Anfangs ist er ein kleiner Punkt, dann wird er auf der Videoaufnahme der Überwachungskamera immer größer. Der Angeklagte läuft auf den Parkplatz einer Diskothek in Markdorf. Ein Türsteher am Eingang bringt sich bereits in Stellung. Dann sprintet der Angeklagte los. In der Hand: eine abgebrochene Bierflasche.
Er läuft auf den Türsteher zu. Dieser zückt ein Pfefferspray, wartet – und drückt. Der Angeklagte fasst sich vor Schmerz in die Augen. Er brüllt, zeigt mit dem Finger auf den Sicherheitsmann, brüllt wieder. Was er sagt, hören die Anwesenden im Saal des Überlinger Amtsgerichts nicht. Die Aufnahmen der Überwachungskamera sind ohne Ton.
Den Anfang macht eine Jacke
Sieben Monate nach dieser Szene sitzt der Angeklagte unbeeindruckt und mit Fußfesseln im Gerichtssaal. Er trägt eine graue Jogginghose, eine Daunenjacke und hinter dem Ohr ein Tattoo. Seit Januar 2023 ist er in der Justizvollzugsanstalt Konstanz in Untersuchungshaft.
Dem 22-Jährigen wird zur Last gelegt, in dieser Nacht im Juli 2022 zwei Mitarbeiter des Nachtclubs mehrfach bedroht zu haben. Auslöser soll ursprünglich eine Situation an der Garderobe gewesen sein, so die Anklageschrift. Der Angeklagte soll dort seine Jacke nicht erhalten haben, weil er die Ausleihmarke nicht vorzeigen konnte. Anschließend sei er ausgerastet.
2,2 Promille im Blut
Anschließend sei der Mann aus der Diskothek geworfen worden und habe vor der Tür einen Türsteher gedroht, er werde ihn mit einer Machete „kleinhacken“ oder „abstechen“. Zwei Mal soll er noch zum Eingang zurückgekommen sein – beim zweiten Mal mit der zerbrochenen Glasflasche in der Hand. Erst als die Polizei ihn in Gewahrsam nahm, war die Situation beruhigt. Diese stellte bei ihm später einen Alkoholgehalt von 2,2 Promille fest.
Geständig erst nach Verhandlungspausen
Der 22-Jährige behauptet zu Anfang der Verhandlung, sich nicht an die Vorfälle zu erinnern. Seine Verteidigerin schaut skeptisch zu ihm und bittet Amtsrichter Alexander von Kennel um eine Verhandlungspause. Nach der Videoaufnahme sagt er: „Nein, das war ich nicht.“ Nach einer weiteren Verhandlungspause fängt der Angeklagte an zu reden.
„Ich war sehr besoffen und in der Jacke waren 500 Euro“, sagt er. Doch die Jacke habe er später nicht mehr wiedergesehen, die Ausleihmarke auch nicht. Diese Aussage sorgt beim Amtsrichter für Skepsis. Außerdem sei es in der Sommernacht nicht so kalt gewesen, dass eine solche Reaktion wegen einer Jacke gerechtfertigt sei, so von Kennel. Unzurechnungsfähig sei er auch nicht gewesen, so der Richter mit Verweis auf die Videoaufnahmen. „So gerade läuft ja wohl kein Besoffener.“
Verschuldet, vorbestraft und Alkoholprobleme
Der Angeklagte ist bereits mehrfach vorbestraft und arbeitete vor dieser Nacht als Monteur für Elektro-Anlagen. Er wurde bereits zwei Mal auf Bewährung verurteilt und hat mit der Tat im Juli 2022 gegen Bewährungsauflagen verstoßen. Der Mann berichtet von Alkoholproblemen. Außerdem habe er keinen Schulabschluss, sei in den vergangenen Jahren zwischenzeitlich arbeitslos gewesen und habe etwa 20.000 Euro Schulden.
Als Zeuge sagt einer der beiden bedrohten Mitarbeiter der Diskothek aus. Laut dem 42-Jährigen hätte einer seiner Freunde die Jacke dem Angeklagten zur Garderobe gebracht. „Die Jacke war also gar nicht mehr in der Garderobe“, sagt er. Doch selbst das habe ihn nicht beruhigt. Dann stupst die Verteidigerin den Angeklagten an. Er erhebt leise die Stimme. „Ich wollte mich bei dir entschuldigen“, sagt er zum Zeugen. „Ich war nicht gegen dich, sondern wollte nur meine Jacke haben.“
Vieles spricht für Freiheitsstrafe
Nach Ende der Vernehmung bittet die Verteidigerin um ein „mildes Urteil“, die Staatsanwaltschaft fordert dagegen eine mehrmonatige Freiheitsstrafe. Amtsrichter Alexander von Kennel orientiert sich an Letzterem: Er verurteilt den Angeklagten zu acht Monaten Freiheitsstrafe.
Er begründet das Urteil mit der begrenzten Einsicht des Angeklagten, seiner schlechten Sozialprognose, den Verstoß gegen Bewährungsauflagen und der bewiesenen Schuldfähigkeit in der Tatnacht. Er kritisiert auch seine halbherzige Entschuldigung. „Da habe ich schon empathischere Entschuldigungen hier im Saal erlebt“, sagt von Kennel. Unverständnis gibt es für die Reaktion auf die Situation an der Garderobe. „Das war eine Kleinigkeit, warum sie da ausgerastet sind“, sagt von Kennel. „Aktuell sind Sie eine tickende Zeitbombe und brauchen dringend professionelle Hilfe.“