Noch bis 2045 soll nach gegenwärtiger Planung das Schweizer Kernkraftwerk Leibstadt (KKL) gegenüber von Waldshut-Tiengen seine mächtige Dampfwolke in den Himmel schicken. Doch schon 24 Jahre vor der Stilllegung manifestiert sich das absehbare Ende der Atom-Ära in Gestalt marktwirtschaftlicher Offenbarungen. Das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (EWZ) würde gerne eine indirekte Beteiligung am KKL abstoßen, hat aber bislang keinen Käufer finden können. Auch die Konzerne Axpo und Alpiq, die größten Aktionäre des Meilers, haben kein Interesse.

Ausstieg ist das Ziel

Gemäß dem Trend zum Ausstieg aus der Hochrisikotechnologie Atomkraft haben die Stimmbürger der Stadt Zürich im Jahre 2016 beschlossen: Ihr Elektrizitätswerk, das nach wie vor auch Atomstrom bezieht und weiterverteilt, soll nichts mehr mit Kernenergie zu tun haben.

Bis zum Jahr 2034 soll das EWZ die betreffenden Aktien abstoßen. Das gilt sowohl für die 15-prozentige Beteiligung am Kernkraftwerk Gösgen im Kanton Solothurn als auch für das 20,5-prozentige Engagement an der schweizerischen Aktiengesellschaft für Kernenergiebeteiligungen (AKEB) in Luzern, die wiederum indirekt Anteile am Kernkraftwerk Leibstadt am Hochrhein hält.

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„Im Moment ist der Prozess eingefroren“, sagt auf Anfrage des SÜDKURIER EWZ-Mediensprecher Thöme Jeiziner. Das Vorhaben erwies sich als so schwierig, dass trotz externer Fachunterstützung, wofür der Züricher Gemeinderat 2,2 Millionen Franken bewilligte, kein Abschluss in Sicht kam. Im November 2020 meldete das EWZ offiziell: „ Keine geeigneten Käufer für Kernenergiebeteiligungen gefunden.“

Kein Interesse an Aktien

Über 100 mögliche Interessenten seien zuvor sowohl weltweit als auch in der Schweiz kontaktiert worden. Ergebnis laut der damaligen Medienmitteilung: „Als Resultat dieser Bemühungen sind wenige unverbindliche Verhandlungsangebote eingegangen, darunter keines von Schweizer Energieunternehmen.“ Demzufolge haben selbst die großen Teilhaber der betreffenden Kernanlagen kein Interesse, die Wertpapiere zu übernehmen.

Beim Kernkraftwerk Leibstadt sind die Alpiq AG sowie die Axpo Power AG und die Axpo Solutions AG die größten Aktionäre. Ihre Stellungnahmen auf Anfrage von suedkurier.de klingen eindeutig. Axpo-Mediensprecher Antonio Sommavilla: „Die Strategie von Axpo sieht keine Verstärkung des nuklearen Engagements vor.“ Sabine Labonte, Mediensprecherin bei Alpiq: “Dieses Thema steht derzeit nicht auf der Agenda unseres Unternehmens, daher hat Alpiq auch keine Schritte in diese Richtung unternommen.“

Zwar hat das EWZ laut der Mitteilung vom November „zwei unverbindliche Verhandlungsangebote“ ausländischer Unternehmen erhalten. Dabei handele es sich um „Tochterfirmen nichteuropäischer Unternehmen mit Aktivitäten im Nuklearbereich“. Der Stadtrat habe jedoch die Erfolgschancen eines Verkaufs als gering bewertet und daher beschlossen, die Verhandlungen nicht fortzuführen.

Erwartete Kosten schrecken ab

Dabei spielten offenbar nicht nur weitere zu erwartende Kosten von bis zu sechs Millionen Franken eine Rolle. Sondern es geht auch um Zielkonflikte: Das kommerzielle Interesse potenzieller Käufer an einem möglichst langen Weiterbetrieb der Reaktoren steht im Widerspruch zu den Beweggründen der Züricher, sich von der Kernenergie loszusagen.

„Die Transaktion als solche ist aufgrund ihrer Komplexität und wegen der Vorkaufsrechte und Einsprachemöglichkeiten der anderen Aktionäre mit großen Unsicherheiten verbunden“, beschreibt das EWZ die Schwierigkeiten des vorerst auf Eis gelegten Verkaufsvorhabens. Und es sei „nicht gewährleistet, dass im Rahmen der Verhandlungen sämtliche mit dem Betrieb der Kernkraftwerke verbundenen Risiken auf die Käufer übertragen werden können“.

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Noch bis 2034 hat das EWZ gemäß der Volksabstimmung für den Atomausstieg Zeit. Zu diesem Zeitpunkt sind nach dem staatlichen Rahmen, der eine 60-jährige Laufzeit vorsieht, sowohl das Atomkraftwerk Gösgen als auch der Reaktor in Leibstadt noch in Betrieb.

Schon jetzt aber hat der Gemeinderat Zürich eine Gelegenheit genutzt, die Positionierung gegen die Atomenergie zu unterstreichen. Im Dezember lehnte das Gremium mehrheitlich die Beteiligung an einem Aktionärsdarlehen ab, das für Nachrüstungen des Kernkraftwerks Gösgen und damit der Gewährleistung der geplanten Laufzeit dienen sollte. Verhindert werden kann das Vorhaben damit allerdings nicht. Wie die Neue Züricher Zeitung kritisch zu dem Vorgang anmerkte, müsse die Kernkraftgesellschaft als Konsequenz einen wohl teureren Bankenkredit aufnehmen.

Bürger von Zürich stimmen für den Atomausstieg

In den Siebzigerjahren haben die Züricher Stimmbürger beschlossen, dass ihr Elektrizitätswerk (EWZ) Kernkraft-Aktien erwerben darf. 2016 schuf eine neue Volksbefragung die Grundlage für den Ausstieg aus der Atomenergie. Bis heute jedoch bezieht und verteilt das EWZ Strom auch aus Kernreaktoren.

Einstieg: Am 3. Dezember 1972 wurde von den Stimmbürgern die indirekte Beteiligung am Kernkraftwerk Leibstadt (über die Aktiengesellschaft für Kernenergiebeteiligungen/AKEB in Luzern) bewilligt, am 23. September 1973 jene am Kernkraftwerk Gösgen (KKG). Über die AKEB ist das EWZ indirekt nicht nur am Schweizer Kernkraftwerk Leibstadt, sondern auch den französischen Reaktoren Cattenom und Bugey beteiligt. Nach Angaben der EWZ entspricht die AKEB-Beteiligung einem Wert von 18,45 Millionen Franken, die Beteiligung am KKG einem Wert von 43,5 Millionen. Ein Mindestpreis für den geplanten und vorläufig gescheiterten Verkauf ist nicht bekannt.

Nutzen: „Zusammen mit der Wasserkraft sorgte die Kernenergie Jahrzehnte für eine sichere und zuverlässige Stromversorgung der Schweiz und der Stadt Zürich“, teilte das EWZ auf Anfrage mit. Bei den Beteiligungen handele es sich um Partnerwerk-Konstrukte: „Die Aktionäre decken im Verhältnis ihrer Beteiligung die Produktionskosten. Im Gegenzug erhalten sie im Verhältnis ihrer Beteiligung den produzierten Strom, den sie selber am Markt absetzen.“

Ausstieg: Im Jahr 2008 wurde der Verzicht auf neue Kernkraft-Beteiligungen in der Gemeindeordnung der Stadt Zürich festgeschrieben. 2016 schließlich beschlossen die Stimmbürger das Jahr 2034 als Zeitpunkt für den Ausstieg aus der Atomenergie. Das Elektrizitätswerk: „Traditionell hat sich EWZ stets den erneuerbaren Energien verschrieben.“