Stefan Limberger-Andris

„Das sieht aus wie ein Apfel, von dem ein Stück abgebissen wurde.“ Stadtförster Steffen Wolf blickt in die Tiefe. Neben ihm, vielleicht eineinhalb Meter von der Abbruchkante entlang der südlichen Hangschulter der Schlucht entfernt, stehen Wutachranger Martin Schwenninger und Fabian Greiner.

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Fabian Greiner, vor drei Jahren noch Student an der Fakultät Umwelt und natürliche Ressourcen der Albert-Ludwigs-Universität, beschäftigte sich in seiner Masterarbeit mit dem spektakulären Hangrutsch 2017 nahe Boll. Auf 112.600 Kubikmeter Gestein, die nach dem Hangrutsch ein fragmentiertes Gesteinsvolumen von 152.700 Kubikmeter einnehmen, schätzt Fabian Greiner den sogenannten Massenversatz, der vor dreieinhalb Jahren nur wenige hundert Meter nördlich von Boll in die Schlucht stürzte. Und in seiner im Mai erschienenen Masterarbeit kommt Fabian Greiner in einer Simulation zu einem weiteren Ergebnis: Ein zweiter Massenversatz in dem Gebiet sei denkbar.

Ungewollte Zaungäste

Ungewollte Zaungäste des Naturspektakels waren am 6. März 2017 Martin Schwenninger und Steffen Wolf gewesen. Die beiden hatten sich verabredet, um auf dem Waldweg nach Bad Boll nach den Wintermonaten nach dem rechten zu schauen. Der Stadtförster und der Wutachranger hörten auf ihrer Patrouille ein eigenartiges Knirschen (Martin Schwenninger: „Dies werde ich nie vergessen.“) – und wurden gegen 14 Uhr Zeugen des Hangrutsches. Sie filmten das Ereignis aus nächster Nähe.

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Bereits im Sommer 2016 hatten Wanderer Martin Schwenninger von Gesteinsbrocken auf dem Weg berichtet. Nach einem Ortstermin mit Bürgermeister Michael Scharf und Werner Steiert vom Stadtbauamt am 4. August habe man sich schließlich entschlossen, den Weg zu sperren, erinnert sich Steffen Wolf. Geologen, durch das Unternehmen Netze BW beauftragt, hatten danach seit Herbst ein Auge auf die Entwicklung. Denn just in dem Gebiet überspannt eine von Gurtweil nach Villingen-Schwenningen führende 110.000 Volt-Hochspannungsleitung die Schlucht.

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Eine bis zu 30 Meter tiefe Kernbohrung im Februar 2017 sollte zeigen, ob die Standfestigkeit des ersten Strommasten, der die über die Schlucht geführten Kabel auf der Südhangschulter aufnahm, dauerhaft standfest war. Die Untersuchungen im Bereich des Strommastes seien nach dem Hangrutsch sofort eingestellt worden, erinnert sich Martin Schwenninger. In den Folgewochen waren drei Masten weiter nach Süden verlegt worden, nachdem die Stromleitungen vom Netz genommen und aufwendig abgespannt worden waren.

Interessant für Forschung

Für den Geologiestudenten Fabian Greiner eröffnet sich durch den Hangrutsch ein interessantes Forschungsthema für eine Masterarbeit. Mittels elektromagnetischer Wellen eines Georadars untersuchte er den Untergrund des Gebiets (rund 15 bis 20 Meter tiefe Kiesschicht über Oberem Muschelkalk). Es konnten geologische Horizontunterschiede und Störungen im Untergrund ausfindig gemacht werden.

112.600 Kubikmeter Gestein waren am 6. März 2017 nördlich von Boll in die Wutachschlucht abgerutscht.
112.600 Kubikmeter Gestein waren am 6. März 2017 nördlich von Boll in die Wutachschlucht abgerutscht. | Bild: Stefan Limberger-Andris

Eine Befliegung des Hangrutschgebiets mittels Drohne ermöglichte eine Vermessung und die Volumenbestimmung des Rutsches. Ein Auslöser des Hangrutsches in der geologisch ausgesprochen aktiven Wutachschlucht lasse sich nicht ausmachen, so Fabian Greiner. Er denkt allerdings in erster Linie an den geologischen Zahn der Zeit.

Fabian Greiner kommt nach weiteren geophysikalischen Untersuchungen der Randzonen des jüngsten Hangrutsches zu dem Ergebnis, dass rund 100 Meter östlich der jetzigen Abbruchkante gefundene Strukturen im Untergrund einen weiteren Massenversatz, obgleich wahrscheinlich nicht in den Dimensionen wie 2017, möglich erscheinen lassen. Wann dies der Fall sein wird, lasse sich nicht vorhersagen, bleibt Fabian Greiner vorsichtig in seiner Aussage.

So zeigt sich der Hangrutsch von der Nordseite der Schlucht aus gesehen. Bilder: Wolfgang Scheu, Stefan Limberger-Andris
So zeigt sich der Hangrutsch von der Nordseite der Schlucht aus gesehen. Bilder: Wolfgang Scheu, Stefan Limberger-Andris

Martin Schwenninger warnt davor, das jetzige Rutschgebiet zu betreten. Dort herrsche weiterhin Lebensgefahr. Auf seinen Kontrollgängen vernehme er noch immer das Rieseln des Kieses am Hang. Dem könne immer ein Steinschlag folgen. Am südlichen Hang der Wutachschlucht kam es in der Historie immer wieder zu Felsstürzen und Massenversatz – historisches Beispiel ist die Burgruine Tannegg, die einem solchen Ereignis zum Opfer gefallen sein soll.