Als sie sich begegnen, umarmen sie sich herzlich. Maria F. strahlt viel Freude aus. Dabei hat sie ein Leben hinter sich, das einem Albtraum gleicht. An diesem Tag trifft sie sich wieder mit Heike Friedlin, ihrem „Buddy„. Der Begriff stammt aus dem Englischen und lässt sich mit „Kumpel“ oder „Freund“ übersetzen.
Maria F. und Heike Friedlin aus Lörrach nehmen am „Buddy-Care“-Projekt der Drogenberatungsstelle Lörrach teil. Dabei treffen sich Suchtkranke für ein Jahr lang einmal in der Woche mit ihrem Buddy, einem Kumpel außerhalb ihrer Szene, und unternehmen gemeinsam etwas. Klingt banal, ist aber wichtig für die Abhängigen.
„Das fühlt sich an, als tauche ich in eine andere Welt ein“, sagt Maria F. über das Projekt. Sie war 30 Jahre alkoholsüchtig. Im September 2019 beendete sie erfolgreich ihre Entzugstherapie. Im Oktober traf sie sich dann das erste Mal mit Heike Friedlin. Für das Projekt Buddy-Care ist es Bedingung, das der Abhängige trocken ist.
30 Jahre lang tranken alle um sie herum Alkohol. Und das schon mittags. Zu dieser „alten“ Szene möchte Maria F. Abstand bekommen, hält nur noch telefonisch Kontakt. Mit Heike Friedlin sei das anders. Da spiele das Thema Alkohol keine Rolle.
„Es ist für mich außergewöhnlich, dass sie nicht trinkt.“Maria F. über Heike Friedlin
„Ein normaler Spaziergang ohne Alkohol zu holen“ – das kannte Maria F. lange nicht. „Ich komme so gar nicht mehr in den Suchtdruck, vergesse es total. Das gefällt mir“, sagt sie.
Projekt in Lörrach und Frankfurt am Main
Und genau das, was Maria beschreibt, sei auch der Sinn des Buddy-Care Projekts, wie Jürgen Bittner von der Drogenberatungsstelle Lörrach erklärt. Er hat vor drei Jahren das Projekt im Landkreis Lörrach gestartet, das es in Deutschland sonst nur noch in Frankfurt Main gibt.
Er beschreibt es als ein Arrangement zwischen zwei Menschen, der eine rauschmittel-abhängig, aber nicht mehr in akuter Rauschmittel-Phase, der andere gesund. Die Abhängigen sind während des Projekts höchstens substituiert, das heißt ihr Rauschmittel wird durch ein legales Medikament ersetzt, ein sogenannter „Weichzeichner“. „Sie brauchen dies regelmäßig, können damit gut leben“, so Bittner. Er meint damit Abhängige von harten Drogen. Maria jedoch braucht so etwas nicht.
„Die Abhängigen kennen sich ein Großteil ihres Lebens nur in berauschtem Zustand. Wenn sie nach vielen Jahren aufhören, kommen sie nicht mehr auf den Boden“Jürgen Bittner, Drogenberatungsstelle
Sie hätten nichts anderes gekannt als Abhängigkeit und Ausgrenzung. „Sie sind clean, aber einsam.“
Offene Beziehungen, wo er sich frei fühlen kann und ohne Benutzungscharakter, kenne ein abhängiger Mensch gar nicht. „Sie wollen wieder in die Welt der Normalbürger eintreten und sind dabei noch unbeholfen. Dann kommt der Buddy ins Spiel“, sagt der Diplom-Sozialarbeiter und Therapeut.
Durch die Treffen mit ihrem Buddy spielt erneuter Rauschmittel-Konsum in ihrem Leben eine immer kleinere Rolle und auch die Szene-Kontakte werden uninteressanter. „Das ist magisch“, beschreibt es Bittner. So halte das Projekt die Suchtkranken davon ab, rückfällig zu werden.
Der Weg in die Sucht
Mit 20 kam Maria F. aus Venezuela der Liebe wegen nach Deutschland. Fünf Jahre später begann sie zu trinken. Am Anfang war es Heimweh. Später Eheprobleme. Bei Wut setzte sie die Flasche an. Alkohol war ihr Fluchtmittel bei Problemen. „Dann war alles eine Ausrede zum Trinken“, erzählt sie heute sehr offen.
Nach dem Arbeiten ging es mit Freunden von der Kneipe in die Disco. Ende 2018 dann war Maria F. ganz alleine. Fast, denn mit dabei war immer die Flasche. „Das war mein Liebhaber“, sagt sie. Sie wollte nicht mehr aus dem Haus gehen, dachte sich Ausreden aus, wollte alleine trinken. „Zum Schluss habe ich mich isoliert“, erzählt sie. Den Teufelskreis von der Arbeit in den Konsum nennt sie die totale Eskalation.
„Dann konnte ich nicht mehr.“Maria F.
Ein Arbeitskollege brachte sie zur Drogenberatungsstelle nach Lörrach. „Das war meine Rettung.“ Zwei Monate habe sie darüber nachgedacht, ob sie bei Buddy-Care mitmacht. Das war für sie eine Herausforderung. Übermütig habe sie gedacht, sie schaffe das alleine. Heute weiß sie, Buddy Care war die richtige Entscheidung.
Von Maria F.s Vorgeschichte hat Heike Friedlin bisher nichts gewusst. Denn bei Buddy Care ist der Alkohol kein Thema. Die beiden treffen sich für drei Stunden in der Woche, unternehmen etwas. „Wir machen Dinge, die ich sonst nie gemacht habe.“ Sie gehen ins Kino, spielen Badminton oder fahren mit dem Fahrrad zur Burg Rötteln.
Maria F. ist temperamentvoll und redet viel. Heike Friedlin ist ruhig und die gute Zuhörerin. Beide lachen viel. Und sie passen zusammen. Deshalb unterschrieben beide nach sechs Wochen Kennenlern-Zeit ihren Buddy-Vertrag. Ein Vertrag, der zur Freundschaft führte.
Der Kontakt läuft über SMS und Anrufe, die Adressen sind jeweils nicht bekannt. Maria F. braucht die Treffen, um aus alten Routinen zu kommen. Die Regelmäßigkeit sei für sie wichtig. So lerne sie, wieder Termine wahrzunehmen.
„Mittwochs ist Maria-Tag. Darauf freue ich mich, denn das ist auch für mich bereichernd.“Heike Friedlin
Sie habe sich vor Jahren bei der Drogenberatungsstelle als Buddy gemeldet. „Ich dachte, mir geht es gut und das möchte ich weitergeben“.
Es geht aufwärts
Jürgen Bittner erklärt das Prinzip: „Das Tollste ist, dass es ohne jegliche Helferambitionen ist, und alle ganz normal miteinander umgehen.“ Die Suchtkranken würden ohne dieses Stigma der Abhängigkeit betrachtet.
„Gerade das nicht geholfen wird, hilft wahnsinnig.“Jürgen Bittner
Die Abhängigen würden sich in sich selbst nicht gesund fühlen und auch nicht in ihren Beziehungen, so der Therapeut. Das ändere sich mit der Teilnahme an Buddy-Care, weil der Buddy gesund ist und sich auf keine krankhafte Beziehung einlasse. Und so gerate auch der Abhängige in eine gesunde Beziehung. Um Konflikten vorzubeugen, führt Bittner alle sechs Wochen Einzelgespräche mit den Teilnehmern. „Wie geht‘s dir mit dem anderen?“, ist dabei die zentrale Frage.
Maria ist noch nicht ganz über den Berg, wie sie selbst sagt. „Das braucht Jahre und jeden Tag Abstand.“ Seit dem Ende ihrer Therapie ist sie einmal rückfällig geworden. Und sie denkt immer wieder an den Alkohol.
Doch ihr Wille zu einem suchtfreien Leben ist groß. Und erste Schritte zu einem Neuanfang sind getan. Im November 2019 hat sie eine Weiterbildung in der Pflege begonnen. Aktuell ist sie im Praktikum. Dadurch hat Maria nun auch Kontakt zu anderen Menschen, die nichts von ihrer Sucht wissen. Und das tue gut. Es gehe aufwärts, sagt Maria F.. Dann lächelt sie.