Heide Meißner schwimmt weiter. Im übertragenen Sinne. Seit Wochen verkauft sie einen Teil ihrer Schuhe zum Sonderpreis. Jene, die das Wasser verschonte. Für viele andere kam die Rettung zu spät. „Es war eine völlige Verwüstung, es war unvorstellbar“, erinnert sich Meißner an den 5. September.

Die Ereignisse jener Nacht sind Meißner noch genau in Erinnerung. Starke Regenfälle hatten große Teile der Innenstadt geflutet. Besonders betroffen war die Altstadt, wo der Nellenbach zu einem reißenden Strom anschwoll und angrenzende Gassen in Sturzbäche verwandelte. Es gab rund 100 Feuerwehreinsätze, nahezu im gesamten Stadtgebiet.

6. September 2024: Knöcheltief stehen die Feuerwehrmänner im Wasser und montieren die Rohre einer Pumpe. Das Bild entstand im ...
6. September 2024: Knöcheltief stehen die Feuerwehrmänner im Wasser und montieren die Rohre einer Pumpe. Das Bild entstand im Untergeschoss im Parkhaus Post. | Bild: Hilser, Stefan

Als Meißner mit ihrem Auto gegen 21 Uhr in die überflutete Pfarrhofstraße einfuhr, wurde ihr das Ausmaß der Zerstörung allmählich bewusst. „Hier ist alles heruntergeströmt“, berichtet sie und deutet auf die Spitalgasse, die östlich an ihren Laden angrenzt. Die Wassermassen hatten die Ladentür eingedrückt und sich ihren Weg in den Verkaufs- und Lagerraum gebahnt. „Fast einen Meter hoch stand es hier drin“, erinnert sich die Schuhhändlerin.

Der Kampf gegen die Wassermassen

Zusammen mit Nachbarn und Angestellten des Eiscafés „Cristallo“ begann Meißner sofort, das Wasser aus den Räumen zu schöpfen. Die Schuhe im Verkaufsraum standen unter Wasser, und im Lager waren ganze Regalreihen umgekippt. „Bis 1 oder 2 Uhr nachts schöpften wir das Wasser aus den Räumen“, erinnert sich Meißner.

Die Bilanz war ernüchternd: Rund zwei Drittel ihrer Ware war hinüber. „Schuhe fangen sofort an zu schimmeln, wenn sie nass werden“, erklärt die Händlerin. Die genaue Schadenshöhe möchte Meißner nicht preisgeben, beschreibt sie jedoch als „riesig“. Zum Glück sei sie versichert, aber die Abwicklung werde noch Wochen dauern.

Im Schuhgeschäft H von Heide Meißner stand das Wasser nach ihren Angaben bis zu einem Meter hoch. Ihr Nachbar, Marco Garau vom Eiscafé ...
Im Schuhgeschäft H von Heide Meißner stand das Wasser nach ihren Angaben bis zu einem Meter hoch. Ihr Nachbar, Marco Garau vom Eiscafé „Cristallo“ hält einen Eisenhaken in der Hand, mit dem er Schachtdeckel öffnete, damit das Wasser in der Pfarrhofgasse besser abfließen konnte. | Bild: Hilser, Stefan

Marco Garau, Inhaber des Eiscafés „Cristallo“ und einer der tatkräftigen Helfer, erinnert sich: „Ich habe mit einem Eisenhaken die Schachtdeckel geöffnet, damit das Wasser besser abfließen konnte.“

Der Haken, den er vor einiger Zeit von der Stadtverwaltung erhielt, sei regelmäßig im Einsatz – durch Laub verstopften die Schächte nämlich häufig, sagt Garau und fügt an: „Wenn es stark regnet, dann sammelt sich das Wasser genau vor Frau Meißners Laden. Aber so viel wie im September war es noch nie.“ Sein Café habe keinen Schaden genommen, wie er sagt.

Das Schaufenster von Heide Meißners Laden macht Kunden auf den Sonderverkauf aufmerksam.
Das Schaufenster von Heide Meißners Laden macht Kunden auf den Sonderverkauf aufmerksam. | Bild: Maike Stork

Trockner sollen nasse Wände retten

Seit 39 Jahren verkauft Heide Meißner Schuhe in Überlingen, davon die Hälfte im Laden in der Pfarrhofstraße. Dort stehen derzeit mehrere Raumtrockner, die täglich literweise Wasser aus den Mauern ziehen. „Sechs bis acht Wochen dauert das“, erklärt Meißner.

Danach steht eine Renovierung an. Eine Zwischenlösung für den Verkauf zu finden, sei schwierig, sagt Meißner. „In der Größe gibt es einfach nichts.“

Eimerweise Wasser ziehen die Raumtrockner täglich aus den Wänden des Schuhgeschäfts.
Eimerweise Wasser ziehen die Raumtrockner täglich aus den Wänden des Schuhgeschäfts. | Bild: Maike Stork

Hätte die Flut verhindert werden können?

Doch nicht nur die Schäden beschäftigen Meißner, sondern auch die Frage nach der Verantwortung. Schon in der Flutnacht machte sie ihrem Ärger Luft und kritisierte die Stadtverwaltung. Schachtdeckel würden nicht regelmäßig gereinigt und verstopften, so Meißner. Die Gefahr durch den nahegelegenen Nellenbach sei bekannt – dass trotzdem nichts passiere, sei für sie kaum hinnehmbar.

Doch die Stadtverwaltung wiegelte ab. Helmut Köberlein, Leiter der Abteilung Tiefbau, verteidigte die Maßnahmen des Werkhofs kürzlich im Bauausschuss und betonte, dass Straßeneinläufe zweimal jährlich gereinigt würden. Mehr könne man personell nicht leisten, so Köberlein. Meißner hingegen sieht hier ein Versäumnis. „Zweimal im Jahr, das kann doch nicht klappen“, sagt Meißner mit Blick auf einen Schacht in ihrer Straße, in dem sich schon wieder Laub sammelt.

Die Einläufe würden von der Stadt nicht regelmäßig genug gereinigt, meint Heide Meißner. Dadurch verstopften sie.
Die Einläufe würden von der Stadt nicht regelmäßig genug gereinigt, meint Heide Meißner. Dadurch verstopften sie. | Bild: Maike Stork

Eigentümer müssen Vorsorgen treffen

Auch Köberleins Appell an die Eigenverantwortung der Hausbesitzer kann Meißner nicht überzeugen. Als Mieterin könne sie keine Wasserschotts, wie von Köberlein vorgeschlagen, anbauen lassen. Das sei Sache des Eigentümers. Dieser sei zwar informiert, aber eine langfristige Lösung noch in Planung.

„Wir müssen etwas unternehmen, sonst läuft das hier immer wieder voll“, sagt Meißner und weist auf den Klimawandel hin, der immer häufiger extreme Wetterlagen bringe. Die Überlinger Kanäle, kritisiert sie, seien für diese Bedingungen zu klein dimensioniert.

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Köberlein sieht die Stadt allerdings nicht in der Lage, ein Kanalsystem zu bauen, das solche Extremwetterereignisse wie im September bewältigen könne. Dennoch sollen die problematischsten Abschnitte künftig ausgebaut werden.

Helmut Köberlein, Abteilungsleiter Tiefbau der Stadt Überlingen.
Helmut Köberlein, Abteilungsleiter Tiefbau der Stadt Überlingen. | Bild: Hanspeter Walter

Zudem arbeite die Verwaltung derzeit an einer Starkregenereigniskarte, die gefährdete Gebiete kennzeichnet. Sie soll Mitte November im Gemeinderat vorgestellt werden und Bürgern Empfehlungen zur Vorsorge geben. Stadtsprecherin Andrea Winkler stellt auf Nachfrage jedoch klar, dass nicht an allen Stellen im Stadtgebiet Entlastung geschaffen werden kann.

Alle packen mit an

Trotz allem hat Heide Meißner auch Positives erlebt: die Solidarität ihrer Kunden und Nachbarn. Viele brachten Blumen und Süßigkeiten vorbei und boten ihre Unterstützung an. „Kunden kamen und haben mich in den Arm genommen, mir ihre Hilfe angeboten“, erzählt sie gerührt. Auch ihre Mitarbeiter seien unermüdlich gewesen und hätten den Laden wieder hergerichtet, sagt Meißner.

Nach fast vier Jahrzehnten im Schuhgeschäft lässt sich Heide Meißner nicht entmutigen. „Wir schwimmen weiter“, sagt sie mit einem Lächeln, als eine Kundin ihr Geschäft betritt. Sobald die Renovierung abgeschlossen ist, will sie ihren Laden wieder öffnen – und sich für die Zukunft noch besser wappnen.