Genau ein Jahr ist es her, dass 1500 Menschen auf dem Landungsplatz gegen Rechtsextremismus demonstrierten. Mittlerweile gehört das Wort „Remigration“ unverhohlen zum Sprachgebrauch der AfD. An diesem Samstag Ende Januar geht es in der Innenstadt rund um das Marktgeschehen wieder um Politik, aber in anderer Form. Einen Monat vor der Bundestagswahl werben die Parteien an Ständen um Stimmen. Dazwischen läuft eine kleine Gruppe der „Omas gegen rechts“ mit Plakaten und Fahnen umher und spricht Passanten an. Sie verteilen Karten, auf denen dafür geworben wird, seine Stimme zu nutzen und zur Wahl zu gehen.
Sprüche, Vorwürfe und viele Diskussionen
„Wir sind überparteilich!“, betont Brigitte Kennerknecht, die die Gruppe in Überlingen vertritt. „Viele sind froh, dass wir da sind“, beschreibt sie die Rückmeldungen, die sie heute Morgen schon erhalten haben. Die meisten reagierten positiv oder bedankten sich für das Engagement. Aber auch Anfeindungen gehörten dazu, so Brigitte Kennerknecht. Einige schleudern ihnen Sprüche oder Vorwürfe entgegen, aber zu einer Diskussion käme es selten. Nicht allen sei bewusst, wie fragil die Demokratie sei, haben einige aus der Gruppe den Eindruck. Den Vorschlag, die Rechten mal machen zu lassen, quasi mal auszuprobieren, sei gefährlich. „Das ist in Deutschland schon einmal schiefgegangen“, sagt Irene Bensler.
Die Mitstreiter, zu denen auch Männer gehören, mit und ohne Enkel, setzen sich für Werte wie Toleranz, Demokratie und Vielfalt ein. Dabei bringen sie ihre Lebenserfahrung und eine gewisse Besonnenheit ein. Wie dringend die im politischen Diskurs gebraucht wird, hat Jürgen Schmitz im vergangenen Jahr erfahren. Er hat vier Monate lang vor den Europawahlen regelmäßig vor dem Rathaus mit einem Schild um den Hals demonstriert. Darauf listet er die Bundesländer auf, in denen die AfD als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft wird. Heute hat er zusätzlich seine Gitarre mitgebracht und das Lied „Ermutigung“ von Wolf Biermann. Es beginnt mit der Zeile „Lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit“. Jürgen Schmitz findet, „das Lied spiegelt die Situation, in der wir uns als Gesellschaft gerade befinden, sehr gut wider“.
Ein Beispiel liefern die Vertreter am AfD-Stand, die die Gruppe auffordern, nach Hause zu gehen und die Enkel zu hüten. Das sei noch recht harmlos im Gegensatz zu Sprüchen, die sie vor einer Veranstaltung mit Alice Weidel in Ittendorf zu hören bekommen hätten, berichtet Karin Gonzalez.

Wenig Bereitschaft zum gegenseitigen Zuhören
Heute löst die Gruppe mit ihren Plakaten bei einigen Passanten Reaktionen aus, die von neugierigem Beobachten, Daumen hoch oder abfälligem Grunzen reichen. Nicht jeder Kommentar ist inhaltlich eindeutig. So echauffiert sich eine Frau, mit ihrer Aktion würden sie alles noch schlimmer machen. Auch die Hetze gegen Trump sei kontraproduktiv. „Ihr spielt denen in die Karten!“, ruft sie noch im Weggehen. Die Mitstreiter der Gruppe hätten gern erfahren, wie sie das begründet, aber da ist sie schon verschwunden. Die Begegnung scheint typisch für die aktuelle politische Auseinandersetzung zu sein: viele Emotionen, aber wenig Bereitschaft zum Austausch von Argumenten und gegenseitigem Zuhören.
Laut gegen rechts
Da kommt ein junger Mann mit einer lilafarbenen Weste auf die „Omas“ zu und sagt: „Danke, dass ihr da seid!“. Er heißt Simon Oberdörffer und ist Direktkandidat der Partei Volt, die heute auch ihren Stand in der Münsterstraße aufgebaut hat.
In Ravensburg knüpften zuletzt nach Schätzung der Polizei rund 10.00 Menschen, mehr als erwartetet, an die Proteste vor einem Jahr an und demonstrierten unter dem Motto „Laut gegen rechts“. Dazu hatten 160 Organisationen, Vereine und Unternehmen aufgerufen.