Eva-Maria Bast

„Mama, wie geht es dir?“, fragt das kleine Mädchen und schenkt seiner Mutter ein Glas Wasser ein. Die Angesprochene lächelt und streicht der Vierjährigen liebevoll über das vor Eifer gerötete Bäckchen. „Es geht mir gut, mein Schatz.“ Die Kleine, Elisa, erwidert. „Ich hab dich lieb, Mama.“ Und die Mutter, Katharina Kuhlmann, sagt: „Ich hab dich auch sehr lieb.“

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Dieses Gespräch findet auf der sonnenbeschienenen Terrasse der Familie statt – doch gut geht es Katharina Kuhlmann nicht wirklich. Eine Woche zuvor hatte sie einen Schlaganfall, seit wenigen Tagen ist sie wieder zu Hause. Die Ruhe, die sie dringend braucht, gönnt sie sich nicht. Sie kann es nicht. Denn sie hat niemanden, der sie unterstützt.

Katharina Kuhlmann eine Woche nach dem Schlaganfall in ihrem Garten mit Töchterchen Elisa.
Katharina Kuhlmann eine Woche nach dem Schlaganfall in ihrem Garten mit Töchterchen Elisa. | Bild: Eva-Maria Bast

Katharina Kuhlmann? Ein Schlaganfall? Man mag es sich kaum vorstellen! Diese junge, erfolgreiche Frau, die einstige Miss Tuning, die zur veganen Backkönigin wurde und sich und ihre Backwerke auf ihrem Instagram-Kanal oder auch mal auf Zeitschriften-Covern präsentiert?

Auch bei Katharina Kuhlmann trügt der Schein

Auf diesen Bildern sieht sie doch immer so kerngesund aus, so strahlend, so entspannt. Das reinste Familienglück in einer Pippi-Langstrumpf-Villa inmitten von Gänseblümchen und Pferden. Doch vieles ist eben nicht so, wie es scheint. Und wenn man sich Katharina Kuhlmanns Geschichte anhört, verwundert es eher, dass die 44-Jährige nicht schon längst zusammengebrochen ist.

Ein Fotoshooting aus jener Zeit, als die Karriere begann. 2004 war Katharina Kuhlmann Miss Tuning.
Ein Fotoshooting aus jener Zeit, als die Karriere begann. 2004 war Katharina Kuhlmann Miss Tuning. | Bild: Tuning World Bodensee

Mit 30 erkrankte sie selbst an Krebs

Eigentlich beginnt die Leidensgeschichte vor 22 Jahren, als die Mutter an Krebs stirbt. Dennoch macht Kuhlmann Karriere, wird Model und Moderatorin. Bis auch sie 2012 an Krebs erkrankt. Da ist sie um die 30. Ein Signal für sie, die Reißleine zu ziehen. Kuhlmann steigt aus dem Showbusiness weitgehend aus, beendet ihr Leben auf der Überholspur und wendet sich der veganen Backkunst zu, wird auch hier erfolgreich.

Bei der IBO-Messe in Friedrichshafen 2015.
Bei der IBO-Messe in Friedrichshafen 2015. | Bild: IBO

Sohn Aaron entwickelt frühkindlichen Autismus

Das geht so einige Jahre und es kostet durchaus Kraft, macht aber Spaß. Sie macht auch noch damit weiter, als sie Mutter wird. Dann kommt ihre jüngere Tochter auf die Welt und ihr damals eineinhalbjähriger, hochsensibler Sohn Aaron entwickelt frühkindlichen Autismus. Er spricht nicht mehr, braucht viel Liebe und Aufmerksamkeit, eine Rundumbetreuung.

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Kurz darauf wird bei der kleinen Elisa ebenfalls Autismus diagnostiziert – aber in atypischer Form. Das Mädchen kann mit seinen vier Jahren schon lesen, ist ständig unterfordert. Katharina Kuhlmann tut ihr Bestes, um ihnen gerecht zu werden – nicht einfach in der Pandemie.

Katharina Kuhlmann 2016 auf der Überlinger Hofstatt mit ihren Hunden Molly, Struppi und Daisy (von links).
Katharina Kuhlmann 2016 auf der Überlinger Hofstatt mit ihren Hunden Molly, Struppi und Daisy (von links). | Bild: Reiner Jäckle

Der 80-jährige Vater in der Ukraine leidet an Krebs

Dann geht alles Schlag auf Schlag. Am 24. Februar überfällt Russland die Ukraine. Und für Katharina Kuhlmann bricht eine Welt zusammen. Nicht nur, weil sie, wie wohl die meisten Menschen, die Vorstellung, dass wieder Krieg in Europa herrscht, einfach schrecklich findet. Nein, Kuhlmann sorgt sich um ihren 80-jährigen Vater, der mit seiner zweiten Frau in Odessa lebt, auch er leidet an Krebs und hatte bereits zwei Schlaganfälle.

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„Mein Vater ist niemand, der tut, was die Obrigkeit sagt. Wenn die Bevölkerung gebeten wird im Haus zu bleiben, dann geht er spazieren“, erklärt sie und zeigt ein Video, das er ihr geschickt hat. Der Vater sitzt in der Sonne, trinkt Kaffee, während um ihn die Sirenen heulen. „Es ist gefährlich hier, du hörst die Sirenen“, sagt er lächelnd. „Jeden Moment muss ein Angriff kommen.“ Und dann trinkt er seelenruhig den nächsten Schluck Kaffee.

Sie muss schreckliche Nachrichten aus der Ukraine verkraften

Zur allgemeinen Angst kommt also das Wissen, dass ihr Vater nichts tut, um sich zu schützen. Es sind noch weitere persönliche Nachrichten aus der Ukraine, die die Überlingerin aufwühlen. „All das geht mir aus der Ferne schon so nah“, sagt Katharina Kuhlmann, der es immer schlechter geht. Nicht nur psychisch, auch gesundheitlich: Am 23. März hat sie eine schwere Kiefer-OP.

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Eigentlich muss sich Katharina Kuhlmann ausruhen, das geht aber nicht. Die Kinder fordern sie, sehr. Am Ende ist es ihr Körper, der für sie die Notbremse zieht. Das geschieht am Morgen des 1. April. Katharina Kuhlmann ist so erschöpft, dass sie nicht in der Lage ist aufzustehen. „Mein linkes Bein war wie tot und der linke Arm hat schrecklich wehgetan. Mir war ganz kalt und dann fing das rechte Bein an zu zittern.“

Katharina Kuhlmann direkt nach ihrem Schlaganfall im Krankenhaus.
Katharina Kuhlmann direkt nach ihrem Schlaganfall im Krankenhaus. | Bild: Katharina Kuhlmann

In diesem Moment sieht sie, dass ihr kleiner Sohn im Begriff ist, auf das Fensterbrett zu klettern. Er hätte sich schwer verletzen können. Kuhlmann will ihn hindern, doch sie kann sich ja nicht bewegen und jetzt stellt sie fest, dass sie auch kein Wort herausbringt. Zum Glück kommt in dem Moment ihr Mann ins Zimmer, rettet das Kind und bemerkt dann, dass es seiner Frau nicht gut geht. „Krankenwagen“, stößt sie hervor.

Am Tag nach dem Schlaganfall hat sie eine linksseitige Lähmung

Man bringt sie sofort nach Singen. Intensivstation. Dann Neurologie. „Als sie mich am nächsten Morgen untersuchen wollten, bemerkte ich, dass ich weder mein linkes Bein noch meinen linken Arm heben kann. Ich bekam eine Panikattacke.“ Katharina Kuhlmann findet den Schlaganfall schlimmer als ihre Krebserkrankung. „Jetzt habe ich Kinder, das ist eine ganz andere Ausgangssituation. Da denke ich nur: Oh Gott, meine Kinder. Und ich will auch kein Pflegefall sein.“

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„Viele Menschen denken, starke Frauen brauchen keine Hilfe“

Letztendlich, findet die 44-Jährige, habe sie einen riesigen Schutzengel gehabt. „Ich sehe das als zweite Chance.“ Auch hinsichtlich der Selbstreflexion, denn: „Ich dachte, es sei alles gut in meinem Pippilottaleben, ich hielt mich für reflektiert und aufgeräumt. Aber der Druck ist immer noch da. Man fühlt sich immer schlecht und hat das Gefühl, nie allem gerecht zu werden: Kinder, Pferde, Partnerschaft und was ist mit mir? Gibt es mich eigentlich auch noch? Viele Menschen denken, starke Frauen brauchen keine Hilfe“, hat Katharina Kuhlmann festgestellt.

Auch jetzt, drei Tage nach ihrer Rückkehr aus dem Krankenhaus, hängt alles an ihr. Eine Haushaltshilfe bekommt sie nicht, dabei bräuchte sie so dringend Hilfe und sie gibt es auch zu. Und andere Frauen sollten das auch tun, findet sie: „Ich will gern allen Frauen auf dem Weg geben, dass sie sich dem gesellschaftlichen Druck nicht beugen müssen. Und dass sie auch aufhören sollen, sich selbst Druck zu machen. Wir machen uns selbst Druck, weil wir das Bild haben von der perfekten Mutter, Ehefrau, Frau, Geschäftsfrau, die alles unter einen Hut bringt.“

Immer perfekt gestylt: Katharina Kuhlmann kurz vor Weihnachten 2017.
Immer perfekt gestylt: Katharina Kuhlmann kurz vor Weihnachten 2017. | Bild: Arndt, Isabelle

„Es ist okay zu sagen, ich kann nicht mehr“

Dieser Druck entstehe, weil es bei anderen ja scheinbar auch mit so viel Leichtigkeit geht, so, wie es ja auch auf ihren Instagram-Bildern so leicht aussieht. Obwohl es gar nicht leicht ist. Katharina Kuhlmann: „Ich will mir selbst eine Stimme geben. Es ist okay zu sagen, ich kann nicht mehr, es ist okay zu sagen, ich schaffe das nicht, es ist okay zu sagen, ich brauche Hilfe. Und es ist okay, auch mal einen Termin mit sich selbst zu machen.“