Viele Fragen blieben am Dienstag vor dem Amtsgericht Überlingen offen. Verhandelt wurde gegen den 40-jährigen Geschäftsführer einer Reinigungsfirma aus dem Bodenseekreis. Der Staatsanwalt legte ihm zur Last, Sozialversicherungsbeiträge für Mitarbeiter nicht oder nicht vollständig abgeführt zu haben. Ins Rollen gekommen war der Fall durch eine Anzeige und Ermittlungen des Zolls.

Die Rede war von einem Zeitraum von 16 Monaten und mehr als 90.000 Euro, eine Schätzung des Zolls. Gegen den Strafbefehl hatte der Mann Einspruch eingelegt. Jetzt saß er auf der Anklagebank und gab sich unschuldig. „Das stimmt nicht. Ich weiß nicht, warum das so ist“, sagte er über den hohen Geldbetrag.

Dass er das Unternehmen im November 2019 gegründet hatte und mit der Wahl seines Steuerberaters nicht gut beraten war, sahen sowohl Richter Alexander von Kennel als auch der Staatsanwalt so. Sein Verteidiger nannte die Buchführung des Mannes gar eine „Sauerei“.

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Wie sein Geschäftsmodell als Auftragnehmer, teils als Subunternehmer von anderen Reinigungsfirmen, aber auch als Auftraggeber funktioniert, konnte er nicht vermitteln. Selbst auf deutliche Nachfrage des Richters lieferte er keine detaillierte Erklärung. „Ich will mal ihr Geschäft verstehen“, ärgerte sich von Kennel. Konkret nahm er Bezug auf den Auftrag einer anderen Reinigungsfirma für die Reinigung von 72 Bahnhöfen. „Es kommt Schnee und es müssen alle geräumt werden. Wie organisiere ich das?“, fragte der Amtsrichter.

Pauschale Vergütung, auch ohne gearbeitet zu haben

Der 40-Jährige gab an, nicht mehr zu wissen, wann er wie viele Mitarbeiter hatte. Ob auf Minijob-Basis oder nicht, blieb ebenso unklar. „Der Zoll hat die Unterlagen“, lautete seine Begründung. Nach Bedarf meldete er Mitarbeiter laut eigener Aussage an und ab. Für viele Aufträge gab es angeblich pauschale Vergütung. Ein Beispiel: Selbst, wenn die Bahnhöfe nicht von Schnee und Eis zu befreien waren, erhielt die Reinigungsfirma Geld. Verschiedene Rechnungen belegen dieses Vorgehen. Die betreffenden Winter waren laut Wetteraufzeichnung von den Temperaturen her mild. Alexander von Kennel hatte entsprechende Recherchen angestellt.

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Da sich die Umstände nicht genau klären ließen, war fraglich, ob die Schadensberechnung mit rund 90.000 Euro trägt. Dass etwas nicht richtig gelaufen war, hielt der Staatsanwalt indessen für unstrittig. Beispielsweise stimmten Arbeitnehmerlisten, die Firmen von dem Unternehmer gefordert hatten, nicht mit den bei der Rentenversicherung verzeichneten Abgaben überein.

Der Verteidiger sagte, man müsse alle Arbeitnehmer mal vernehmen, worauf von Kennel entgegnete: „Wir haben ein paar Vornamen, nicht mal Adressen.“ Diskutiert wurden vor Gericht auch die Frage des Vorsatzes und die Idee, einzelne Zeiträume innerhalb der 16 Monate in der Tiefe zu betrachten.

Niedrige Lohnaufwendungen deuten auf Schwarzarbeit

Eine Zollbeamtin gab Einblicke, wie die Ermittlungen und Nachermittlungen abgelaufen waren. „Unsere Erfahrung ist, dass in der Branche kurzfristig Personal benötigt wird“, sagte die Mitarbeiterin des Hauptzollamts Ulm. Die Vermutung der Schwarzarbeit passe zu den niedrigen Lohnaufwendungen der Reinigungsfirma. Diese werden mit den Umsätzen des Betriebs in Beziehung gesetzt.

Der Bundesgerichtshof (BGH) geht von einer Lohnquote in Höhe von 66,66 Prozent aus. Hinzu kommen unter anderem die Materialkosten. Von dem Dienstleister, der den 40-Jährigen mit der Reinigung und dem Winterdienst in den Bahnhöfen beauftragt hatte, erhielten die Beamten nach Angaben der Zollbeamtin „nur wenig Unterlagen“. Dabei stammte ein Großteil der Zahlungen von der Firma.

„Unsere Erfahrung ist, dass in der Branche kurzfristig Personal benötigt wird.“
Zollbeamtin

Andere hatten bereitwillig an den Ermittlungen gegen den Angeklagten mitgewirkt. Dies veranlasste den Anwalt des 40-Jährigen dazu, die Interessenlage bei den ebenfalls an den Gewinnen beteiligten Unternehmen infrage zu stellen. Amtsrichter Alexander von Kennel schlug vor, dem Mann, der verheiratet ist, drei Kinder und bereits Schulden hat, eine Geldzahlung in Höhe von 10.000 bis 15.000 Euro aufzuerlegen. „Wir haben die besondere Situation der Pauschalverträge. Milde Winter, wenig Arbeit. Mit der Schätzung kommen wir nicht hin“, sagte der Richter über die Lohnquote des BGH. Einer Verfahrenseinstellung nach Paragraf 153a konnte der Staatsanwalt im Gerichtssaal nicht zustimmen. Von ihm wird in den kommenden Wochen eine Stellungnahme zu dem Vorschlag erwartet.

Der Angeklagte appellierte: „Bitte beeilen Sie sich.“ Seit der Anzeige gegen ihn hätten die Menschen Angst vor seiner Firma, worauf von Kennel antwortete: „Wir haben nun mal das System der Sozialversicherungsbeiträge.“ Als erste Reaktion auf das Verfahren hatte der Familienvater seinen Steuerberater ausgetauscht.