Herr Kistler, als Landrat sind Sie sowohl Chef einer Behörde mit mehr als 1000 Mitarbeitern als auch Vorsitzender des Kreistages. Wie würden Sie Ihre Arbeit beschreiben?

Es ist eine vielfältige und erfüllende Aufgabe. Ich beginne mal mit den vielen unterschiedlichen Aufgaben, die ein Kreis zu erledigen hat – spaßhalber sage ich immer von A wie Abfallwirtschaft bis Z wie Zulassungsstelle. Der Landrat ist als Vorsitzender des Kreistages und Leiter der Kreisverwaltung gefordert. Er lenkt und führt zentrale politische Themen wie zum Beispiel Infrastruktur und Gesundheit. Als Landrat ist man auch eine Art Außenminister und kümmert sich um die Kontakte zu anderen Landkreisen, Ministerien in Stuttgart und Berlin und zu unserem Nachbarn, der Schweiz. Ich vertrete außerdem den Landkreis in diversen Gremien und Organisationen. Nicht zuletzt ist mir aber der Draht zur Bevölkerung wichtig, ich möchte wissen, was die Menschen bewegt und halte deshalb auch Kontakte zu Verbänden, Vereinen und den Bürgern. Dieser Strauß von Aufgaben führt dazu, dass kein Tag wie der andere ist.

Ein Landratsamt steht im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung zwischen den Kommunen und dem Regierungspräsidium. Wie sehen die Aufgaben und Pflichten nach unten (Kommunen) und oben (Regierungspräsidium) aus?

Das Landratsamt erfüllt im Rahmen der Selbstverwaltungsaufgaben des Landkreises zum einen kreiskommunale Aufgaben, zum anderen ist das Amt die untere staatliche Verwaltung im dreistufigen Aufbau der Landesverwaltung. Zum staatlichen Aufgabengebiet des Landratsamtes zählen beispielsweise Einbürgerungen, Baugenehmigungen, das Führerscheinwesen, die Lebensmittelüberwachung, die Landwirtschaft und der Natur- und Umweltschutz. Zum kommunalen Teil des Landratsamtes gehören unter anderem die Schulträgerschaft für die Beruflichen Schulen und die SBBZ (Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren), die Jugendhilfe, das Krankenhauswesen, der Personennahverkehr und die Abfallwirtschaft.

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Hat ein Landrat eigentlich einen Chef?

Nein, im eigentlichen Sinne hat er keinen Chef. Der Landrat untersteht zwar in kommunalen Angelegenheiten der Rechtsaufsicht des Regierungspräsidiums und im Bereich der staatlichen Aufgabenerfüllung ist er inhaltlich an etwaige Weisungen aus Stuttgart oder Freiburg gebunden, aber er hat keinen Vorgesetzten.

Immer wieder kommen Diskussionen auf, ein Landrat solle, ebenso wie ein Bürgermeister/OB direkt von den Bürgern gewählt werden – ähnlich wie in Bayern. Könnten Sie sich mit einer solchen Forderung anfreunden? Oder was spricht aus Ihrer Sicht dagegen?

Ich persönlich hätte keine Vorbehalte, mich auch einer Volkswahl zu stellen. Der Gesetzgeber hat es aber bewusst anders bestimmt. Für mich ändert das nichts an meinem Verständnis, wie ich die Rolle des Landrats und des Landrats­amtes sehe, nämlich nicht nur als eine staatliche Institution, sondern in erster Linie als Aufgabe, sich um die Belange der Menschen im Kreis zu kümmern.

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In der Regel ist die Kreisverwaltung Rechtsaufsichtsbehörde der Gemeinden. Was versteht man darunter? Sind Sie der Vorgesetzte der Bürgermeister?

Nein, der Landrat ist im eigentlichen Sinn nicht Vorgesetzter der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister. Das Landratsamt hat nur bestimmte beamtenrechtliche Funktionen für die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, zum Beispiel bei der Ausübung von Nebentätigkeiten oder bei einem Dienstjubiläum. Ein Bürgermeister ist sein eigener Chef, natürlich im Rahmen der Gesetze. So ist zum Beispiel in der Gemeindeordnung und in der Hauptsatzung jeder Gemeinde klar definiert, was ein Bürgermeister selbst entscheiden darf und welche Entscheidungen dem Gemeinderat vorbehalten sind. Das Landratsamt übt darüber die Rechtsaufsicht aus. Werden die Kompetenzen überschritten und wir erfahren davon, bekommt er den Hinweis, dass der Gemeinderat zu entscheiden hat. Dies funktioniert fast immer im partnerschaftlichen Dialog. Wir müssen sehr selten zu förmlichen Auflagen greifen. Die „Selbstverwaltungshoheit“ der Gemeinden ist ein zentraler politischer Gedanke in der Verfassung von Baden-Württemberg. Das Landratsamt darf daher nicht eigene Zweckmäßigkeitsüberlegungen anstellen, sondern muss den politischen Willen der Gemeinde akzeptieren, sofern damit nicht gegen Gesetze verstoßen wird.

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Es gibt indes auch eine Ausnahme. Große Kreisstädte wie Waldshut-Tiengen sind, wenn man so möchte, direkt dem Regierungspräsidium unterstellt. Es genehmigt in diesem Fall beispielsweise den Haushalt Waldshut-Tiengens und fungiert auch sonst als Aufsichtsbehörde. Macht das die Zusammenarbeit mit der Doppelstadt leichter?

Das macht für die Kreisverwaltung und mich grundsätzlich keinen Unterschied in der Zusammenarbeit. Wir arbeiten mit allen 32 Städten und Gemeinden unseres Landkreises gut und vertrauensvoll zusammen. Natürlich ist die Zusammenarbeit mit Waldshut-Tiengen sehr wichtig – bis vor Kurzem haben wir die Klinikgesellschaft gemeinsam getragen, die Stadt war in dieser Zeit sogar Mehrheitsgesellschafter. Und schließlich sitzt die Kreisverwaltung mit ihren Hauptstellen in Waldshut-Tien­gen, das schafft besondere Berührungspunkte. Auch können Landrat und Oberbürgermeister miteinander politisch einiges erreichen, wenn sie geschlossen auftreten. Ich denke da etwa an die Waldshuter Plattform – gemeinsam mit den Bürgermeisterkollegen in Albbruck, Dogern und Laufenburg und unseren Abgeordneten wollen wir den Bau der A 98 voranbringen.

Was sind Kernaufgaben Ihrer Behörde?

Bei den Aufgaben muss man zwei Bereiche unterscheiden. Zum einen das Landratsamt als untere Verwaltungsbehörde und zum anderen der Landkreis als kommunale Gebietskörperschaft. Die Kernaufgaben des Landkreises beinhalten zum einen die eigentlichen politischen Arbeitsfelder, wie zum Beispiel das Krankenhauswesen, die Unterhaltung der Kreisstraßen, die Abfallwirtschaft oder der öffentliche Personennahverkehr. Hier hat der Landkreis eine gewisse Gestaltungsfreiheit, die aufgrund der finanziellen Gegebenheiten meistens dann nicht so groß ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Beim zweiten Themenfeld, den staatlichen Aufgaben handelt das Landratsamt quasi als verlängerter Arm des Landes oder des Bundes, zum Beispiel bei der Erteilung von Baugenehmigungen und Führerscheinen, bei der Lebensmittelüberwachung oder Gewerbeaufsicht. Ein großes Aufgabenfeld stellt auch der gesamte Sozialbereich mit Jobcenter, Behinderten- und Jugendhilfe dar. Derzeit sind vor allem die Forstorganisation und das regionale Gesundheitswesen im Umbruch, was uns sehr beschäftigt.

All das gehört zu den Aufgaben des Landkreises: Von A wie Abfallwirtschaft bis Z wie Zulassungsstelle.
All das gehört zu den Aufgaben des Landkreises: Von A wie Abfallwirtschaft bis Z wie Zulassungsstelle. | Bild: Bernd Weißbrod

Der Waldshuter Kreistag, aber nicht nur er, gilt gemeinhin auch als Bürgermeister-Verein. Finden Sie es gut, dass ein Großteil der Bürgermeister im Landkreis auch Mitglied des Kreistages ist? Kommt es da mitunter nicht zu Interessenskonflikten? So beschließen Kreisräte beispielsweise die Höhe der Kreisumlage, also jene Abgabe, die eine Kommune an den Kreis entrichten muss. Andererseits genehmigt Ihre Behörde die Haushalte eben jener Kommunen. Und zu guter Letzt wählen die Kreisräte den Landrat. Ist diese Gemengelage eine gute?

Ja, ich finde das gut so, insofern die Bürgermeister im Kreistag ihren Sachverstand einbringen. Die Kreisebene profitiert vom Erfahrungsschatz der Bürgermeister. Natürlich sind auch Interessenskonflikte möglich, aber – das zeigt unsere Praxis – immer lösbar. Klar ist auch, dass um die Kreisumlage alljährlich bis auf Hundertstel Punkte hart gerungen wird. Dabei kann nach außen schon gelegentlich der Eindruck entstehen, dass die finanzielle Ausstattung des Landkreises manchmal etwas zurückstehen muss, weil die Zahlungen, die die Gemeinden an den Landkreis entrichten müssen, den Gemeinden für eigene Projekte dann fehlen. Dies liegt in der Natur der Sache. Ich hoffe, dass es uns in Zukunft gelingt, den Gemeinschaftsgedanken noch mehr zu verankern und in den Vordergrund zu rücken. Wir sitzen in einem Boot und das Wohl des gesamten Landkreises liegt uns allen am Herzen und ist unsere primäre Aufgabe.

Können Sie sich auch eine Verwaltungslandschaft ohne die Ebene Kreisverwaltung vorstellen?

Nein, das kann ich nicht. Vielmehr bin ich der festen Überzeugung, dass es die Kreisebene braucht, gerade im ländlichen Raum. Die Aufgaben, die der Landkreis wahrnimmt, können Städte und Gemeinden von der Größe, wie wir sie im Kreis haben, nicht leisten. Schließlich geht es aber auch um Bürgernähe und um Kenntnis der örtlichen Situation. Freiburg und Stuttgart sind weit weg – auch deshalb ist der Kreis eine sinnvolle Verwaltungseinheit. So gesehen waren die Verwaltungsreformen in der Vergangenheit, die die Kreisebene gestärkt haben, richtig und sinnvoll. Auch Gegenbeispiele belegen das – die Wiederausgliederung der Schulämter aus den Kreisverwaltungen im Jahr 2009. Der Sitz ist jetzt Lörrach, das ist weit weg von Bonndorf oder Jestetten. Gerade mit den vielen Aufgaben, die zu leisten sind, ist dies aus meiner Sicht ein Verlust an örtlicher Nähe – und aufgrund der erforderlichen Abstimmungen der Behörden untereinander etwa beim Schülerverkehr, der Eingliederungshilfe oder auch der regionalen Schulentwicklung ein Verlust an Synergie.

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Ist eine Behörde wie das Landratsamt mit mehr als 1000 Mitarbeitern überhaupt zu führen? Wie behalten Sie da den Überblick?

Ein klares Ja. Den Überblick verschaffe ich mir auch im steten Austausch mit den Führungskräften, aber auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wir sind gut organisiert, überdenken unsere Prozesse und auch unsere Führungsleitlinien immer wieder. Und auch wenn natürlich die Letztverantwortung bei mir liegt, ist Führung nur gemeinsam mit den vielen Führungskräften in den fünf Dezernaten und 23 Ämtern sinnhaft zu leisten. Das gelingt uns, weil wir im Amt viele qualifizierte und motivierte Leute haben – dazu zähle ich auch viele Nachwuchsführungskräfte. Außerdem wissen alle meine Mitarbeiterinnen und Miterbeiter, dass meine Tür immer offen steht.

Ungeachtet dieses immensen Verwaltungsapparates machen Sie auch aktiv Politik. Verstehen Sie sich auch als Motor der Region und wenn ja, wie?

Ja, das entspricht meinem Verständnis des Amtes, dass der Kreis, dass Landrat und Kreistag miteinander, der Motor der regionalen Entwicklung ist. Wir dürfen nicht nur verwalten, sondern müssen gestalten. Das zeigt sich etwa bei den Initiativen zum Breitbandausbau, der Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur oder bei der haus- und fachärztlichen Versorgung. Das sind alles Themen, bei denen der Landkreis keine direkte verwaltungsrechtliche Zuständigkeit hat, aus meiner Sicht aber tätig werden muss, wenn es Bedarfe einer Region erfordern. Hier sind wir zum Wohle unserer Bevölkerung und unserer Städte und Gemeinden gefordert und ich habe mich dieser Aufgabe auch gestellt, auch auf die Gefahr hin, für Dinge verantwortlich gemacht zu werden, für die ich keine Verantwortung trage. Wegzuschauen, Dinge schleifen zu lassen, kommt für mich aber nicht infrage.

Auch der Öffentliche Personennahverkehr gehört zu den Aufgaben des Landkreises.
Auch der Öffentliche Personennahverkehr gehört zu den Aufgaben des Landkreises. | Bild: Peter Rosa

Sie sind seit gut vier Jahren im Amt. Sind Sie gerne Landrat? Können Sie sich noch andere politische Ämter vorstellen?

Landrat sein zu können, ist eine wunderschöne Aufgabe – an verantwortlicher Stelle seine Heimatregion mitgestalten zu dürfen, ist ein großes Privileg. Bei aller Beanspruchung aufgrund der vielen Themen, an denen wir arbeiten, kann ich mir keine interessantere Aufgabe vorstellen.

Können Sie unseren Lesern kurz sagen, weshalb es wichtig ist, am 26. Mai nicht nur wählen zu gehen, sondern dabei auch über die Zusammensetzung des Waldshuter Kreistages zu entscheiden?

Der Kreistag ist das Hauptorgan des Landkreises, der die zentralen Weichenstellungen für die Kreisentwicklung vornimmt. Ich darf einige wenige Beispiele nennen – etwa den Beschluss zur Gründung des Breitbandzweckverbandes, den Beschluss, die Krankenhausversorgung zukunftsfähig mit dem Neubau eines Klinikums zu gestalten oder den Ausbau und die Elektrifizierung der Hochrheinbahn mit einem Millionenzuschuss anzuschieben. Es ist daher entscheidend wichtig, dass der Landkreis auch in Zukunft über einen Kreistag aus konstruktiven Kreisrätinnen und Kreisräten verfügt, die die gute Entwicklung des Landkreises weiter kontinuierlich fortsetzen wollen. Durch die Einteilung des Landkreises in sieben Wahlkreise hat jede Region/jede Raumschaft die Chance, mit Kreisrätinnen oder Kreisräten garantiert vertreten zu sein. Im Kreistag herrscht Mitspracherecht. Gerade dies macht den Kreistag aus. Interessen aus der Region, ob Rheinschiene oder dem Dachsberg treffen hier zusammen und entwickeln sich gemeinsam zum Wohle der gesamten Bevölkerung. Und wo Interessen aufeinandertreffen, da ist Reibung, Diskussion, aber eben auch Kompromiss.

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Weshalb ist die Wahl zum Europäischen Parlament wichtig. Was spricht für Europa, was dagegen?

Alles spricht für Europa! Die Europäische Einigung hat uns in Deutschland Frieden und Wohlstand beschert, für die wir große Dankbarkeit empfinden sollten. Aber am Miteinander in Europa muss kontinuierlich weiter gearbeitet werden. Gerade in dieser Zeit sehen wir, dass Einheit, Frieden und Freiheit kein gesicherter Schatz auf Ewigkeit sind. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass wir in einer globalisierten Welt als Deutschland allein erfolgreich sein können. Die Antwort ist aus meiner Sicht daher mehr Europa und nicht weniger! Daher erhoffe ich mir am 26. Mai durch eine gute Wahlbeteiligung ein Signal für die Europäische Idee.