Ein ruhiger Freitagabend endet in tödlicher Gewalt: Zwei Männer, 37 und 42 Jahre alt, treffen sich in einer Wohnung in Uhldingen-Mühlhofen. Sie trinken Bier, rauchen Joints und sehen einen Film. Es ist kurz vor Mitternacht. Wenig später liegt einer der beiden Männer schwer verletzt am Boden. Eine Woche später stirbt er.

Es ist der dritte und voraussichtlich vorletzte Verhandlungstag am Konstanzer Landgericht. Vor allem die Frage nach der Schuldfähigkeit beschäftigt die Kammer an diesem Tag. Rechtsmedizinische Untersuchungen bestätigen zudem: Die Tat kann sich nicht so ereignet haben, wie sie in der Anklageschrift steht.

Mord in Tateinheit mit schwerem Raub: Dafür muss sich der heute 38-jährige Mann vor dem Landgericht Konstanz verantworten. Mit einem Salzstein soll er seinen 42-jährigen Bekannten getötet und daraufhin ausgeraubt haben. Die Tat gestand der Mann bereits am ersten Prozesstag.

Rechtsmedizinische Zweifel am Tatablauf

Jener Stein, 17 Kilogramm schwer und die mutmaßliche Tatwaffe, rückt zu Beginn der Verhandlung in den Fokus. Als erster Zeuge wird der Rechtsmediziner Sebastian Kunz vom Universitätsklinikum Ulm gehört, dessen Untersuchungen die Aussagen einer Pathologin am zweiten Verhandlungstag bestätigen. Anders als in der Anklage dargestellt, ließen sich die Blutspuren am Stein nicht durch einen einzigen Schlag erklären, so Kunz.

„Das Opfer muss bereits vor dem Einsatz des Steins verletzt gewesen sein“, erklärt der Rechtsmediziner. Wie die erste Wunde entstand, sei aber unklar. Sie könne durch einen Sturz auf den Stein oder durch einen anderen Gegenstand verursacht worden sein. Es müsse also zuvor eine körperliche Auseinandersetzung gegeben haben, die in der Anklage nicht erwähnt wird, resümiert Kunz. Anders ließen sich die Verletzungen am Kopf des Opfers und die Blutspuren am Salzstein nicht erklären.

Psychologisches Profil des Angeklagten

Ebenfalls im Zeugenstand ist an diesem Freitag Diplom-Psychologe Michael Nerad. Sein Gutachten soll klären, ob der Angeklagte zum Tatzeitpunkt schuldfähig war. Auch Nerad bestätigt die schwierige Kindheit des heute 38-Jährigen, die bereits am ersten Verhandlungstag Thema war. Aufgewachsen in prekären Verhältnissen eines Singener Brennpunktviertels, habe der Angeklagte schon in jungen Jahren Gewalt, Missbrauch und Vernachlässigung erfahren.

Diese Darstellung bezweifelt die Staatsanwaltschaft jedoch: „In den bisherigen Urteilen gibt es keinerlei Hinweise auf Misshandlungen in der Kindheit. Das hat er erfunden“, erklärt der Staatsanwalt. Auch eine Misshandlung durch den Vater sei unwahrscheinlich, da dieser die Familie früh verlassen habe.

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Angeklagter hat eine Persönlichkeitsstörung

Trotzdem war das Leben des Angeklagten von Schwierigkeiten geprägt: Bereits im Grundschulalter schaltete sich das Jugendamt ein, immer wieder befand er sich in psychologischer Behandlung. Schon als Zwölfjähriger habe er regelmäßig Drogen konsumiert, mit 14 wurde er abhängig von Alkohol und Opiaten. Es folgten Jahre mit unzähligen Straftaten und mehreren Haftstrafen.

Heute zeige der Angeklagte deutliche Anzeichen einer antisozialen Persönlichkeitsstörung, wie Michael Nerad weiter erklärt. Er neige etwa dazu – das belegten auch ältere psychiatrische Gutachten – abhängige und manipulative Beziehungen einzugehen. „Beziehungen, in denen er schwächere Menschen und Mithäftlinge ausnutzt und unterdrückt“, fügt Nerad an. Zudem bewege sich sein Intelligenzniveau im „niedrigen bis sehr niedrigen“ Bereich, knapp oberhalb der Grenze zu einer intellektuellen Einschränkung.

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Die Frage nach der Schuldfähigkeit

Vor diesem Hintergrund beschäftigt das Gericht vor allem eine Frage: Ist der Angeklagte voll schuldfähig? Darauf kann der Diplom-Psychologe zunächst keine eindeutige Antwort geben. Der Angeklagte sei zwar klar und es sei ihm bewusst, welche Konsequenzen seine Tat mit sich bringt. Dennoch beschreibt er die Steuerungsfähigkeit des 38-Jährigen zum Tatzeitpunkt als eingeschränkt.

Um dies zu erläutern, schildert Nerad, was der 38-Jährige ihm über die Tat erzählt hat: Der Gedanke, noch mehr Geld von seinem Opfer erhalten zu können, habe bei dem Mann eine „regelrechte Gier“ ausgelöst. „Er konnte an nichts anderes mehr denken“, sagt der Psychologe. Aufgrund seiner Persönlichkeitsstörung sei der Gedanke an das Geld so dominant geworden, dass er keine anderen Handlungsoptionen mehr wahrnehmen konnte.

Nicht zuletzt deshalb rät Nerad dem Gericht abschließend, den Mann in den Maßregelvollzug, also die Psychiatrie, zu schicken. „Wenn ihm etwas in die Quere kommt, ist mit massiver Gewalt zu rechnen.“ Außerdem sei die Prognose „ausgesprochen ungünstig“, weshalb er einen Maßregelvollzug von mindestens zehn Jahren vorschlägt. Die Staatsanwaltschaft zieht zudem eine Sicherungsverwahrung in Betracht.

Ein Urteil soll am 6. Dezember fallen.