Die Pandemiezahlen nehmen dramatisch zu. Dennoch machen Corona-Leugner immer weiter Front gegen staatliche Maßnahmen. Wie gefährlich ist diese Szene? Mittlerweile werden Teile der Querdenker-Szene in Baden-Württemberg vom Verfassungsschutz beobachtet. Die politische Dimension ist aber nur die eine Seite. Eine andere Frage ist zudem: Wie gefährlich sind die Thesen von Corona-Leugnern und Masken-Verweigerern eigentlich für verunsicherte Menschen und deren Gesundheit?

Wir haben Chefärzte aus unserer Region gebeten, dieses Milieu und ihre Behauptungen einzuordnen. Sie sagen unisono: Die Verharmlosung des Virus durch Corona-Leugner und Querdenker sei höchst verantwortungslos. Wenn deren Thesen wirklich Schule machten, werde das zum dramatischen Anstieg der Infektionen und zur Überforderung des Gesundheitswesens führen. Denn die Krankenhäuser seien schon jetzt schon am Rande der Belastungsgrenze.

Kliniken unter Druck

Die Kliniken ächzen unter der Last der Corona-Pandemie. „Wir nähern uns den Kapazitätsgrenzen“, beschreibt Bernhard Hoch, medizinischer Geschäftsführer der Kreiskliniken Lörrach, den Ernst der Lage. Das Gesundheitssystem in Deutschland bewege sich auf Messers Schneide. Dennoch wollten Corona-Leugner das partout nicht wahrhaben, wundert sich Hoch, und er vermutet: „Wahrscheinlich weil sie das tägliche Leid in den Kliniken nicht sehen wollen“. Hoch forderte in unserem Gespräch schon Tage, bevor Bund und Länder nun die Zügel angezogen haben: „Wir brauchen jetzt dringend einen verschärften Lockdown, um die Lage in den Krankenhäusern wieder zu stabilisieren.“

„Diese Menschen kennen das Wort Verantwortung nicht“ – Dr. Bernhard Hoch, medizinischer Geschäftsführer der ...
„Diese Menschen kennen das Wort Verantwortung nicht“ – Dr. Bernhard Hoch, medizinischer Geschäftsführer der Kreiskliniken Lörrach, über Corona-Leugner und Masken-Verweigerer | Bild: Kreisklinken Lörrach

Sein Kollege Stefan Bushuven, Chefarzt des Instituts für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention an den Hegau-Kliniken Singen, verdeutlicht im Gespräch mit dem SÜDKURIER die Doppelbelastung der Kliniken: Die Krankenhäuser hätten ihren regulären Versorgungsauftrag, für den sie eigentlich ausgelegt sind – und nun komme die wachsende Zahl an Covid-Patienten obendrauf.

Es gibt auch andere Proteste: Teilnehmer einer Gegendemo sehen eine Unterwanderung der Querdenker-Szene durch Rechtsextreme. Sie fordern ...
Es gibt auch andere Proteste: Teilnehmer einer Gegendemo sehen eine Unterwanderung der Querdenker-Szene durch Rechtsextreme. Sie fordern zur Einhaltung der Maskenpflicht auf. | Bild: Hendrik Schmidt

Hinzu kommt: „Der Berg an Intensivbetten in Deutschland schmilz stark ab“, sorgt sich Bushuven. Vor diesem Hintergrund kann er keinen verstehen, der ernsthaft zur Missachtung von Hygieneregeln aufruft.

Das sagen die Ärzte: Hygienemaßnahmen reduzieren das Risiko erheblich

Beide Ärzte weisen im Gespräch mit unserer Zeitung immer wieder auf die immense Bedeutung der Hygienemaßnahmen hin. Abstand halten, Mundschutz tragen und Räume regelmäßig Lüften – das seien die wichtigsten Regeln. Dass sich der Mundschutz für die Querdenker gewissermaßen zum Symbol für die Beschneidung der Freiheitsrechte hat entwickeln können, macht die beiden Ärzte fassungslos. Es sei unverantwortlich, den Bürgerinnen und Bürgern unter einem freiheitlichen Vorwand vorzumachen, der Mundschutz sei abzulehnen und ohnehin wirkungslos. Bernhard Hoch wird hier ganz deutlich: „In mir steigt die Wut hoch, wenn ich so etwas höre, diese Menschen kennen das Wort Verantwortung nicht.“ Im Gegenteil seien Abstand und Masken wirkungsvolle und absolut notwendige Instrumente gegen die Pandemie – man müsse sie halt auch einhalten, appelliert Hoch.

Protest gegen Querdenker-Bewegung – eine Egoist, der keine Makle trägt, meint die Demo-Teilnehmerin in Leipzig
Protest gegen Querdenker-Bewegung – eine Egoist, der keine Makle trägt, meint die Demo-Teilnehmerin in Leipzig | Bild: opokupix via www.imago-images.de

Kollege Stefan Bushuven aus Singen unterschreibt das: „Wir wissen doch, dass die Masken funktionieren“, korrigiert der Singener Chefarzt ungläubige Masken-Kritiker, „und die Behauptungen, dass es keine Studien dazu gibt, stimmen einfach nicht“, fügt er hinzu. Die Maske reduziere nachweislich das Infektionsrisiko ganz erheblich. Seine Regelkette ist klar: ausreichend Abstand, wo immer es geht, ansonsten zwingend Maske tragen.

Darf ein Arzt pauschal Masken-Atteste ausstellen?

Es gebe tatsächlich Menschen, die von einer Maske befreit werden sollten, räumen die beiden Mediziner ein – aber ihre Zahl sei verschwindend gering. Das seien beispielsweise Babys oder auch geistig Behinderte, denen die Notwendigkeit einer Maske nicht zu vermitteln sei. Aus medizinischen Gründen seien es etwa Patienten mit schweren Lungenvorerkrankungen – aber unter dem Strich seien das Ausnahmefälle, betonen sie. Deswegen müsse jeder Arzt hier deutlich hinschauen, bevor er eine Befreiung von der Maskenpflicht ausstellt, sagt Bernhard Hoch.

„Jemand, der so etwas macht, muss über sein Berufsethos nachdenken“ – Dr. Stefan Bushuven, Chefarzt des Instituts für ...
„Jemand, der so etwas macht, muss über sein Berufsethos nachdenken“ – Dr. Stefan Bushuven, Chefarzt des Instituts für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention an den Hegau-Kliniken Singen, über Ärzte-Kollegen, die pauschal Masken-Atteste ausstellen | Bild: Hegau Bodensee Klinikum

Beide Mediziner wissen, dass es dennoch Ärzte im Corona-Leugner-Milieu gebe, die solche Masken-Atteste sorglos ausstellen: „Das muss jeder Arzt mit seinem eigenen Gewissen und seiner Ethik vereinbaren“, sagt Hoch und fügt hinzu: „Ich habe ein anderes ärztliches Verständnis“. Sein Kollege in Singen sieht die Problematik keinen Deut anders: „Jemand der so etwas macht, muss über sein Berufsethos nachdenken“, ist Bushuvens Ansicht. Und er vermutet: Ein solcher Arzt verteile wahrscheinlich auch Krankschreibungen.

Der ganz gefährliche Irrtum: Corona ist doch nur eine Grippe

Ein durch nichts bestätigtes Gerücht, aber im Netz immer gerne wiedergekäut: „Covid-19 ist doch nicht schlimmer als eine ganz normale Grippe“. Bei diesem gefährlichen Märchen schütteln die beiden Mediziner aus Lörrach und Singen den Kopf. Denn die beiden kennen nicht nur die wissenschaftlichen Daten, die eine ganz andere Sprache sprechen. Sie sehen täglich auch die Schmerzen und die Not der Corona-Patienten. Und ihr Sterben.

Das Virus Sars-CoV-2 sei wesentlich aggressiver als eine Influenza, die Infektiösität viel höher, beschrieben Bushuven und Hoch, weshalb gerade die Hygieneregeln so wichtig seien. Die Ausbreitung sei deshalb rasanter. Die schwere der Symptome sei heftiger, weshalb die Mortalität höher sei. Hinzu kommt: Bei einer Grippe seien die Symptome immer dieselben – Fieber, Erkältung, Gliederschmerzen. Das Coronavirus hingegen könne sich zunächst als harmloser Schnupfen tarnen und so bei Hygiene-Nachlässigkeit zu starker Verbreitung führen.

Corona-Impfung – Ärzte appellieren, nicht den Theorien der Impfgegner zu folgen

Stefan Bushuven hat einen grundsätzlichen Blick auf das Thema: Unabhängig von der aktuellen Corona-Impfung beobachtet er in gewissen Bevölkerungsgruppen eine generelle „Anti-Impfkultur“, die teils schon „klerikal-religiöse Affekte“ zeige – dies sei auch bei Corona so. Bushuven versteht zwar, dass die Impfablehnung von Angst über die Nebenwirkungen getragen sei.

Jedoch bedeute das im Umkehrschluss, dass die Angst vor der Impfung größer sei als vor einer Corona-Erkrankung – und genau das kann er sich nur durch gezielt Falschinformation erklären. Corona-Leugner verbreiteten „Fake News“, so Bushuven, und verunsicherten damit viele Menschen. Als Privatperson und als Arzt stellt er klar: „Ich werde mich impfen lassen und als Mediziner empfehle ich die Impfung.“ Selbstverständlich müsse die Impfentwicklung stetig beobachtet und dauernd überprüft werden, betont er. Aber das sei wissenschaftlichen Praxis bei allen Impfungen.

Corona-Leugner und so genannte Querdenker kritisieren eine Impflicht, die es gar nicht gibt.
Corona-Leugner und so genannte Querdenker kritisieren eine Impflicht, die es gar nicht gibt. | Bild: Arnulf Hettrich via www.imago-images.de

Sein Kollege Hoch aus Lörrach richtet denselben Appell und empfiehlt ebenfalls die Impfung. Und er ist sich sicher: Mit zunehmender Impfverbreitung werde das Virus zurückgedrängt. Allerdings warnt er vor zu hohen Erwartungen, denn die Zahl der Impfgegner sei nicht unerheblich. Deshalb wünscht sich Hoch weitere Aufklärung zum Thema und eine deutliche Zunahme der Impfbereitschaft in der Bevölkerung.

Ein Szenario: Wo wären wir in der Pandemie, würden wir den Thesen der Corona-Leugner folgen?

Die beiden Mediziner zeichnen hier ein düsteres Bild der Konsequenzen: „Das wäre eine Katastrophe“, sagt Bernhard Hoch, mit der jetzigen Situation nicht vergleichbar. Die Folge: Enorme Infektionsraten, extrem hohe Sterblichkeit. „Denn wir könnten die Masse an Covid-Patienten nicht mehr ausreichend versorgen.“ Im schlimmsten Fall müsste sich das Krankenhaus von der Grund- und Regelversorgung abmelden, sagt Hoch voraus. Das heißt, der Verkehrsunfall, der Herzinfarkt, der Blinddarm – alle müsste in eine andere Klinik. Wenn die nicht auch schon überlastet ist und sich aus der Regelversorgung ausgeklinkt hat.

Kollege Stefan Bushuven unterstreicht: „Wenn wir das einfach laufen lassen, dann laufen uns die Krankenhäuser voll.“ Die Intensivbetten gingen aus, die Ärzte müssten triagieren, also entscheiden, wer kriegt einen Platz, wer muss sterben. Das Gesundheitssystem käme an die Grenzen oder würde sie überschreiten. Aber genau dieses Szenario solle mit verantwortungsvoller Einhaltung der Corona-Verordnungen und Hygieneregeln verhindert werden, appellieren Hoch und Bushuven. Nur haben unsere beiden Gesprächspartner das Gefühl, dass diese Erkenntnis und damit auch der Ernst der Situation noch nicht bei allen angekommen ist.

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