Die Suche der Schweiz nach einem geeigneten Standort für Atommüll ist in der entscheidenden Phase. Mit einer neue Idee rückt das Atomkraftwerk Leibstadt in den Fokus.
Suche an drei Standorten
Noch werden drei Standort-Regionen (Jura Ost, Nördlich Lägern und Zürcher Nordost) auf ihre Tauglichkeit für ein Tiefenlager für schwach-, mittel- und hochradioaktiven Abfall untersucht. Aktuell mit Bohrungen zur besseren Beurteilung des Untergrunds.
Neu ist nun, dass parallel dazu zusätzlich drei weitere Standorte untersucht werden, an denen später möglicherweise der Schweizer Atommüll von Castor-Behältern in Endlager-Behälter umgefüllt wird.
Konkret geht es dabei um das Gelände der Atomkraftwerke Leibstadt und Gösgen sowie das Zwischenlager in Würenlingen. Käme die Brennelemente-Verpackung nach Leibstadt, wäre das Akw-Gelände auch nach der Abschaltung des Reaktors (voraussichtlich 2045) für viele Jahre eine atomare Anlage.
Bis Ende vergangenen Jahres sahen die Pläne so aus, dass in unmittelbarer Nähe eines möglichen Tiefenlagers auch eine sogenannte Oberflächenanlage entstehen sollte. In diese heißen Zellen, von Atomkraftgegnern Atomfabriken genannt, soll der Atommüll umgeladen und für die Endlagerung in etwa 600 Metern Tiefe vorbereitet und dorthin auf den Weg gebracht werden.
Das Umverpacken der alten Brennelemente und die Vorbereitungen für den Versand in ein Tiefenlager gelten als die gefährlichste Phase zwischen Ausbau der verbrauchten Brennelemente aus einem Atomkraftwerk bis zur Lagerstätte unter der Erde.
Prüfung bis Ende 2019
Der Wunsch, externe Standorte für die Verpackung des Atommülls zu suchen, sei aus den Regionen gekommen, so Patrick Studer, bei der Nagra verantwortlich für die Medienarbeit. Dies geschehe aktuell. Die Prüfung der technischen Machbarkeit soll bis Ende 2019 abgeschlossen sein.
„Die Ergebnisse werden Anfang 2020 in die Partizipation eingespeist.“ Die Regionalkonferenzen (mit deutscher Beteiligung) hätten danach bis Anfang 2021 Zeit, Stellung zu beziehen.
Ob unter anderem das Betriebsgelände des Atomkraftwerks Leibstadt tatsächlich geeignet ist, um dort eine Verpackungsanlage einzurichten, könne erst nach Abschluss der Untersuchungen gesagt werden.
Nutzbare Synergien in Leibstadt
Nagra-Sprecher Patrick Studer merkt aber an, dass in Leibstadt schon jetzt abgebrannte Brennelemente des dortigen Reaktors für den Weitertransport ins Zwischenlager (Zwilag) Würenlingen verpackt würden. Deshalb könnten dort durchaus Synergien genutzt werden, um am Schweizer Rheinufer gegenüber von Dogern und Waldshut den Atommüll aller Schweizer Kernkraftwerke für den Weitertransport zu verpacken.
Eine Abkoppelung der Verpackung von den sogenannten Oberflächenanlagen hätte aus Sicht der Nagra aber auch Nachteile. „Dieses Verfahren hat mehr Transporte zur Folge“, erklärt Patrick Studer im Gespräch mit unserer Zeitung. „Das könnte einer der Nachteile sein.“
Quer durch die Schweiz
Atommüll aus den Kraftwerken Gösgen (Kanton Solothurn), Mühleberg (Kanton Bern) und Beznau (Kanton Aargau) müsste zunächst nach Leibstadt gefahren, dort umverpackt und dann auf die nächste Reise geschickt werden.
Bislang werden folgende Standorte für Oberflächenanlagen (atomare Anlagen) untersucht: Das Zwischenlager in Würenlingen (für ein Tiefenlager Jura Ost), die Gemeinden Weiach und Haberstal (Nördlich Lägern) sowie Rheinau und Marthalen (Zürich Nordost).
Weiterer Zeitplan und aktuelle Kritik
Die Schweiz überlegt, die ausgedienten Brennelemente aller Schweizer Atomkraftwerke möglicherweise in externen Verpackungsstationen wie Leibstadt für ein Endlager vorzubereiten.
- Die Pläne: Anders als bislang angenommen, könnten Tiefenlager und Oberflächenanlage eine externe Verpackungsstation erhalten. Drei Standorte werden dazu untersucht: Die Betriebsgelände der Atomkraftwerke Gösgen und Leibstadt sowie das bestehende Zwischenlager in Würenlingen.
- Die Kritik: Neben dem CDU-Bundestagskandidaten Felix Schreiner („Der Vorschlag Leibstadt ist für mich schlicht inakzeptabel.“) wehrt sich auch die Waldshuter Initiative Zukunft ohne Atom (ZoA) gegen die jüngsten Überlegungen in der Schweiz. In eine Pressemitteilung schreibt ZoA: „Diese Pläne müssen vom Tisch.“
- Der Zeitplan: Im Jahr 2024 soll die Nagra das Rahmenbewilligungsgesuch einreichen. Das Gesuch beinhaltet einen Standort für ein Tiefenlager sowie für eine Oberflächenanlage (gegebenenfalls mit abgekoppelter Verpackungsstation). 2029 soll die Schweizer Bundesregierung über den Standort eines Tiefenlagers entscheiden. Anschließend stimmt das Parlament ab. 2031 könnte es eine Volksabstimmung in der Schweiz geben. Das Tiefenlager für schwach- und mittelaktive Abfälle soll 2050 und jenes für hochaktive Abfälle 2060 in Betrieb gehen.
- Die Nagra: Die nationale Genossenschaft für Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) hat den Auftrag, in der Schweiz einen Standort für schwach-, mittel- und hochradioaktive Abfälle zu suchen. Auftraggeber sind die Betreiber der Schweizer Atomkraftwerke und die Eidgenossenschaft.