Auch das Bundesumweltministerium (BMU) zieht in Zweifel, dass die jüngsten deutschen Brennelement-Exporte an das Schweizer Kernkraftwerk Leibstadt rechtmäßig gewesen sind. Eine entsprechende Stellungnahme gab ein Sprecher auf Anfrage dieser Zeitung ab. Laut BMU wird der Vorgang der Staatsanwaltschaft zur Prüfung vorgelegt. Das KKL selbst erklärte auf Anfrage, die Brennelement-Lieferungen vom Dezember seien genehmigt gewesen.
Die Brennelemente wurden geliefert durch eine in Linge/Niedersachsen ansässige Tochterfirma des französischen Kernenergiekonzerns Framatome. Im Herbst vergangenen Jahres hatte der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) Widerspruch gegen die Genehmigung neuer Brennelement-Exporte nach Leibstadt eingelegt. In der Folge klagte der Brennelement-Hersteller vor dem zuständigen Verwaltungsgericht Frankfurt mit dem Ziel, dass für die Eingabe keine aufschiebende Wirkung festgestellt wird. Bislang ist jedoch weder zu dem Widerspruch beim BAFA noch zu dem Gerichtsverfahren eine Entscheidung bekannt geworden. Gleichwohl sind nun neue Brennelemente aus Niedersachsen nach Leibstadt geliefert worden. Die Geschäftsführerin des BUND Baden-Württemberg, Sylvia Pilarsky-Grosch, erklärte dazu: „Dass Framatome den Ausgang eines anhängigen Verfahrens nicht abwartet, beweist erneut das krude Weltbild des Unternehmens, in dem Gewinnstreben alle berechtigten Bedenken vom Tisch fegt.“ Wegen der Lieferungen vom 14. und 28. Dezember hat der BUND Strafanzeige gegen den Hersteller wegen „Verdacht auf illegalen Export von Kernbrennstoffen“ gestellt.
KKL-Mediensprecher Thomas Gerlach bestätigte auf Anfrage dieser Zeitung die Transporte nach Leibstadt vom 14. und 28. Dezember und erklärte: „Diese sind abgedeckt durch die Ausfuhrbewilligung, die das deutsche Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle unserem Lieferanten erteilt hat.“ Damit nimmt er Bezug auf die Genehmigung, gegen die der BUND Widerspruch eingelegt hat. „Es liegt auch eine Transportgenehmigung des zuständigen deutschen Bundesamts vor“, so der KKL-Sprecher. Doch warum wurden die Lieferungen noch vor Abschluss des schwebenden Gerichtsverfahrens durchgeführt? Dies erklärt Gerlach damit, dass die Brennelemente bereits fertiggestellt gewesen seien. Im November hatte das KKL auf Anfrage mitgeteilt, dass die umstrittenen Transporte für die ersten Monate des Jahres 2021 geplant seien.
Anders beurteilt die Rechtslage nicht nur der BUND, sondern auch das Bundesumweltministerium (BMU). Dessen Pressesprecher Stephan Gabriel Haufe erklärte auf Anfrage dieser Zeitung, der Einspruch gegen die Exportbewilligung habe gemäß Verwaltungsgerichtsordnung aufschiebende Wirkung. Framatome habe sich eigenmächtig über die Auffassung des BAFA zur Rechtslage hinweggesetzt. Haufe: „Das ist aus Sicht des BMU nicht akzeptabel. Eine Ausfuhr unter Ausnutzung einer nicht vollziehbaren Ausfuhrgenehmigung kann strafrechtlich relevant sein. Das BAFA wird den Vorgang daher zur Prüfung an die Staatsanwaltschaft abgeben.“
Kernkraftgegner haben wiederholt dagegen protestiert, dass vom Gebiet der Bundesrepublik, die den Atomausstieg beschlossen hat, ausländische Atomkraftwerke nach wie vor mit Brennelementen versorgt werden. Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung ist zwar festgehalten, dass Atomexporte wie die Brennelementlieferungen nach Leibstadt untersagt werden sollen. Doch bisher wurde die Vereinbarung nicht umgesetzt. Dafür setzen nun die Umweltverbände mit ihren Einsprüchen, von denen auch die Reaktoren im belgischen Doel betroffen sind, die Beteiligten unter Druck. Stefan Auchter, Regionalgeschäftsführer des BUND Südlicher Oberrhein, erklärte gegenüber dieser Zeitung zum Fall Leibstadt: „Dass die Transporte vorgezogen wurden, hängt wohl mit der zunehmenden Nervosität zusammen.“
Auchter zum Hintergrund der Proteste gegen die Exporte: „Es ist ein Skandal, dass die Bundesregierung trotz des sehr erfreulichen Atomausstiegs in Deutschland nichts gegen die Gefahr eines Atomunfalls an den deutschen Grenzen unternimmt. Im Gegenteil, die Atomkraftwerke werden sogar unterstützt, indem sie sich Brennelemente aus deutscher Produktion liefern lassen dürfen.“
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Rita Schwarzelühr-Sutter, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, erklärte auf Anfrage dieser Zeitung: „Meine Position ist bekannt: Ich bin gegen diese Ausfuhren von Brennelementen, insbesondere an alte Atomkraftwerke in Grenznähe. Rechtlich gesehen lassen sich diese aber nicht ohne Weiteres unterbinden.“