Ein Amtsblatt heißt Amtsblatt, weil darin amtliche Mitteilungen stehen. Es ist kein Organ, mit dem eine Stadtverwaltung Werbung in eigener Sache machen dürfte. Dazu gibt es höchstrichterliche Urteile. Es gilt das Prinzip der Staatsferne. Dennoch veröffentlicht das Überlinger Rathaus in dieser Woche einen Beitrag, der auch als Wahlwerbespot für die anstehende OB-Wahl vertont werden könnte. Er ist nicht amtlich, sondern hochpolitisch und kommentierend.

In Überlingen heißt das städtische Blättle „Hallo Ü“. In der aktuellen Ausgabe geht die Stadtverwaltung auf das seit Jahren kontrovers diskutierte Thema Baupolitik ein. In einem durchaus nachvollziehbaren Kommentar begründet die Bauverwaltung, warum sie es für richtig hält, städtische Grundstücke für Baugebiete zu öffnen. Das Rathaus argumentiert mit dem Grundbedürfnis Wohnen und bemüht dafür die Menschenrechts-Charta. Der freie Wohnungsmarkt biete zu wenig bezahlbaren Wohnraum für Menschen niedriger Einkommen, deshalb müsse die öffentliche Hand ihre eigenen Grundstücke bereitstellen.

Wem das Rathaus eine eigene Meinung zugesteht

Wir befinden uns mit der Argumentation der Verwaltung in einem hochpolitischen Prozess, der Überlingen seit Jahren beschäftigt. Aktuell macht eine Bürgerinitiative darauf aufmerksam, für wie wertvoll sie die Wiese bei Sankt Leonhard hält. Für sie ist sie aus Gründen der Ökologie, des Klimaschutzes und des Landschaftsbildes tabu. Die Stadtverwaltung wiederum „erlaubt“ (so steht es wörtlich im Kommentar) den Gegnern nur dann eine eigene Meinung, wenn sie aus der Sicht eines Wohnungssuchenden formuliert werde.

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„Wenn es einem in den eigenen vier Wänden doch so behaglich ist“, schreibt das Rathaus in ihrer eigenen Veröffentlichung, „lassen sich leicht Argumente gegen die Bebauungsabsichten der Stadt vorbringen“. Die Stadt geht noch einen Schritt weiter. Sie wirft den Gegnern vor, sie würden bestehende Fakten „zweckentfremden“, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen.

Der Rat, nicht das Rathaus hat das Sagen

Die Stadtverwaltung unter der damaligen Oberbürgermeisterin Sabine Becker wollte die Wiese bei Sankt Leonhard schon vor über zehn Jahren bebauen, wurde aber vom Gemeinderat gestoppt. Auch wenn der Rat diesmal anders entschieden hat und dem Grundsatz nach eine Bebauung für möglich hält, zeigt sich dennoch, wer Herr des Verfahrens ist: der Gemeinderat, nicht die Stadtverwaltung.

Bau- und Oberbürgermeister dürfen eine Meinung haben, sie sollen sie auch äußern. Aber nicht in der oben genannten Weise in einem Amtsblatt, in dem sie den Eindruck erwecken, als handle es sich um eine „sachgerechte, objektiv gehaltene Information“.

In einer Anfrage an OB Jan Zeitler, wie es dazu kommt, antwortete er, dass es sich um einen Beitrag aus dem Fachbereich 4 (Bauen) handle, das von Baubürgermeister Thomas Kölschbach geführt wird. Im Umkehrschluss stammt es also nicht aus seiner eigenen Feder. Zeitler: „Der Beitrag hat keinen politischen Charakter, sondern konzentriert sich rein auf die Information über städtische Maßnahmen.“ Zeitler begründet die Veröffentlichung: „Staatliche Öffentlichkeitsarbeit ist notwendig, um den Grundkonsens im demokratischen Gemeinwesen lebendig zu erhalten.“

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Wie sachlich und wertend der Beitrag tatsächlich ist, und wie sehr er dazu beiträgt, einen Konsens herzustellen, liegt im Auge des Betrachters. Das Thema ist umso heikler, als dass demnächst die heiße Phase des OB-Wahlkampfs beginnt. Amtsinhaber Jan Zeitler muss damit rechnen, dass potenzielle Mitbewerber nicht unterscheiden, wer da im Rathaus die Feder führte, sondern ihm den Vorwurf machen, sich mit dem Amtsblatt Vorteile in der öffentlichen Wahrnehmung verschaffen zu wollen.