Einer legt den Schalter um und plötzlich leuchten Millionen Lichter in der Altstadt. Dieses Spektakel lockt jede Nacht um 17.30 Uhr tausende Besucher an. Nein, nicht in Überlingen, sondern in St. Augustine, Florida. Darüber berichtet die in Überlingen lebende Celia Jakob, die aus der ältesten Stadt der USA stammt. Sie findet, dass man aus dem Beispiel in Florida etwas lernen kann.
Wie in Überlingen stelle sich auch in der Touristenstadt St. Augustine die Frage nach der „Saisonverlängerung“. Jakob arbeitet als Flugbegleiterin und kommt viel herum in der Welt. In Überlingen kandidierte sie im Juni für den Gemeinderat. Sie weiß, hinter dem Stichwort Saisonverlängerung verbirgt sich diese Frage: Wie schafft man es, außerhalb der Hauptsaison attraktiv zu bleiben? Wie lockt man trotz Wintertristesse so viele Besucher in eine Touristenstadt, dass sich Handel und Gastronomie über den Winterschlaf hinwegretten können?
Celia Jakob schlittert mit ihrem Sohn Marlon über die Eisfläche und sagt bei einem Stopp an der Bande: „So etwas hier, das ist richtig schön.“ Sie meint Eisbahn am Landungsplatz und Weihnachtsmarkt auf der Hofstatt. Beides seien Paradebeispiele für eine gelungene Saisonverlängerung, „die nicht nur für die Touristen da ist, sondern auch für uns, die wir hier leben. Ich habe das Gefühl, dass es eine Offenheit gegenüber immer neuen Ideen gibt.“ So schlägt sie vor, es ihrer Heimatstadt St. Augustine gleich zu tun und ein Lichterspektakel zu veranstalten. Das dauert von November bis Januar und lockt wochenlang Besucher an, die sonst vielleicht nicht kämen.

Einer der Besucher in Überlingen ist der Eiskunstläufer Ian Smith, Mitglied der britischen Olympiamannschaft. Sein Fluggepäck kam nicht an, in dem seine Schlittschuhe gesteckt hätten. Kurzentschlossen zieht er sich die blauen Leihschuhe über, die eigentlich fürs Eishockey gemacht sind und dreht, trotz der für ihn holperigen Bahn, eine Pirouette. Smith und Jakob sind entfernt miteinander verwandt, sie beherbergt ihn. „Wir sind schon die ganze Woche hier in der Überlingen unterwegs und noch gar nicht nach Konstanz gefahren, so schön ist es hier“, sagt sie.

Aus Konstanz kommt Conny Thomas. „Hier in Überlingen ist es jedes Mal wie ein Tag Urlaub.“ Sie ist Mitglied einer fünfköpfigen Frauenclique, zu der auch Brigitte Weißmann zählt. Sie sagt: „Radolfzell ist auch schön, aber Überlingen ist anders.“ Sie unternehmen mehrmals jährlich einen Ausflug nach Überlingen. Ihr erster Stopp, sagt Lidia Hofer, sei immer in einem Weinlokal an der Uferpromenade. „Wir sind Stammkundinnen im Fass.“ Aktueller Anlass für ihren Ausflug war der Weihnachtsmarkt, von dessen Angebot sie eher enttäuscht sind. Aber da sie eh in der Stadt sind, fordert Conny Thomas sie zum Bummeln bei Munding auf. „In Überlingen sind die Preise viel niedriger als in Konstanz“, empfindet sie.
Anette Mäser wollte an diesem sonnigen Dienstagnachmittag eigentlich mit dem Schiff von Überlingen aus auf die Mainau fahren, Schmetterlinge fotografieren. Aber es fuhr kein Schiff. Für die Fotografin kein Ärgernis, sondern Anlass für ein Fotoshooting an der Promenade. „Total entspannt, mega schön bei dem Wetter.“ Sie stammt aus Heidelberg, wohnt seit drei Jahren in Gottmadingen – und fährt regelmäßig nach Überlingen, wo sie im Juni im Pflanzenhaus eine Werkausstellung zeigte. „Ich hänge an Überlingen“, sagt sie. Aktuell sei die Stadt „nicht so belebt, aber auch nicht einsam, es sitzen viele Leute in den Cafés, es gibt ein schönes Flair“.

Markus Fetscher kommt von Berufs wegen nach Überlingen. Er ist ein Spross der Schaustellerfamilie Fetscher aus Uhldingen-Mühlhofen. Seine Firma „Bass und Bite“ bestückt in diesem Dezember acht Weihnachtsmärkte zwischen Schwarzwald und Kressbronn, teilweise drei gleichzeitig. Seine Mutter, Monika Fetscher, steht mit ihrer Firma ebenfalls auf dem Markt, sie verkauft Lebkuchen und Magenbrot und betreibt ein Kinderkarussell. Im Gespräch gesellt sich die Marktbeschickerin Karin Simmoleit zu ihnen. Sie kommt aus Markdorf und verkauft Produkte aus Schafsfell.
Alle Drei schätzen am Überlinger Weihnachtsmarkt das einheitliche Erscheinungsbild. Die Holzhütten seien zwar in die Jahre gekommen und dürften von einigen Verkäufern „schöner dekoriert werden“, so Simmoleit. Die Besucher würden die Hütten teils belächeln. „Im Gesamtbild aber wirken sie wie ein Dorf“, so Simmoleit. Monika Fetscher schätzt am Markt, „dass er mitten in der Innenstadt liegt. So kommen regelmäßig auch normale Passanten vorbei – und sie kommen öfter“. Der Markt sei regelmäßiger Treffpunkt. „Und deshalb haben wir auch viele Stammkunden.“
Karin Simmoleit war 29 Jahre lang auf dem Konstanzer Weihnachtsmarkt. „Ich habe ihn wegen der überzogenen Standgebühren verlassen.“ Da lobe sie den Überlinger Weihnachtsmarkt, „auf ihm ist eine gute Stimmung – und darauf kommt es mir an, dass die Sache Spaß macht“.
Markus Fetscher betreibt einen Crêpe-Stand. Der ist aktuell zugesperrt, weil seine Frau – früher als geplant – ein Baby entbunden hat. An seiner Bude hängt die Entschuldigung: „Bin im Kreißsaal, meine Tochter wollte nicht warten, bis der Weihnachtsmarkt vorbei ist.“ Das Baby ist erst ein paar Stunden alt, da kommt er auf einen Glühwein auf den Markt und stößt auf das Neugeborene an.
„Mein Beruf ist es, die Freizeit der Leute zu einem Vergnügen zu machen“, sagt Fetscher. Als Maßnahmen zur „Saisonverlängerung“ betrachtet er Angebote, die sich in den Alltag der Bewohner und der Besucher integrieren lassen. Ein gutes Beispiel sei das in Meersburg zwischen den Jahren geplante „Winterfestival“. Gutes Stadtmarketing stemmt sich gegen den Trend zum Online-Handel, schafft „Aktivitäten und Attraktionen, die dem örtlichen Handel gut tun“, so Fetscher. Sein Credo klingt eigentlich ganz einfach: „Das Internet kann keine Feste feiern.“