Um 22 Uhr löscht Samir Bajram das Licht in der Turnhalle. Mit Rücksicht auf die Kinder, die hier leben – und schlafen sollen. Die Parzellen haben keine abschließbaren Türen, im Eingang hängt nur ein Vorhang. Menschliche Geräusche aller Art können nahezu ungehindert durch die Halle schwirren. Privat- und Intimsphäre? Ist hier schwierig herzustellen.
18 Wohnboxen für bis zu 72 Menschen in einer Halle
Der Bodenseekreis öffnete am 2. November in der alten Turnhalle des Gymnasiums in Überlingen eine Notunterkunft. Notgedrungen, weil die Gemeinschaftsunterkünfte voll belegt sind. Die 18 Wohnboxen sind jeweils 20 Quadratmeter groß. In ihnen stehen im Normalfall vier Betten, Spind und Kühlschrank. Kein Tisch. Der Speisesaal dient als Aufenthaltsraum. Bislang leben hier 25 Personen. Die Maximalbelegung sieht bis zu 72 vor.

Samir Bajram ist für die Sicherheit der Bewohner verantwortlich. Er arbeitet als Objektschützer im Auftrag der Langenargener Firma CMS Sicherheit und Schutz, die vom Bodenseekreis beauftragt wurde, läuft Streife vor und im Gebäude. Auf die Frage, was er in den ersten drei Wochen seit Öffnung der Notunterkunft beobachten konnte, antwortete Bajram: „Ruhe.“
Sicherheitsdienst schützt innen und außen
Natascha Fuchs, Leiterin des Amtes für Migration und Integration im Bodenseekreis, erklärt die Funktion der Security-Kräfte: „Die Menschen sitzen hier enger aufeinander als in einer Gemeinschaftsunterkunft mit abschließbaren Räumen. Deshalb braucht es den Schutz nach innen. Aber auch nach außen.“ Es stehe nicht direkt etwas zu befürchten, trotzdem drehen die in Schwarz gekleideten Männer regelmäßig Streife. „Uns ist es wichtig, im Sinne eines Risikomanagements das Gelände vorher abzusichern.“

Julia Dobler macht einen taffen Eindruck. Auch sie ist bei der Sicherheitsfirma CMS angestellt, in der Notunterkunft ist sie die Managerin und als solche für die Registrierung der Neuankömmlinge in der Halle zuständig. Sie sagt: „Im Normalfall sind die Leute froh, dass sie überhaupt eine Bleibe haben. Andere sind unzufrieden damit, dass sie ihren eigenen Raum nicht abschließen und so leben können, wie sie es von zu Hause gewohnt sind.“
Syrische Familie wollte erst nicht einziehen
Eman Alsalem Alhummada ist schwanger. Sie erwartet Zwillinge. Sie, ihr Mann Abdullmunem Alsaloum, und ihre drei Töchter, sind aus Syrien geflüchtet. Die Familie lebte zunächst in einer Gemeinschaftsunterkunft des Bodenseekreises in Owingen-Billafingen. Am 23. November wurden sie in die Notunterkunft in der Turnhalle verlegt.
Als die Syrische Familie sah, dass sie in nächster Zeit in einer zur Hallendecke offenen Wohnbox ohne Fenster leben müssen, machten sie auf dem Absatz kehrt. Julia Dobler berichtet, dass sie dann aber doch zurückgekommen seien, als die Nacht hereinbrach und sie realisierten, dass es momentan keine andere Herberge für sie gibt.
Die Alternative sei ein Leben auf der Straße
Ein Freund von Abdullmunem Alsaloum übersetzt am Telefon. Er berichtete, dass die Familie sehr traurig darüber sei, nun in diesem einen Zimmer leben zu müssen. Sie könnten das kaum verstehen, es sei ihnen aber behördlicherseits klargemacht worden, dass die Alternative ein Leben auf der Straße sei.
Zwei Tage nach unserem Treffen schickte Abdullmunem Alsaloum eine E-Mail. Darin schreibt er: „Sie haben das Camp mit eigenen Augen gesehen. Dies ist ein Ort, der nicht für Kinder und Familien geeignet ist. Ich bitte Sie, die Öffentlichkeit zu informieren, weil meine Kinder nicht schlafen können.“ Die „Ruhe“, von der Sicherheitsmann Bajram spricht, erlebt Familienvater Alsaloum bislang nicht. Er schreibt in seiner Mail: „Junge Männer reden die ganze Nacht in Lauten Stimmen.“
Heimleiterin erklärt Gründe für den Umzug
Elena Becker arbeitet als Heimleiterin in der Notunterkunft. Angestellt ist sie beim Landkreis. Man habe auf Wunsch der syrischen Familie und aus Fürsorge für die schwangere Mutter entschieden, sie in die Notunterkunft zu verlegen. So wird rund um die Uhr für sie gesorgt. Wenn die Wehen einsetzen, könne der Transport ins Krankenhaus umgehend organisiert werden. Nach der Geburt ihrer beiden Babys werde die Mutter bekocht.
Vollverpflegung und Schule fürs neue Leben
Man merkt Elena Becker eine zupackende Art an, die für gute Laune in einer aus nackten Wänden bestehenden Halle sorgt. „Wir begegnen hier Menschen, die Schutz suchen. Wir bieten ihnen eine Bleibe und einen geregelten Tagesablauf.“
Im Gegensatz zu den Gemeinschaftsunterkünften gibt es in den Notunterkünften keine Küche, in der die Bewohner selbst sich etwas zubereiten können. Sie bekommen drei Mal täglich Essen von einem Caterer. Auf der Speisekarte steht, wenn es Fleisch gibt, bevorzugt Geflügel. Die kleinere Gymnastikhalle wurde zu einer Art Mensa ausgebaut.
Die Menschen kommen aus den verschiedensten Nationen, vor allem Afghanistan, Syrien und Irak. „Wir möchten keine Ghettobildung“, sagte Elena Becker, die mit ihrem Team versucht, die Bewohner untereinander in Kontakt zu bringen. „Wir vermitteln ihnen Werte, die für uns in Deutschland wichtig sind. Wir machen keinen Unterschied zwischen Mann und Frau, zwischen Kinderlosen und Großfamilien.“ Elena Becker: „Wir bringen ihnen Manieren bei, was ein Lächeln bewirkt. Was es bedeutet, sich zu öffnen. Wir sprechen ihnen Mut zu.“
Die drei Mädchen von Eman und Abdullmunem finden im leer geräumten Turngeräteraum eine Spielecke, Platz zum Rennen und Toben gibt es zudem auf dem Schulhof. Elena Becker: „Kinder möchten manchmal schreien. Sie sollen schreien, Kinder sind Kinder. Sie haben keine Verständigungsprobleme untereinander, egal, aus welchem Land sie kommen und welche Sprache sie sprechen. Das Spiel und der Spaß verbindet sie.“

Becker berichtet, dass in ihre Arbeit mit den Flüchtlingen auch die Männer vom Sicherheitsdienst eingebunden sind. Sie beschreibt, wie sie mit den Kindern zum Beispiel Kürbisgeister schnitzten. „Unsere Security-Kräfte sind toll, sie haben ein riesen großes Herz für die Kinder.“
Menschliche Wärme gegen räumliche Kälte? Das Team gibt sich bei unserem Besuch erkennbar die größte Mühe. Nach den ersten drei Wochen ihrer neuen Arbeit sagte Managerin Julia Dobler: „Bis jetzt kommen alle gut miteinander aus.“