Die im Mai gegründete Bürgerinitiative (BI) „Landschaftspark St. Leonhard“ will die öffentliche Grünfläche im Osten von Überlingen erhalten. Sie wendet sich gegen die Bebauung einer Teilfläche im Bereich Rauensteinstraße Ost. Sofern die Stadtverwaltung damit argumentiert, dass eine Bebauung der Wiese nötig sei, um den grundsätzlich vorhandenen Bedarf an Wohnungen zu decken, widerspricht die BI. Laut ihren Berechnungen ist der Bedarf gedeckt. „Es werden sogar zu viele Wohnungen gebaut“, lautet ihre Auffassung.
Schirmherr der Bürgerinitiative ist Bernhard Bueb, früherer Leiter der Schule Schloss Salem und ehemaliger FDP-Gemeinderat. Er sagt: „Bei der Abwägung sollten wir an die Menschen in Überlingen denken, wie sie in 20, 30, ja vielleicht 100 Jahren diese Entscheidung werten.“ Die BI stellte ein Dossier zusammen und schickte es an Gemeinderäte und Verantwortliche in der Stadtverwaltung. Dreh- und Angelpunkt dabei ist eine von der Stadt 2019 vorgestellte Wohnbedarfsanalyse durch das Büro Empirica. Demnach ist bis zum Jahr 2030 der Bau von 917 Wohnungen nötig. Laut BI ist dieses Ziel längst erfüllt, laut OB Jan Zeitler „sind wir noch weit davon entfernt“.
Stadt kommt zu anderen Ergebnissen
Die Pressestelle des Rathauses teilte auf Anfrage mit, dass das Ziel nicht erreicht und die Schaffung von Wohnungen (Eigentums- und Mietwohnungen) zur Deckung des Bedarfs am Wohnungsmarkt weiterhin nötig sei. Auf Frage, wie sie die Zahlen und Angaben im Dossier der BI einordnet, teilte Pressesprecherin Andrea Winkler mit: „Die Stadt führt ihre eigenen Statistiken für die Bereiche Wohnen und Bauen, basierend auf aktuellen Daten des Statistischen Landesamtes und kommt zu anderen Ergebnissen.“ Die Kernaussage der BI, wonach es genügend Wohnungen gebe und die Ausweisung von Bauplätzen in Rauenstein Ost nicht nötig sei, kommentiert das Rathaus wie folgt: „Diese Aussage wird von der Stadt nicht geteilt. Es kommt auf die verschiedenen Nutzergruppen und Wohnstandards, unter anderem sozial geförderten Wohnungsbau, an. Hier muss klar differenziert werden.“
Jörg Bohm: 50 Familien auf der Warteliste
Das Dossier wurde im Kreis der Verantwortlichen zur Kenntnis genommen. Jörg Bohm (CDU) sagte im Gemeinderat, dass auf einer Warteliste der Stadt 190 wohnungssuchende Personen stünden, davon 50 Familien. Er bat die Verwaltung um Aufklärung, wie der BI zu antworten sei. Oberbürgermeister Jan Zeitler sagte mit Verweis auf die Empirica-Studie: „Ich habe die 900 Wohnungen noch nicht gesehen.“ Eine gewisse Anzahl sei zwar gebaut worden, „wir sind aber noch weit davon entfernt“. Die Verwaltung werde die Zahlen aufbereiten und öffentlich darstellen.
Ein Plus von 1530 Wohnungen?
Wie kommt nun die Bürgerinitiative zu der anders lautenden Einschätzung? Auch sie bezieht sich auf das Statistische Landesamt. Demnach sinkt aufgrund der Altersstruktur die Einwohnerzahl in Überlingen bis zum Jahr 2040 22.500 Einwohner, gegenüber 22.650 im Jahr 2021. Ebenfalls mit Verweis auf die Statistik des Landes argumentiert die BI, dass von 2019 bis 2023 in Überlingen 684 Wohnungen erstellt und im gleichen Zeitraum 80 Wohnungen weggefallen seien. Die BI rechnet sodann die Zahl der Wohnungen hinzu, die 2024 in Überlingen geplant, beziehungsweise aktuell bezugsfertig seien, und kommt auf die Summe von 1530 Wohnungen, die sie als Plus gegenüber 2019 ausgibt. 2019 ist insofern wichtig, als dass die Empirica-Studie aus diesem Jahr stammt, in der der Bedarf mit einem Plus von 917 Wohnungen angegeben wird. Sofern alle heute geplanten Wohnungen bis 2030 gebaut werden, würde der Bedarf laut BI also um 613 Wohnungen (1530 minus 917) übererfüllt.
Im Einzelnen listet die Bürgerinitiative auf, wie sie zur Berechnung der 2024 in Planung befindlichen Wohnungen kommt. Zirka 650 Wohnungen entstehen demnach auf dem Kramer-Areal (500 auf privaten und 150 auf öffentlichen Flächen). Zudem sind laut BI auf der Internetplattform Immobilienscout aktuell 88 Wohnungen mit Erstbezug im Angebot. Weitere Neubauten sind laut BI in weiteren acht Großprojekten geplant oder stehen kurz vor der Realisierung, beispielsweise in der St.-Johann-Straße oder im Projekt Kibler-Rauenstein.
Noch mehr Platz in neuen Baugebieten?
Die genannten 1530 Wohnungen sind nicht das Ende aller Bautätigkeiten. Vielmehr verweist die Bürgerinitiative auf Wohnbauflächen, die bereits in der Entwicklung sind, und einen weiteren Bedarf decken würden. So beispielsweise die Flächen Südlich Härlen, Bergle Bambergen oder Öhmdwiese Deisendorf. Wenn das nicht genügt, könne die Stadt immer noch über eine Entwicklung der Flächen des bisherigen Werkhofs, der Zimmerweise und der Stadtgärtnerei nachdenken. Jedenfalls kommt sie zu dem Schluss: „Aufgrund dieser Zahlen ist eine Bebauung des Landschaftsparks St. Leonhard in keinster Weise gerechtfertigt.“