Wo am Fuß des Kühlturms des Kernkraftwerks Leibstadt (KKL) an normalen Betriebstagen ein Rauschen wie von vielen Wasserfällen zu hören ist, herrscht absolute Ruhe. Auch 144 Meter höher am oberen Ende des Kühlturms ist nichts als blauer Himmel zu sehen.
Himmel ohne Dampfwolke
Seit dem 24. Mai 2021 steigt keine Dampfwolke auf, weil das Kernkraftwerk sich in der Jahreshauptrevision befindet. Dafür ist es rund fünf Monate lang vom Netz. Während dieser Zeit werden der Kondensator und das Reaktorumwälzsystem erneuert. Die Revisionsarbeiten werden voraussichtlich 155 Tage dauern – nicht nur aus technischer Sicht, sondern auch mit Blick auf die Corona-Bedingungen eine komplexe Aufgabe.
Denn über den gesamten Revisionszeitraum von fünf Monaten verteilt werden bis zu 1000 externe Fachkräfte pro Tag auf dem Kraftwerksareal anwesend sein. „Um den Abstand insbesondere beim Zutritt sicherzustellen, arbeiten die Montageteams in 16 zeitversetzt startenden Schichten“, berichtet Thomas Gerlach, Pressesprecher des KKL. Wegen dieser Begrenzung der Personenzahl auf der Anlage dauern die Umbauarbeiten länger als ursprünglich geplant. Wie schon im Vorjahr gelten strenge Corona-Schutzmaßnahmen mit Abstandsvorschriften, Maskenpflicht und Hygieneregeln. Ergänzend befindet sich auf dem Werksgelände ein Testzentrum.
Gastgewerbe profitiert
Von der Jahreshauptrevision profitiert indirekt eine Branche, die während der Corona-Pandemie nichts zu lachen hatte: Das Gastgewerbe. Denn ein Teil der Fachkräfte stammt aus ganz Europa und den USA und ist in regionalen Hotels, Pensionen und Ferienwohnungen untergebracht. „Wegen Corona sind Unterkünfte leichter zu finden“, weiß Thomas Gerlach. Die Unterkunft der Fachkräfte sei Sache der Lieferanten, so Gerlach, „viele kommen jedes Jahr und haben Stammunterkünfte“. Die Mehrheit der Fachkräfte – Handwerker, Gerüstbauer, diverse Spezialisten – kommt aus Deutschland und der Schweiz.

Die Jahreshauptrevision beschreibt Thomas Gerlach so: „Das Ganze ist eine große Kombinationsleistung.“ Die vielfältigen Arbeiten werden von einem Team geplant, das eine intensive Zusammenarbeit mit den zahlreichen involvierten KKL-Funktionen pflegt. „Das geht vom Hauptplan bis zur detaillierten Tagesplanung“, sagt Gerlach. Dabei gibt es viele Abhängigkeiten zu berücksichtigen. Von den verschiedenen Systemen für die (Not)stromversorgung und die Kühlung müssen immer mehrere verfügbar sein. „Die Revisionsplanung ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe“, hält Gerlach fest. Dass die Revision gerade jetzt stattfindet, hat zwei einfache Gründe: geringere Stromnachfrage und höhere Leistung der Laufwasserkraftwerke im Sommerhalbjahr. Dennoch: „Das KKL rechnet pro Tag Stillstand mit einem Produktionsausfall in der Größenordnung von einer Million Franken“, berichtet Thomas Gerlach.
Zurück zum Kühlturm: In dessen Nähe befindet sich eine Werkhalle, in der bereits Teile des neuen Kondensators bereitstehen. Die großen Einzelkomponenten des neuen Kondensators werden im Maschinenhaus montiert. In einem zweiten Montageschritt werden 52.000 Titanrohre mit einer Länge von je 13,5 Meter einzeln in den Kondensator eingeführt und verschweißt. Danach werden die acht Wasserkammern montiert und die Verbindung zu den Hauptkühlwasserleitungen hergestellt, welche vom Kühlturm kommen. Der alte Kondensator wird zuvor in seine Einzelteile zerlegt. Dabei werden rund 475 Tonnen Material in Schrottcontainer gefüllt.
Kondensator wird ersetzt
Der Ersatz des Kondensators ist, so Thomas Gerlach, „wegen der normalen Abnutzung notwendig“. Nebeneffekt: Die neuen, effizienteren Komponenten steigern den Wirkungsgrad des Kondensators um rund 10 Megawatt. Das entspricht der Leistung eines kleinen Wasserkraftwerks. Der Kondensator ist der größte Wärmetauscher im KKL und im Maschinenhaus direkt unter den drei Niederdruckturbinen angeordnet. Er leitet die Wärme vom geschlossenen inneren Reaktorkreislauf auf den davon vollständig abgetrennten äußeren Kühlkreislauf mit dem Kühlturm. Mit einer Länge von 22 Metern, einer Breite von 13,5 Metern und einer Höhe von 4,5 Metern ist er so groß wie ein Ferienbungalow.
Das zweite Modernisierungsprojekt betrifft das Reaktorumwälzsystem, welches die Zirkulation des Reaktorwassers im Kern regelt. Es wird neu durch Pumpenmotoren angetrieben, die mit Frequenzumrichter drehzahlgesteuert werden. Dieses neue System erlaubt laut KKL „eine hydraulisch optimierte, effizientere Steuerung der Umwälzung im Betrieb und vereinfacht das An- und Abfahren der Anlage“. Die zwei neuen Motoren wiegen je rund 30 Tonnen, die beiden Pumpen je rund 18 Tonnen. Die beiden Frequenzumrichter sind jeweils 18 Meter lang und je 35 Tonnen schwer. Im Rahmen der Jahreshauptrevision wird das KKL 80 frische Brennelemente in den insgesamt 648 Brennelemente fassenden Reaktorkern einsetzen.