Herr Kistler, Sie sind jetzt vier Jahre als Landrat des Landkreises Waldshut im Amt. Wie sieht Ihr persönliches Fazit zur Halbzeit aus?
Positiv. Es ist eine unglaublich spannende Aufgabe. Kein Tag ist wie der andere. Ich komme mit so vielen Menschen in Kontakt und kann meine Heimat an verantwortlicher Stelle mitgestalten – etwas Schöneres gibt es für mich nicht. Wir konnten viele Themen anpacken und auf den Weg bringen, auch das gehört zu meiner positiven Zwischenbilanz.
Vor vier Jahren haben Sie für eine Seltenheit gesorgt und sind gegen einen amtierenden Landrat angetreten. Würden Sie dies aus heutiger Sicht noch einmal machen?
Ich habe nichts zu bereuen, deshalb ein klares Ja – es hat sich gelohnt, mich für dieses Amt zu bewerben. Es ist ein Privileg, jeden Tag für die Region und die Menschen arbeiten zu dürfen. Deswegen würde ich es jederzeit wieder machen.
Ist Landrat für Sie eigentlich ein Traumjob oder wie oft haben Sie sich schon nach Ihrer Anwaltstätigkeit zurückgesehnt?
Es ist wirklich ein Traumberuf. Eine spannendere und abwechslungsreichere Aufgabe kann ich mir nicht vorstellen. Ich habe aber auch meine Anwaltstätigkeit sehr gerne ausgeübt. Nach meinen zeitlichen Möglichkeiten pflege ich den Kontakt mit meinen ehemaligen Arbeitskollegen, die ich sehr schätze.

Was macht Ihnen an Ihrer Arbeit als Landrat am meisten Spaß?
Am Schönsten ist der Kontakt mit den Menschen und dass die Arbeit so abwechslungsreich ist und viele Gestaltungsmöglichkeiten bietet. Auch wenn das kein repräsentativer Tag ist, hat mein Terminkalender heute beispielsweise so ausgesehen: Neben den üblichen Sitzungen war ich im Familienzentrum in Lauchringen. Ich durfte den Kindern beim Bau eines gallischen Dorfes helfen. Später am Tag hatte ich ein Behördentreffen mit dem Regierungspräsidium zu Verkehrsthemen und abends war ich bei den Proben der Domfestspiele, wo ich zusammen mit einigen Bürgermeistern aus der Region einen kleinen Auftritt habe.
Und was nervt Sie an Ihrem Job?
Die Kritik, die einen unvermittelt trifft, kann schmerzen. Das gehört zwar zum Amt dazu und bringt einen auch weiter. Manchmal ist sie aber unangemessen, vor allem, wenn sie persönlich ist. Natürlich bin ich auch nicht mehr so frei wie früher, ich kann mich nicht nachmittags um halb drei in die Kaiserstraße setzen und Kaffee trinken, denn dann fragt sich jeder, ob ich nichts anderes zu tun habe (lacht). Das zunehmende Anspruchsdenken der Menschen gehört auch zu den negativen Seiten eines öffentlichen Amtes. Die langwierigen Prozesse sind ein anderes eher mühsames Thema. Generell geht mir oft vieles zu langsam. Als Beispiel kann ich hier die zweite Rheinbrücke zwischen Waldshut und Koblenz nennen. Da müssen die Planungsprozesse schneller werden.
Würden Sie es begrüßen, wenn der Landrat wie der Bürgermeister von den Bürgern gewählt werden würde?
Das ist eine spannende Frage. Das hätte sicherlich Vor- und Nachteile. Ich glaube, die Landräte in Baden-Württemberg hätten dann ein anderes Profil und der Einfluss der politischen Parteien wäre größer. Es gäbe sicher auch weniger parteilose Landräte wie mich. Grundsätzlich scheue ich die Volkswahl aber nicht.

Sie haben gemeinsam mit Ihren beiden Landratskollegen Frank Hämmerle aus Konstanz und Sven Hinterseh vom Schwarzwald-Baar-Kreis sowie Bürgermeister Martin Benz aus Hohentengen vorgeschlagen, mittels Mediatoren einen Staatsvertrag zum Fluglärm hinzubekommen. Wie weit ist die Idee gediehen?
Es ist wichtig, dass es uns gemeinsam gelungen ist, auch in dieser Frage eine regionale Einigkeit herzustellen. In Gesprächen mit den Schweizern stelle ich jedoch noch ein gewisses Unverständnis fest. Wir halten deshalb eine Mediation wie etwa beim Bahnprojekt Stuttgart 21 für einen möglichen Weg. Wir dürfen dabei nicht vergessen: Mit keinem Land haben wir so intensiven und guten Kontakt wie mit der Schweiz. Deswegen sehe ich es als notwendig an, dass wir eine Lösung finden.
Vielleicht können Sie uns aus Ihrer Sicht verraten, wer die beiden Mediatoren sein sollten?
Da habe ich keinen bestimmten Kandidaten oder Kandidatin im Kopf. Der Bund hat die Federführung, wenn es zu einem Mediationsverfahren kommen sollte. Folglich ist es auch Aufgabe des Bundes, eine geeignete Persönlichkeit dafür zu finden. Meine Idealvorstellung war immer Heiner Geißler, aber der ist ja leider verstorben. Es müsste jemand sein, der eine natürliche Autorität genießt und anerkannt ist.
Bis wann könnte im Idealfall der Staatsvertrag stehen?
Das hängt zunächst davon ab, wann mit den Gesprächen begonnen wird. Man muss es nicht übers Knie brechen, sollte sich jetzt aber auf den Weg machen. Aus meiner Sicht kann man in einem überschaubaren Zeitraum zu einem Ergebnis kommen.
Die Verhandlungen und der Ausstieg der Stadt Waldshut-Tiengen aus der Spitäler Hochrhein GmbH haben sich lang hingezogen, sind aber nun endlich vollzogen. Wie sind die Pläne für den Rest des Jahres?
Es geht jetzt darum, die Ertüchtigungsmaßnahmen für das Spital in Waldshut zügig auf den Weg zu bringen. Denn wir müssen auch in der Zeit bis zur Fertigstellung des Zentralkrankenhauses am medizinischen Fortschritt teilhaben. Zum einen, um unsere Bevölkerung weiter auf hohem Niveau versorgen zu können. Zudem muss der Betrieb so funktionieren, dass auch das Personal sich kontinuierlich weiterbilden sowie neue Prozesse erarbeiten und einführen kann. Aktuell arbeiten wir am Medizinkonzept für das neue Klinikum. Parallel dazu gilt es, den geplanten Gesundheits-Campus in Bad Säckingen weiter zu begleiten und so zu unterstützen, dass er alsbald seine Arbeit aufnehmen kann.

Wann erfahren die Bürger, wo das geplante Zentralkrankenhaus gebaut werden soll?
Die möglichen Standorte, die derzeit untersucht werden, sind den Bürgerinnen und Bürger ja bekannt. Verhandlungen mit den Grundstückseigentümern sind zu führen. Außerdem müssen die Standorte bau- und umweltrechtlich geprüft werden. Unser Zeitplan ist davon abhängig, wann die Ergebnisse der Umweltuntersuchungen vorliegen. Ich hoffe, dass wir in der ersten Hälfte des kommenden Jahres entscheiden können.
Parallel zum Ausstieg wurde der Gesundheits-Campus Bad Säckingen auf den Weg gebracht. Glauben Sie, dass sich die Gemüter im westlichen Teil des Landkreises schon beruhigt haben?
Das würde ich mir wünschen. Die Gestaltung einer zukunftsfähigen Gesundheitslandschaft braucht eine positive Grundhaltung. Und wenn der Campus dazu beiträgt, dass alle relevanten Versorgungsthemen abgedeckt sind, dann wird wohl auch die Akzeptanz wachsen. Deshalb kann ich nur an alle appellieren, weiter aktiv am Gelingen des Gesundheits-Campus mitzuarbeiten. Wir dürfen aber vor allem nicht den Fehler machen, alles weiter zu zerreden. Sonst finden wir auch keine Leistungserbringer für den Campus. Ich wünsche mir, dass genügend Ärzte gewonnen werden können, die von dem Konzept und dem Umfeld überzeugt sind und dort praktizieren wollen. Das Gleiche gilt im Übrigen für das Spital Waldshut und das neue Zentralklinikum.
Erfüllen Sie Bürgermeister Alexander Guhl den Wunsch, dass der Erbbaupachtvertrag nur einen Euro pro Jahr beträgt?
Das Leben ist kein Wunschkonzert; es gibt kommunalrechtliche Vorgaben. Es ist aber auch klar: Am Ende des Tages soll es nicht am Erbbauzins scheitern.

Halten Sie es für klug, dass der Landkreis Geld geben soll, aber nichts zu sagen hat?
Das ist so nicht richtig. Wir als Landkreis legen ja auch mit fest, was auf dem Campus entstehen soll. Aber wir müssen nicht die Bodenbeläge aussuchen und die Nebenkosten abrechnen, um es überspitzt zu sagen. Es macht Sinn, dass die Stadt Bad Säckingen das operative Geschäft in die Hand nimmt und in einer schlanken Struktur Gas geben kann. Dem Landkreis geht es darum, dass die notwendigen Versorgungsangebote geschaffen werden und dies können wir vertraglich sicherstellen.
Der Klinikstreit hat einen tiefen Riss durch den Landkreis gezogen. Was glauben Sie, wann der Riss wieder gekittet ist oder fänden Sie es doch besser, wenn sich – wie von Kreisrat Fred Thelen vorgeschlagen – der westliche Landkreis sich dem Nachbarkreis Lörrach anschließen würde?
Nein, natürlich kann ich dieser Idee nichts abgewinnen. Wir sind ein Landkreis und wir haben grundsätzlich ein gutes Miteinander. Wir sollten nicht über Spaltung reden, sondern über Einheit. Wir haben alle Entscheidungen mit großer Mehrheit gefällt. Der Landkreis Waldshut zeichnet sich dadurch aus, dass er kein klassisches Zentrum hat. Jede Raumschaft hat ihre Stärken und Schwächen. Wir machen Themen miteinander und füreinander, von einem Graben will ich daher nicht reden. Man muss es nochmals sagen: Das Krankenhaus in Bad Säckingen war nicht zu retten. Dieser bitteren Realität mussten wir uns stellen und haben das auch getan.
Die so genannte Waldshuter Plattform zur Beschleunigung der A 98 von Albbruck bis Lauchringen trägt Ihre Handschrift. Wann sind die ersten Ergebnisse sichtbar?
Ich finde, dass wir die nächsten eineinhalb Jahre intensiv nutzen sollten. Die Deges (die Bundesgesellschaft, die die Planung der A 98 am Hochrhein übernommen hat, Anm. der Red.) muss ihr Büro in Stuttgart etablieren. Nach der Sommerpause werden wir – das heißt Kreis, Gemeinden und Bürgerinitiativen – mit der Deges in einen Austausch treten. Das ist die Waldshuter Plattform. Die Aufgabe der Deges ist es dann, auf Grundlage unseres regional abgestimmten Zielpapiers planerische Lösungen zu entwickeln. Daraus resultiert idealerweise eine Vorzugsvariante, die dann zügig umgesetzt werden kann.

Augenscheinlich hakt der Weiterbau der A 98 derzeit am meisten im Bereich Wehr/Bad Säckingen. Hat die mit viel Steuergeld entwickelte Konsenstrasse noch eine Zukunft oder braucht es nicht eine ganz andere Lösung?
Der große Wert der Konsenstrasse ist, dass es gelungen ist, regional Einigkeit zu erzielen. Ich sehe die Konsenstrasse nicht am Ende. Zunächst muss aber die Frage der Heilquellen in Bad Säckingen geklärt werden. Wenn dort Klarheit ist, kann es weitergehen. Wir drängen gemeinsam mit dem Landkreis Lörrach auf den Weiterbau der A 98. Der Abschnitt 5 darf nicht oberhalb von Schwörstadt enden.
Ihr Vorgänger hat 2007 gesagt, zur Bergtrasse gebe es keine Alternative. Sehen Sie das auch so?
Ich weiß nicht, ob er das so gesagt hat. Wir wollen weg von der Trassendiskussion. Mein Wunsch ist es, dass die Deges jetzt für die Interessen vor Ort planerische Lösungen findet. Daraus ergibt sich dann diese oder eine andere Vorzugsvariante.
Bleibt es dabei, dass die ersten elektrisch betriebenen Züge bis spätestens 2025 auf der Hochrheinstrecke rollen?
Von diesem Ziel will ich nicht abrücken, wenngleich einige Unwägbarkeiten auf der Strecke liegen. Ich kann daher keine Zahl garantieren, denn nicht wir, sondern die Deutsche Bahn macht die Planung. Wichtig ist aber Folgendes: Weil es bis zur Elektrifizierung der Hochrheinstrecke noch einige Jahre dauern wird, gehören die Mängel auf der Hochrheinstrecke schnellstmöglich abgestellt. Wir setzen uns bei Land und der Bahn dafür ein, denn diese sind in dieser für uns brennenden Frage zuständig.
Auch bei der langersehnten Ortsumfahrung Grimmelshofen haben sie das Heft des Handelns in die Hand genommen. Wann gibt es dort eine Entlastung für die Bürger?
Die Engstelle in Grimmelshofen gehört beseitigt. Aber das Heft des Handelns liegt beim Regierungspräsidium und beim Land. Dort kann man mangels Planungskapazitäten wohl erst ab 2025 tätig werden. Wir wollen daher zusammen mit der Stadt Stühlingen versuchen, die Zeit für wichtige Abklärungen zu nutzen, auf die das Land dann die Planung aufsetzen kann. In der zweiten Jahreshälfte wollen wir unsere Überlegungen vorstellen können.

Eine Ihrer ersten Amtshandlungen war, das Backbone-Netz für schnelles Internet auf den Weg zu bringen. Wie ist da der Stand der Dinge? Wann gibt es flächendeckendes schnelles Internet im Landkreis?
Es wird gebaut! Wir wollen den Bau des Backbones in drei Jahren abschließen. Das sind 380 Kilometer Backbone-Netz durch alle Gemeinden, die ihre Ortsnetze daran anschließen können. Am Ende des Tages hilft nur Glasfaser in jedes Haus. Ich bin dankbar, dass Bonndorf, Stühlingen, Ühlingen-Birkendorf und die Raumschaft St. Blasien bereits Ortsnetze ausgeschrieben beziehungsweise gebaut haben. Auch Murg, Albbruck und Laufenburg machen sich auf den Weg. Ich hoffe, dass alle anderen Städte und Gemeinden folgen. Was zählt ist: Am Ende des Tages wird der Landkreis überall mit Glasfaser versorgt sein.

Wie würden Sie aus Ihrer Sicht das Verhältnis zu den Mitgliedern des Kreistages beschreiben, dem Sie bis zu Ihrer Wahl zum Landrat selbst als Mitglied angehörten?
Aus meiner Sicht ist es ein gutes Verhältnis. Der Kreistag ist das zentrale Organ des Landkreises. Ich sage das auch im Bewusstsein, dass ich dem Kreistag mit vollen Tagesordnungen und den zu entscheidenden Themen einiges zugemutet habe. Schön ist, dass die Entscheidungen, die wir getroffen haben, meist mit großer Mehrheit erfolgten. Dass es unterschiedliche Meinungen gibt, liegt in der Natur der Demokratie. Jeder Landrat ist auf das Miteinander angewiesen, dazu gehören auch die Bürgermeister und viele Haupt- und Ehrenamtliche im gesamten Landkreis. Als Einzelkämpfer wird man nicht erfolgreich sein können.
Als Landrat sind sie auch Chef von mehr als 1000 Mitarbeitern. Kennen Sie eigentlich jeden Mitarbeiter persönlich?
Fast. (lacht) Ich versuche tatsächlich, alle kennenzulernen. Jeden Monat lade ich die neuen Mitarbeiter ein und versuche, mir die Namen zu merken. Die Mitarbeiter wissen, der Landrat ist ansprechbar und meine Tür ist immer offen. Wir wollen ein offenes Haus sein und den Bürgerinnen und Bürger gegenüber service- und lösungsorientiert sein. Das gilt auch für einen wertschätzenden Umgang miteinander im Amt.
Wie weit sind eigentlich die Pläne für ein zweites Landratsamt?
Tatsache ist, wir haben acht Außenstellen verteilt auf die Stadt Waldshut-Tiengen, von denen viele erheblichen Sanierungsbedarf aufweisen. Die wirtschaftlich beste Lösung ist die Zusammenlegung an einem zweiten zentralen Standort. Das Thema ist also auf unserem Radar, bedarf aber noch etwas Zeit.

Was sind die großen Herausforderungen für die zweite Hälfte Ihrer Amtszeit?
Da ist zunächst einmal die Gestaltung der Gesundheitslandschaft mit dem Neubau des Zentralklinikums zu nennen. Dann natürlich die Beseitigung der Infrastrukturdefizite beim Breitband und bei den Verkehrsthemen. Ferner wird uns der Fachkräftemangel im Landkreis beschäftigen – letzterer betrifft auch das Landratsamt. Wir müssen die Verwaltung digitalisieren – der Bürger erwartet das. Auch müssen wir weiter daran arbeiten, dass man uns als lebenswerte Region wahrnimmt. Wir liegen mitten in Europa, aber werden oft übersehen. Es ist wichtig und mir ein großes Anliegen, dass wir das Profil des Landkreises noch schärfen.