Hat das Kernkraftwerk Leibstadt zu vielen Mitarbeitern gekündigt und dadurch den sicheren Betrieb der Atomanlage gefährdet? Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) sieht laut Schweizer Medienberichten einen Zusammenhang zwischen dem Personalabbau und der Häufung von Zwischenfällen im Kernkraftwerk in den vergangenen Monaten. Deshalb will die Atomaufsichtsbehörde den Stellenabbau prüfen.
Der letzte Zwischenfall in Leibstadt ereignete sich am 4. Juli dieses Jahres – nur einen Tag, nachdem das Kernkraftwerk nach der Jahresrevision wieder ans Netz gegangen war. Aufgrund eines Öllecks am Hydrauliksystem einer Pumpe musste das Kraftwerk abgeschaltet werden, wie das KKL damals mitteilte. Nach Behebung des Lecks ging die Anlage am 8. Juli wieder ans Netz.
Jener Zwischenfall vom Sommer sei jedoch nicht unmittelbar auf einen Stellenabbau zurückzuführen, wie Ensi-Pressesprecher Christoph Trösch auf Nachfrage dieser Zeitung sagt. „Grundsätzlich ist festzuhalten, dass das Kernkraftwerk Leibstadt die Anforderungen der Kernenergiegesetzgebung und der Richtlinien des Ensi für den laufenden Betrieb erfüllt. Die geltenden Vorgaben werden eingehalten“, betont Trösch. Ein direkter kausaler Zusammenhang lasse sich im Bereich Mensch und Organisation nicht ableiten.
Es gebe jedoch verschiedene denkbare Faktoren, die in der jüngsten Vergangenheit zu den Vorkommnissen im KKL beigetragen haben. Der derzeit laufende Personalabbau im KKL ist nach Einschätzung des Ensi ein wichtiger Faktor. „Diese Annahme ist naheliegend, da menschliche Fehler generell durch Ressourcenknappheit und Verunsicherung in der Organisation begünstigt werden“, sagt der Ensi-Sprecher.
Der Zahl der Vollzeitstellen im Kernkraftwerk Leibstadt reduzierte sich laut KKL-Sprecher Thomas Gerlach von rund 540 Ende 2014 auf rund 500 Ende 2018. „Dies ergab sich zu einem großen Teil aus kürzeren Doppelbesetzungen für die Einarbeitung von Nachfolgern von Mitarbeitenden, die in Pension gehen. Dazu kam 2018 die Auslagerung der Büro-Informatik“, so Gerlach.
Bis 2022 werde ein weiterer Rückgang um rund 30 auf rund 470 Stellen erwartet. „Dabei fallen einerseits Stellen weg, die außerhalb der KKL-Kernkompetenzen liegen und nicht sicherheitsrelevant sind“, so der Sprecher, wie beispielsweise Mitarbeiter im Fahrzeug-, Areal- und Gebäudeunterhalt sowie Schlosser und Maler. Andererseits sollen Schlüsselstellen für die Sicherheit gestärkt werden.
„Der sichere Betrieb der Anlage hat für das KKL höchste Priorität“, betont Thomas Gerlach. Unter anderem soll laut KKL „eine zusätzliche Sensibilisierung der ganzen Belegschaft für Sicherheit im Arbeitsalltag“ die Zahl der Zwischenfälle senken. „Das Ensi verlangt, dass vom KKL auch weiterhin alle regulatorischen Forderungen erfüllt werden“, sagt Ensi-Sprecher Christoph Trösch auf Nachfrage.
Thomas Gerlach teilt mit, dass das KKL das Ensi über die Stellenplanung und das Sicherheitskulturprogramm regelmäßig und umfassend informieren werde.
Das KKL
Das Kernkraftwerk Leibstadt (KKL) liegt direkt am Rhein gegenüber von Waldshut und Dogern. Im Jahr 1984 ging es ans Netz und ist damit der jüngste der fünf Kernreaktoren in der Schweiz. Das KKL produziert im Vollbetrieb pro Jahr rund 9600 Gigawattstunden Strom. Diese Menge reicht laut Betreiber aus, um zwei Millionen Schweizer Haushalte mit Strom zu versorgen. In jüngerer Zeit häufen sich Zwischenfälle. Für weltweite Schlagzeilen sorgten die Bohrlöcher für die Anbringung von Feuerlöschern, die 2008 irrtümlich in den Sicherheitsbehälter gebohrt worden waren. Die Löcher wurden erst 2014 zufällig entdeckt.
Das lesen Sie zusätzlich online
Eine Chronologie der Vorkommnisse 2018 in den Kernkraftwerken Leibstadt und Beznau:
http://www.sk.de/10232982