Jeder Lampenschirm, jede Salzdose in ihrem Haus atmet Geschichte. Die vor 100 Jahren im Kurviertel von Überlingen gebaute Villa war immer ein Ort der Begegnung. Prinz Philipp saß hier schon am Tisch, ebenso der Gründer der Schule Schloss Salem, Kurt Hahn. Kristin Müller-Hausser: „Das Haus war immer voll. Immer.“

Nun ist es ruhig geworden. Eine treue Katze schleicht durch das Wohnzimmer, das die Innenarchitektin Kristin Müller-Hausser hell und geschmackvoll eingerichtet hat. Sie hat sich entschlossen, das Haus an eine Familie mit drei Kindern zu verkaufen.

Zum Vorzugspreis für eine fünfköpfige Familie

„Wenn ich es an eine Immobilienfirma verkauft hätte, hätte ich eine halbe Million Euro mehr bekommen“, ist sich die 78-Jährige sicher. Zum einen wolle sie Platz machen für junge Familien und ein Beispiel dafür geben, wie eine alleinstehende Person den Wohnraum freigibt, den andere dringender benötigen. „Nur die Katze und ich, das geht gar nicht.“

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Zum anderen wolle sie über den günstigeren Preis dafür sorgen, dass ihr Elternhaus nicht abgerissen wird. Im Grundbuch könne man es nicht festschreiben, sie habe aber Vertrauen in die Käufer, die sie gut kennt. „Deshalb mache ich das noch mit warmer Hand“, was so viel heißt, wie: solange sie noch im Vollbesitz ihrer Kräfte ist.

Vor 100 Jahren wurde die Villa mit Seeblick gebaut

Die Großeltern von Kristin Müller-Hausser waren vor 100 Jahren die ersten Bewohner. Sie stammten aus Kiel-Kitzeberg, die Familie machte ihr Geld mit einem Bankhaus und einer Zuckerraffinerie in Kanada, ihr Opa war ausgemusterter Korvettenkapitän der Kaiserlichen Marine. Ihren Lebensabend, berichtet Kristin Müller-Hausser, wollten ihre Großeltern mit Blick aufs Wasser genießen, des guten Klimas wegen zogen sie gen Süden, nach Überlingen, das damals schon als das Nizza vom Bodensee gegolten habe.

Kristin Müller-Hausser mit Katze in ihrem Wohnzimmer.
Kristin Müller-Hausser mit Katze in ihrem Wohnzimmer. | Bild: Hilser, Stefan

Ihre Großmutter hieß Lisa Elmenhorst. Elmenhorst, so wie die Villa bis heute heißt. Den vielen Platz im Haus teilten sie von Anfang an, berichtet Kristin Müller-Hausser. Alle fünf Kinder ihrer Großeltern besuchten die Schule Schloss Salem, die damals neu gegründet war, und sie luden viele Kameraden ein. „Prinz Philipp saß auch hier am Tisch und hat schlechte Manieren mitgebracht, berichtete meine Mutter immer.“

Vererben nicht erst mit dem Tod

Die Hausherrin schenkt noch einmal Kaffee nach. Überm Esstisch hängt ein Leuchter, der noch aus der Zuckerraffinerie in Kanada stammt, wie Müller-Hausser berichtet.

Leuchter aus der kanadischen Zuckerraffinerie ihrer Vorfahren.
Leuchter aus der kanadischen Zuckerraffinerie ihrer Vorfahren. | Bild: Hilser, Stefan

Und sie zeigt ein Gefäß, aus dem wohl schon Goethe Salz genommen hat. So dokumentierte es ihr Vater, der alle wertvollen Gegenstände im Haus mit einem Zettelchen bedachte, „und später jedes Stück mit warmer Hand übergeben hat“. Da war er wieder, der Grundsatz, das eigene Hab und Gut noch im Vollbesitz der eigenen Kräfte abzugeben.

Ein Gefäß, aus dem Goethe mutmaßlich schon Salz schöpfte.
Ein Gefäß, aus dem Goethe mutmaßlich schon Salz schöpfte. | Bild: Hilser, Stefan

Auf dem Zettelchen beim Salzfass steht, dass es aus dem Haus des Dichters Johann Gottfried Herder stamme, in dem auch Goethe ein- und ausgegangen sei. In Weimar.

Ihr Vater war der Architekt des Kursaals

Mit Weimar ist ihre Geschichte väterlicherseits verbunden. Ihre Großmutter lernte Malen am Bauhaus. Ihr Vater wurde Architekt. Nachdem er ihre Mutter kennenlernte, „an Weihnachten vor der Herderkirche im Schnee“, zog er dann nach Überlingen. Dietrich Müller-Hausser, so sein Name, eröffnete in Überlingen ein Architekturbüro. Sein in der Stadt bekanntestes Werk ist der unter Denkmalschutz stehende Kursaal.

Notizblock von 1989/90 aus dem McDonald‘s Moskau.
Notizblock von 1989/90 aus dem McDonald‘s Moskau. | Bild: Hilser, Stefan

Kristin Müller-Hausser kam 1944 in Überlingen im Sankt Ulrich zur Welt, dem heutigen städtischen Pflegeheim. Sie studierte Innenarchitektur. Mit ihrem damaligen Mann, einem Architekten, führte sie eine Einrichtungs GmbH, die im großen Stil Hotels und Restaurants ausstattete, wie für die Paulaner-Brauerei in Singapur, „mit richtigem Maibaum“.

Ein Auftrag für McDonald‘s in München führte zu Aufmerksamkeit in der Zentrale der Fast-Food-Kette. „So haben wir dann 1988/89 den ersten und größten McDonald‘s in Moskau gebaut.“ Sie wurde wieder daran erinnert, als der Konzern sich nach der russischen Invasion in der Ukraine im März aus Moskau zurückzog.

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Enttäuschendes Ende im Gemeinderat

Nach mehr als 30 Jahren in München kam die Innenarchitektin Kristin Müller-Hausser zurück nach Überlingen. Sie engagierte sich politisch für den Erhalt der Platanenallee und kam zur BÜB, für die sie bis Oktober im Gemeinderat saß. Zuvor wurde sie, nach dem Verlust des Fraktionsstatus‘, aus beratenden Ausschüssen entfernt. „Die haben mich aus dem Arbeitskreis Gastronomie rausbugsiert.“ Das sei besonders schmerzhaft gewesen, weil sie sich mit ihrem Sachverstand gerne weiter zum Wohl der Stadt eingebracht hätte.

Letzte Station irgendwann im Sankt Ulrich?

Nun sieht die 78-Jährige zu, wie unweit ihrer Villa ein Mehrfamilienhaus gebaut wird, in dem sie sich eine Eigentumswohnung sicherte. Sofern am Standort des alten Pflegeheims Sankt Ulrich zu ihren Lebzeiten Wohnungen entstehen, was denkbar ist, dann wolle sie ein weiteres Mal umziehen. „Das hätte was, dort zu sterben, wo man geboren wurde.“