Will denn niemand mehr einen Pflegeberuf ergreifen? „In der deutschen Bevölkerung gibt es kaum noch jemanden, der diese Arbeit machen will“, sagt Christian Glage, Betriebsleiter in den städtischen Pflegeheimen Überlingen. „Das ist schade, weil es ein schöner Beruf ist.“
Das Problem
Immer mehr Pflegebedürftigen stehen immer weniger Pflegekräfte zur Seite. Das ist eine logische Folge der Alterung unserer Gesellschaft. Die Schere geht so weit auseinander, dass nach Zahlen des Statistischen Bundesamts im Jahr 2049 bundesweit bis zu 690.000 Pflegekräfte fehlen werden. Schon jetzt gibt es erhebliche Lücken. Nicht so in den spitälischen (städtischen) Pflegeheimen Sankt Ulrich und Sankt Franziskus in Überlingen. „Momentan sind alle Planstellen besetzt“, sagt Betriebsleiter Christian Glage. Es gibt 110 Vollzeitstellen mit 160 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. „In unserer Branche ist das eine Seltenheit.“
Die Idee
Wie schaffen die das? Indem mit ausländischen Arbeitskräften langjährige Arbeitsbeziehungen aufgebaut werden. Als Glage 2021 seine Stelle als Betriebsleiter aufnahm, schlug der Fachkräftemangel voll durch. Zusätzliches Geld für Leih- und Arbeitszeitfirmen wurde ausgegeben, um die Stellen mit externen Kräften zu stopfen. Das ist mittlerweile nicht mehr nötig. Sie hätten genügend eigene Mitarbeiter. „Das ist unsere Strategie: Die Leute, die wir bekommen, in Ausbildung zu bringen. Wir ermöglichen ihnen Arbeit und begleiten sie dorthin, wo wir Bedarf haben.“

Die Umsetzung
Deutsche wollen den Job nicht mehr machen. „Umso dankbarer sind wir für die Kolleginnen und Kollegen aus ganz verschiedenen Ländern dieser Erde, die bei uns einen Platz finden, der ihrem Leben einen Sinn gibt.“ Im Ulrich und im Franziskus arbeiten 160 Menschen, laut Glage aus etwa 30 Ländern. „51 Prozent sind Deutsche, 49 Prozent haben einen ausländischen Hintergrund.“ Schon beim Einstellungsgespräch werden die Weichen gestellt. Ein Arbeitsvertrag scheitere nicht daran, „wenn die Sprache nicht so toll ist“. Vielmehr seien die Führungskräfte gefordert zu erkennen, wer von den Bewerbern motiviert und talentiert ist.
Das Fazit
„Mittlerweile handelt es sich um einen Selbstläufer“, sagt Glage. Auf die Frage, ob es bei ihnen ein babylonisches Sprachengewirr gebe: „Nein, weil sich alle auf Deutsch verständigen. Es sind alle gehalten, mit den Bewohnern Deutsch zu sprechen.“ Die Beschäftigten wissen am besten um die Herausforderungen und unterstützen sich bei der sprachlichen Integration gegenseitig. Glage betrachtet sein Projekt auch als eine Investition in die Zukunft. „Wir müssen uns schon heute damit auseinandersetzen, was es heißt, in Zukunft Menschen zu pflegen, die kein Deutsch, sondern eine andere Sprache sprechen. Da ist es gut, wenn wir sie schon können.“
Und um sie geht es
Deepika Thapa, 32 Jahre, Nepal, arbeitet als Pflegefachkraft im Sankt Ulrich. Sie kam 2014 mit einem Arbeitsvisum als Au-Pair nach Deutschland, absolvierte ein FSJ und arbeitet seit 2020 als Pflegefachkraft im Sankt Ulrich. „Ich möchte mit Menschen zu tun haben und die Sprache besser lernen.“ Sie möchte sich einbürgern lassen. „Damit ich wählen kann.“ Ihre Chefs seien „immer motivierend“ und sorgten für Aufstiegschancen innerhalb des Hauses.
Ama Collins, 29 Jahre, Nigeria, Pflegehelfer im Sankt Ulrich. Er kam vor 13 Jahren als unbegleiteter Minderjähriger ins Heim Linzgau, absolvierte eine Ausbildung zum Koch. „Und dann kam Corona“ – und er hatte keine Arbeit mehr. So heuerte er als Pflegehelfer im Sankt Ulrich an, mittlerweile absolviert er die Ausbildung zur Pflegefachkraft. Ob er wieder als Koch arbeiten wollte? „Ich habe Familie, da passen die Arbeitszeiten in der Küche nicht mehr.“
Agnesa Asllani, 29 Jahre, Kosovo, absolviert eine Ausbildung zur Pflegefachkraft. Bei Sprachbarrieren gebe es im Kollegium Hilfestellung und Verständnis, „alles ist so familiär“. Für Heimatbesuche, oder wenn sie kranke Familienangehörige pflegen muss, werde der Dienstplan flexibel gestaltet. „Ich sehe, wie gut es ist, Menschen zu helfen. Die alten Leute merken schon, was wir für sie tun. Die Angehörigen sind auch immer dankbar. Sie vertrauen uns.“
Tetiana Cherednychenko, 46 Jahre, Ukraine, arbeitet in der Hauswirtschaft im Sankt Franziskus. Sie floh vor dem Krieg. „Ich wusste nicht, wohin der Bus uns fährt. Mir war es egal. Ich wollte nur Sicherheit fühlen.“ Ihr Arbeitsplatz gebe ihr wieder ein Gefühl von „zu Hause sein“. Morgens besucht sie einen Deutsch-Kurs, in der Spätschicht teilt sie den Bewohnern Essen aus und räumt das Geschirr ab. „Ich kann sprechen und lernen.“
Yuliia Rekas, 47 Jahre, Ukraine, arbeitet in der Hauswirtschaft im Franziskus. Vor Ausbruch des Kriegs arbeitete sie im Lebensmittelhandel. „Wegen dem Krieg wohne ich seit zwei Jahren in Überlingen.“ Sie berichtet, dass sie von einer sehr netten Familie aufgenommen worden sei. „Sie haben uns sehr geholfen.“ Sie arbeitet als Putzkraft. „Da kann ich ein bisschen sprechen mit den Bewohnern.“ Für eine Arbeit im Einzelhandel, sagt sie, würden ihr die Worte fehlen.