In den Zeitungen war vor 50 Jahren von einem Schwörstädter „Riesen-Kraftwerk“ die Rede, dessen konkrete Planung im Frühsommer 1973 öffentlich wurde. Tatsächlich war das Projekt seinerzeit eines der größten Atomkraftwerke weltweit: Drei Blöcke mit einer Leistung von jeweils 1200 Megawatt wollte der Energieversorger Badenwerk auf das freie Feld zwischen dem Rheinkraftwerk Ryburg und Schwörstadt errichten.

Drei Mal so groß wie das Kernkraftwerk Leibstadt, das zehn Jahre später ans Netz ging. Als die konkrete Planung durch das Mitteilungsblatt der Gemeinde öffentlich wurde, hatte der Schwörstädter Gemeinderat bereits darüber abgestimmt – natürlich in nichtöffentlicher Sitzung, wo das Projekt auch die Zustimmung fand. Ohne Kernkraft gingen irgendwann die Lichter aus – so die Projektplaner.
Sicherheitsbedenken spielten untergeordnete Rolle
Eine ungeheure Summe – 4,2 Milliarden Mark – wollte das Badenwerk in das Kraftwerk investieren. Geplant waren drei Reaktoren sowie Nasskühltürme, die „bei Niedrigwasser des Rheins die Kühlung vornehmen müssten“, wie es im Mitteilungsblatt hieß. Sicherheitsbedenken gegen die noch junge Technologie wurden in Bürgerinformationsveranstaltungen kühn zur Seite gewischt: „Die Befürchtung, dass das Atomkraftwerk wegen seiner Strahlenauswirkung gefährlich sei, wurde vom Redner widerlegt, da der Reaktor aus angereichertem Uran bestehe, das nicht spaltbar sei“, schrieb seinerzeit der SÜDKURIER. Tödliche Unfälle habe es in Kernkraftwerken noch nie gegeben, beschwichtigte der Experte.
Visionen im Atomzeitalter
Nicht nur wegen der Ölkrise Anfang der 70er-Jahre galt die Kerntechnologie vielerorts als wichtiger und sicherer Energieträger der Zukunft. Lediglich drei Meiler waren 1973 in der Bundesrepublik am Netz: Gundremmingen, Biblis und Brunsbüttel. Im folgenden Jahrzehnt sollten bis zu 50 weitere folgen – so wollte es zumindest die Politik, die personell oftmals eng mit der Energiewirtschaft verbandelt war. So saßen sowohl der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger als auch der aus Säckingen stammende Wirtschaftsminister Rudolf Eberle im Aufsichtsrat des Badenwerks, das zeitgleich die Kraftwerke in Schwörstadt und Wyhl am Kaiserstuhl plante.

Protest und Widerstand gegen Kraftwerkpläne
In Wyhl formierte sich schnell eine erste Bürgerinitiative gegen die Kraftwerkspläne, aus der sich im Laufe der Zeit eine breite, bundesweite Anti-Atomkraft-Bewegung entwickelte. Ihr Slogan „Nai hämmer gsait!“ wurde zum Symbol für erfolgreiche Bürgerproteste.
Auch beim Projekt in Schwörstadt gab es nicht nur Befürworter: Der lokale und regionale Widerstand formierte sich unter anderem in einem „Arbeitskreis gegen Atomkraft Schwörstadt“ (AGAS), der bei Kundgebungen über 1000 Kraftwerksgegner auf die Straße brachte. Unter ihnen war der Rheinfelder Oberbürgermeister Herbert King, der sich mit den friedlichen Demonstranten solidarisierte.
Auch auf der gegenüberliegenden Rheinseite, in Kaiseraugst, formierte sich die Protestbewegung: Im April 1975 wurde das Gelände des Kraftwerkes von rund 15.000 Aktivisten besetzt, die die bereits begonnenen Aushubarbeiten behinderten.
Bis zu 17 Reaktoren in einem Radius von 50 Kilometern
Kritik an des Schwörstädter Plänen gab es auch aus der Schweiz – obwohl die Eidgenossen mit Kraftwerksplänen in Leibstadt und Kaiseraugst seinerzeit eigene Atomprojekte am Hochrhein vorantrieben. Wie das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ im Sommer 1975 berichtete, machte im Basler Großrat Hansjürg Weder auf die hohe Konzentration der geplanten Atommeiler in der Region aufmerksam: Zwischen Gösgen und Wyhl ortete er Pläne für „vorläufig“ acht Nuklearparks mit 14 bis 17 Reaktoren. „Ab Marktplatz Basel“, habe er gemessen, lägen im Umkreis bis 60 Kilometer die geplanten Atommeiler von Kaiseraugst, Schwörstadt, Gösgen, Fessenheim, Graben, Leibstadt und Wyhl.
Basel fordert Klimagutachten
Aber auch in Basel waren es weniger die Sicherheitsbedenken gegen die Technologie, als vielmehr die Befürchtung meteorologischer und klimatischer Beeinträchtigungen durch die Wolken der Kühltürme, die von den Kritikern vorgebracht wurden. Dazu wurde eigens Klima-Gutachten angefertigt, das diese Befürchtungen weitgehend widerlegen konnte.
Unter dem Eindruck der starken Proteste der Kernkraftgegner in Wyhl und Kaiseraugst wurde auch das Schwörstädter Projekt ab den 80er-Jahren nicht weiter verfolgt. Bis in die 90er-Jahre dauerte es, bis auch der baden-württembergische Landtag die Sicherung des Kraftwerkstandorts Schwörstadt offiziell strich und damit einen endgültigen Schlusspunkt unter das Projekt setzte.