3 Uhr nachts in Überlingen-Deisendorf. Die Polizei steht vor der Tür der Wohngruppe Berghof der Linzgau Kinder- und Jugendhilfe. Mitgebracht haben die Beamten einen jungen Mann in Handschellen. Situationen wie diese gibt es wirklich, sagt Mirjam Goll ehrlich. Dann krabbelt sie aus dem Bett in ihrem Büro und ist hellwach. Bereit für die Arbeit.

Die 27-Jährige ist in der Wohngruppe für acht Jungs zwischen zwölf und 21 Jahren zuständig. Als Sozialarbeiterin begleitet sie den Alltag dieser Kinder und Jugendlichen, die oft aus schwierigen familiären Verhältnissen kommen. Morgens frühstückt Goll mit ihnen. Mittags hilft sie bei den Hausaufgaben, führt Gespräche und überprüft, dass die Aufgaben im Haus erledigt werden, oder spielt Basketball im Hof. Am Abend schaut Goll, dass alle rechtzeitig im Bett sind – und auch nachts ist sie da, wenn es Probleme gibt – „das kommt aber selten vor“.

Die 27-jährige Mirjam Goll wusste schon früh, dass sie später einmal im sozialen Bereich arbeiten möchte. Heute ist sie für die Jungs in ...
Die 27-jährige Mirjam Goll wusste schon früh, dass sie später einmal im sozialen Bereich arbeiten möchte. Heute ist sie für die Jungs in der Wohngruppe Berghof der Linzgau Kinder- und Jugendhilfe zuständig. | Bild: Mona Lippisch

Strukturierter Alltag ist für Jugendliche wichtig

Der Alltag in der Wohngruppe ist strukturiert. Das soll den Jugendlichen Halt geben. Auch Freizeitaktivitäten wie Ausflüge, Sportstunden oder Gruppenabende gehören zum Programm. Mirjam Goll und ihre Arbeitskollegen sind in jeder Situation die ersten Ansprechpartner für die Jungs.

„Bei uns lernen die Jugendlichen Menschen kennen, auf die sie sich verlassen können“, sagt die 27-Jährige und ergänzt: „Das haben viele noch nie erlebt.“ Das Ziel ihrer Arbeit: die Rückführung der jungen Männer in die Familie. Doch das ist gar nicht so einfach, wie Goll bereits in den ersten Monaten in ihrem Job feststellte.

Rückführung in die Familie klappt nur selten

„Theoretisch erlerntes Wissen kann der Realität nicht immer standhalten. Beispielsweise musste ich mit der Zeit lernen, dass eine Rückführung in die Herkunftsfamilie eher der Einzelfall ist.“ Eine Verhaltensänderung bei den Kindern und Jugendlichen zu bewirken sei nicht gerade einfach. „Sie müssen es selbst wollen, sonst klappt es nicht“, weiß die Sozialarbeiterin.

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Goll selbst bemühe sich stets, dass die Jungs mit ihrer Hilfe Autonomie erlangen. „Sie sollen später für sich einstehen und sich um sich selbst kümmern können“, betont die 27-Jährige. Manchmal bekomme sie Anrufe von jungen Erwachsenen, die sie früher einmal betreute. Diese Anrufe bedeuten Goll viel.

„Sie bedanken sich dann für alles und manch einer hat sich auch schon dafür entschuldigt, dass er damals vielleicht nicht ganz so kooperativ war“, erzählt sie. „Im Nachhinein verstehen sie, dass ihnen die Zeit bei uns etwas gebracht hat. Das freut mich.“

Nach dem Studium zur Linzgau Kinder- und Jugendhilfe

Doch wie kam Mirjam Goll ausgerechnet zur Sozialarbeit? Ihr sei schon früh klar gewesen, dass sie später in diesem Bereich arbeiten möchte. „Meine Familie ist sehr sozial engagiert und ehrenamtlich unterwegs. Ich bin damit aufgewachsen“, erklärt die 27-Jährige. Nach dem Studium der Sozialen Arbeit landete sie direkt bei der Linzgau Kinder- und Jugendhilfe.

Wenn andere in ihrem Alter am Wochenende durch Kneipen und Bars ziehen, ist Goll mitunter beim Arbeiten. Doch das stört sie nicht. „Klar haben wir auch abends Dienst und Nachtbereitschaft. Dafür habe ich dann eben meistens am Vormittag frei oder nach einem Wochenenddienst ein bis zwei komplette Tage. Es passt so für mich.“

Zu den Aufgaben von Mirjam Goll gehört auch Schreibtischarbeit, wie zum Beispiel die Dokumentation des Verhaltens der einzelnen ...
Zu den Aufgaben von Mirjam Goll gehört auch Schreibtischarbeit, wie zum Beispiel die Dokumentation des Verhaltens der einzelnen Jugendlichen. | Bild: Mona Lippisch

Ist die 27-Jährige dann doch mal unterwegs, hört sie häufig die Frage, was sie denn den ganzen Tag mache. „Viele können sich nicht vorstellen, was die Jugendlichen brauchen und dass ich eben den Alltag mit ihnen verbringe und zum Beispiel Hausaufgaben mit ihnen mache“, erzählt Goll und schmunzelt.

Eine andere typische Reaktion sei Respekt vor ihrer Arbeit. „Einige wissen eben, dass ich mit Jugendlichen zu tun habe, die delinquent sind, von Sucht betroffen sind, psychische Krankheiten haben oder straffällig sind.“ Diese Fakten beunruhigen Mirjam Goll jedoch nicht.

Angst habe sie noch nie gehabt. Stattdessen weiß die Sozialarbeiterin, an wen sie sich in brenzligen Situationen wenden kann. „Wir haben viele Ansprechpartner, zum Beispiel den Fachdienst und den Bereitschaftsdienst, mit denen wir eng zusammenarbeiten. Außerdem stehen wir in enger Zusammenarbeit mit dem Jugendamt, Schulen, Beratungsstellen, der Polizei und Psychologen.“

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Mirjam Goll: „Wir bekommen zu wenig Anerkennung“

Im Gesamten betrachtet Mirjam Goll ihre Arbeit als „gesellschaftlich sehr relevant“. Sie würde sich wünschen, dass sich diese Relevanz mehr im Gehalt widerspiegelt. „Dafür, dass die Arbeit so wichtig ist, bekommen wir zu wenig Anerkennung“, betont sie. Trotzdem liebt die 27-Jährige ihren Job, insbesondere die intensiven Beziehungen, die dabei entstehen.

„Durch den ständigen Kontakt zu den Jugendlichen kann ich mit ihnen ganz anders arbeiten, Beziehungsarbeit leisten und Verbindlichkeiten schaffen“, erklärt Goll. Und das möchte die junge Frau auch in Zukunft weiterhin machen: mit Jugendlichen arbeiten. Ob bei der Linzgau Kinder- und Jugendhilfe oder bei einer anderen Organisation hält sie sich noch offen. „Vielleicht gehe ich irgendwann mehr in Richtung Beratung und Therapie. Für den Moment bin ich hier in Überlingen aber sehr glücklich.“