Vanessa Amann

Die Gedanken des Alltags ausschalten, nicht an gestern und auch nicht an morgen denken – einfach im Hier und Jetzt leben. Geht das überhaupt?

Dieser Frage sind neun Teilnehmer zwischen Ibach und Todtmoos Anfang Mai beim Waldbaden auf den Grund gegangen. Sandra Lass, Kursleiterin für das Waldbaden und Klangtherapeutin, hat sie dabei mit auf eine Reise in den Wald genommen, die für viele Neuland war.

Inmitten des Naturparks Südschwarzwald trifft sich die Gruppe auf einem Wanderparkplatz, um ins Waldbaden einzutauchen.
Inmitten des Naturparks Südschwarzwald trifft sich die Gruppe auf einem Wanderparkplatz, um ins Waldbaden einzutauchen. | Bild: Vanessa Amann

Denn Waldbaden kann nicht gleichgesetzt werden „mit einer Runde laufen im Wald“ oder mit „Holzfällarbeiten“, so Lass. Vielmehr gehe es darum, „runterzufahren. Den Körper, Geist und die Seele zu beruhigen und zur Ruhe zu kommen.“

Im Gepäck der bunt gemischten Truppe waren keine Bikinis, Handtücher oder eine Tube Sonnencreme, wie der Name „Waldbaden“ es vielleicht vermuten lässt. Eingepackt in Regenjacken hat die Gruppe nur den Wunsch, die Seele baumeln zu lassen.

„Die Natur wertet nicht, die Vögel singen für jeden und jeder kann die Natur genießen, egal ob jung oder alt“, findet Sandra Lass. Als diplomierte Biologin, die es für Forschungszwecke schon über den großen Teich gezogen hat, war es stets ihr Wunsch, die Liebe zur Natur weitergeben zu können und ein Stück zum Erhalt unseres Planeten beizutragen.

Sandra Lass ist Biologin, Klangtherapeutin und ausgebildete Kursleiterin für das Waldbaden. Ihre Liebe zur Natur gibt sie in ihren ...
Sandra Lass ist Biologin, Klangtherapeutin und ausgebildete Kursleiterin für das Waldbaden. Ihre Liebe zur Natur gibt sie in ihren Kursen an die Teilnehmer weiter. | Bild: Vanessa Amann

„Viele Menschen sind neugierig, was dieses Waldbaden überhaupt ist und melden sich deshalb zu einem Kurs an“, erklärt sie im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Was in Deutschland noch längst keine Yoga-Sitzungen ersetzten wird, kommt ursprünglich aus Japan und wird „Shinrin-Yoku“ genannt, erklärt sie der Gruppe.

Dabei gehe es darum, achtsam durch den Wald zu schlendern, möglichst alle Sinne anzusprechen und gleichzeitig die Hektik des Alltags außen vor zu lassen.

Der Frühling ist auch im Wald eingekehrt. Satte Farben, Luft in der die Feuchtigkeit förmlich gerochen werden kann und durchnässte Baumrinden werden der Gruppe noch auf ihrem Weg begegnen.

Teilnehmer sind begeistert vom Waldbaden und betonen die „entspannende“ und „wohlfühlende“ Atmosphäre.
Teilnehmer sind begeistert vom Waldbaden und betonen die „entspannende“ und „wohlfühlende“ Atmosphäre. | Bild: Vanessa Amann

Nach einem kurzen Stück entlang des Waldes folgt die erste Einladung: Jeder soll sich einen Stein aussuchen, der einen anspricht. Steine, denen man ansonsten keine Beachtung schenkt, hinterlassen erdige Spuren auf den Händen. „Seltsam, einen Stein vom Boden aufzuheben. Das macht man sonst eigentlich nicht“, sagt eine Teilnehmerin lachend.

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In den Stein werden für die nächsten zwei Stunden alle Sorgen und Ängste gepackt, die nun „zurückgelassen und hier liegen bleiben werden“. Genüsslich und in angenehmer Ruhe geht die Kursleiterin voran. „Es ist sehr entspannend, das Ziel nicht zu kennen und jemandem blind folgen zu können“, verrät eine andere Mitstreiterin aus der Gegend.

Um den Geruchssinn wahrzunehmen, werden zweier Gruppen gebildet. „Alles was riecht“, soll gesammelt und dem Partner unter die Nase gehalten werden. Denn: Wie riechen eigentlich Blätter? Und kann die Erde von einem Stück Holz, das auf dem Boden lag, überhaupt unterschieden werden?

Einen Fichtenzapfen vom Boden auflesen und den Partner daran riechen lassen, war eine der Achtsamkeitsübungen entlang des Weges.
Einen Fichtenzapfen vom Boden auflesen und den Partner daran riechen lassen, war eine der Achtsamkeitsübungen entlang des Weges. | Bild: Vanessa Amann

Zerriebene Fichtennadeln riechen plötzlich wie ein teures Öl aus der Drogerie und das Holz, welches auf dem Boden lag, hat eine scharfe Eigennote. „Heute legen wir keine Strecke zurück“, hatte Sandra Lass bereits am Anfang betont. Doch die Achtsamkeitsübungen, gepaart mit der eigenen Körperwahrnehmung, haben einen zur Ruhe kommen lassen.

„Ich hätte noch eine weitere Stunde dranhängen können“, betont ein Teilnehmer am Ende des Kurses. Als Selbstständiger sei es schwer, die Gedanken wirklich einmal abzuschalten – das sei nach einiger Zeit wirklich passiert, weshalb der Kurs für ihn ein voller Erfolg war. Und auch die Befürchtung, dass das Waldbaden zu „spirituell-esoterisch“ sei, habe sich nicht bewahrheitet.

Vogelgezwitscher, frische Luft und kein Ziel vor Augen: Beim achtsamen Schlendern durch den Wald senken sich sowohl der Blutdruck wie ...
Vogelgezwitscher, frische Luft und kein Ziel vor Augen: Beim achtsamen Schlendern durch den Wald senken sich sowohl der Blutdruck wie auch der Puls. | Bild: Vanessa Amann

„Der Weg zur Natur ist der Weg, wie wir wieder zu uns finden. Dass wir wieder Kontakt zu uns haben. Und das ist der Baustein, den ich im Waldbaden sehe“, sagt Sandra Lass. Und nach zwei Stunden im Wald, während derer sich die Teilnehmer an das Vogelgezwitscher und das Rauschen der Bäume gewöhnt haben, kommt einem die vorbeifliegende Hummel wie ein brummender Motor vor.

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