhr stattgefunden, 30 „Fälle“ seien erfasst worden.

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Patrick Ruetsch muss nicht zahlen. Er erkundigte sich beim Ordnungsamt und wies sein Anliegen nach. So wie einige weitere Autofahrer, die sich von sich aus meldeten. Eine ausdrückliche Information, dass es sich um eine Art Verdachts-Blitzerei handelte, gab es mit dem Strafzettel nicht. „Es ist nicht richtig, einfach jedem einen Strafzettel zu schicken“, lautet Ruetschs Rechtsempfinden.

Offensichtlich wurden die beanstandeten Autofahrer nicht im Vorfeld darauf hingewiesen, dass sie, falls Anlieger, das Verwarnungsgeld nicht bezahlen müssen. Vielmehr erhielten sie erst Auskunft, wenn sie sich von sich aus meldeten. Auf entsprechende Frage teilte die Pressestelle der Stadt mit: „Bei Rückfragen im Verwarnungsverfahren wurden die KFZ-Führer darauf hingewiesen, dass die Verwarnung nur dann zu bezahlen ist, wenn sie kein Anliegen nachweisen können.“ Bei Parkverstößen in Anliegerbereichen mache man es ähnlich, indem die Anliegereigenschaft „im laufenden Verfahren“ geprüft werde. Immerhin: Bei Rückfragen habe man die Sache „niederschwellig“ geklärt. „Die Anlieger können bereits in einem Telefongespräch ihr Anliegen nachweisen und müssen keine Beweismittel vorlegen, sofern es plausibel und nachvollziehbar ist.“ Wie zu hören ist, war Ruetsch nicht der einzige Anlieger, der diese Aktion „schwierig“ findet. Die Stadt plane nach eigener Aussage „in nächster Zeit keine weitere Kontrolle“.