Er war wie ein Mitglied der Familie. Er ging dort ein und aus. War Gast, genoss das Vertrauen aller. Doch er hat deren Vertrauen aufs Schärfste gebrochen, hat die Nähe schamlos ausgenutzt, hat drei minderjährige Mitglieder der Familie sexuell missbraucht, drei Jungen – der jüngste unter ihnen war erst 9.
Jetzt stand der Mann dafür vor dem Amtsgericht Waldshut-Tiengen. Bevor dieses das Urteil sprach, richtete der Angeklagte noch Worte an die Mütter der drei Jungen, die im Saal saßen und im Verfahren als Zeuginnen ausgesagt hatten: „Es tut mir sehr leid.“ Und: „Ich möchte, dass mir professionell geholfen wird.“
Drei Jahre und 10 Monate Haft
Zu drei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilte ihn das Amtsgericht unter Vorsitz von Maria Goj – und blieb damit nur zwei Monate unter der seitens eines Schöffengerichts maximal verhängbaren Freiheitsstrafe. Damit lag das Gericht gleichauf mit der Forderung der Staatsanwaltschaft. Die Verteidigung hatte für ein Strafmaß von unter drei Jahren plädiert. Zugutegehalten wurde dem Mann, dass er keinerlei Vorstrafen hatte, von Anfang an geständig und bei der Ermittlung „kooperativ“ war, wie Staatsanwalt Pascal Attrodt sagte.
Die dem Mann vorgeworfenen Taten hatten sich 2023 und 2024 in Gemeinden im östlichen Kreisgebiet abgespielt. Danach hatte der 38-Jährige die drei Jungen teils beim Masturbieren überrascht und soll sie dabei ohne ihr Wissen auch gefilmt haben. Folgend habe er an den Jungen selbst immer wieder sexuelle Handlungen vorgenommen. Strittig blieb, ob er auch selbst vor den Jungen masturbierte. Einer der drei sagte zudem aus, dass der Angeklagte sich nackt auf ihn gesetzt und für den Geschlechtsverkehr typische Bewegungen nachgeahmt habe.
Jungen durften sogar bei Mann übernachten
Der Vorwurf, einen der Jungen mit dem Finger anal penetriert zu haben, kam indes nicht zur Anklage. Einer der drei hatte das in einer Vernehmung per Video behauptet, allerdings erst nach mehrfachem Nachfragen und auch erst ganz am Schluss der Befragung. Im Video, das in der Verhandlung gezeigt worden ist, wurde deutlich, dass der 14-Jährige von einer geistigen Entwicklungsstörung betroffen ist. So konnte er mutmaßlich auch die Tragweite der an ihm vorgenommenen sexuellen Handlungen nicht seinem Alter gemäß einschätzen. Das könnte sich der Angeklagte zunutze gemacht haben. Die Mütter vertrauten dem Mann so sehr, dass sie ihre Jungen sogar in dessen Wohnung übernachten ließen.
Zum Zeitpunkt, als der Mann Freund der Familie wurde, dürfte er schon eine Riesensammlung kinder- und jugendpornografischer Dateien auf Computer, Smartphone und externen Datenträgern abgespeichert haben. In Chat-Gruppen beim Messengerdienst Telegram soll er sie sich unter anderem beschafft und teils dort auch weiterverbreitet haben – auch die Teilstrafen dafür flossen in die hohe Gesamtstrafe mit ein.
Der Missbrauch fällt durch Zufall auf
Durch eine Anzeige der US-amerikanischen Organisation NCMEC waren die deutschen Ermittler auf ihn aufmerksam geworden. Bei einer Hausdurchsuchung im Januar 2024 fand die Polizei dann mehr als 4700 kinder- und jugendpornografische Dateien vor und stellte sie sicher. Teils zeigen diese, wie Kinder und Jugendliche untereinander sexuelle Handlungen vornahmen, teils auch brutale Vergewaltigungen.
Nach der Beschlagnahmung der Datenträger verschaffte sich der Mann indes gleich wieder Kinder- und Jugendpornografie. Das wurde ihm seitens des Gerichts negativ bewertet. „Stattdessen hätten sie handeln müssen“, hielt Goj dem Angeklagten vor. Deutlich wurde in der Verhandlung aber auch, dass es hier an Therapieangeboten mangelt. Präventiv Hilfe zu bekommen, also vor einem Haftantritt, hieß es, sei praktisch unmöglich.
Dass der von ihm verübte sexuelle Missbrauch an dem Jungen publik wurde, war denn auch eher Zufall. Der Mann war mit einer der Mütter in Streit geraten. Daraufhin brach diese den Kontakt ab und ließ den Mann nicht mehr ins Haus. Die Kinder reagierten darauf erleichtert. Auf Nachfrage warum, kam dann alles heraus. Direkt darauf wurde der Angeklagte in Haft genommen.
Mütter der Opfer fühlen sich befreit
„Wir sind jetzt befreit von ihm“, sagte eine der Mütter aus. Und: „Wir wollen, dass im Interesse der Kinder alles aufgearbeitet wird.“ Sie suche aktuell nach Therapeuten für die Opfer, was aber bisher erfolglos gewesen sei.
Auch der Angeklagte gab an, Opfer zu sein, selbst als Kind sexuell missbraucht worden zu sein. Nachprüfen ließ sich das aber nicht. Akten zu einem angeblichen Strafverfahren aus den 1990er Jahren in Ostdeutschland waren nicht auffindbar.