Etwa 35 Kilometer sind es vom vorgesehenen Schweizer Atommüll-Endlager im Gebiet Nördlich Lägern bis Singen – Luftlinie. Andere Orte im Hegau liegen näher an der geplanten Anlage, Gailingen beispielsweise etwa 26 Kilometer und Gottmadingen etwa 30 Kilometer. Der Standort des Schweizer Atomendlagers wurde am Samstag öffentlich – zwei Tage früher als eigentlich vorgesehen. Wie ist die Stimmung in den grenznahen Hegau-Gemeinden?
Die größte Stadt im Umkreis ist Singen. Oberbürgermeister Bernd Häusler sagt, man schaue mit einer gewissen Sorge auf die geplante Anlage. Man lebe aber schon lange mit dem Atomkraftwerk bei Waldshut, was ebenfalls in der Nähe liege. Und er gehe davon aus, dass sich die Nagra, die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle, die Sache gut überlegt habe. Und er berichtet von einem Besuch im Felslabor Mont Terri, in dem an der Endlagerung von Atommüll geforscht werde – unter anderem genau im Opalinuston.
Die Bürgermeister von Gottmadingen, Gailingen und Büsingen, Michael Klinger, Thomas Auer und Vera Schraner, äußern sich unaufgeregt. Immerhin, das schweizerische Atommüllendlager hätte auch in die Region Zürich Nordost rund um Benken kommen können, ein wenig südlich von Schaffhausen und in der Nachbarschaft von Jestetten im Kreis Waldshut. Das wäre noch deutlich näher am Hegau gewesen.
Die drei Bürgermeister waren in der Regionalkonferenz für diesen möglichen, aber nun ausgeschiedenen Standort vertreten. Von Freude, dass das Endlager nun nicht noch näher an die Region rückt, ist aber nichts zu hören.
Bürgermeister sehen keine größere atomare Gefährdung in der Region
„Wenn der Atommüll dort am sichersten ist, dann ist es eben so“, sagt beispielsweise Gailingens Bürgermeister Thomas Auer. Und fügt hinzu: „Es muss aber gut begründet sein, warum es ausgerechnet dort am sichersten ist.“
Die Sicherheit habe allen in der Regionalkonferenz vertretenen Akteuren – Gemeinden aus Deutschland und der Schweiz, aber auch Vertretern der Zivilgesellschaft – am meisten am Herzen gelegen. Die Gefahr durch schweizerische atomare Anlagen gebe es im deutschen Grenzgebiet schon lang, sagt Auer: „Es sind 40 Kilometer bis zum Kernkraftwerk Leibstadt. Davon dürfte mehr Gefahr ausgehen als von einem Tiefenlager.“

Auf eine Begründung für die Wahl von Nördlich Lägern für das Tiefenlager ist auch Michael Klinger gespannt. Noch vor wenigen Wochen sei sein Gefühl in der Regionalkonferenz gewesen, dass es noch keine Klarheit bei der Standortsuche gebe. Nun lese sich die Ankündigung, als sei Nördlich Lägern schon immer klar gewesen: „Diese Eindeutigkeit wundert mich.“
Und: In seiner Wahrnehmung werde nun nur noch herausgestellt, was an diesem Standort gut ist, nicht was dagegen spricht. „Ich hätte erwartet, dass man die drei Standorte vergleicht“, sagt Klinger. Doch das Verfahren müsse die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle, kurz Nagra, verantworten.

Vera Schraners Gemeinde Büsingen hat mit knapp 24 Kilometern Luftlinie im Kreis Konstanz den geringsten Abstand zum vorgesehenen Tiefenlager. Die Wahl bezeichnet sie als für die Gemeinde tragbar, zumal es zunächst nur eine Empfehlung der Nagra aus wissenschaftlicher Sicht sei. Besorgt oder ängstlich fühle sie sich nicht, denn in der Regionalkonferenz sei man sehr gut informiert worden.
Auch ihre Amtskollegen Auer und Klinger sprechen nicht von Angst. „Die Gefährdungslage durch schweizerische Atomanlagen verändert sich dadurch nicht“, sagt Klinger. Auch das Suchverfahren der Schweizer findet das Vertrauen der Bürgermeister. Letztlich war es das Modell für die deutsche Vorgehensweise.

Die Erwartung ist, dass im Hegau nicht weiter gesucht wird
Dass der Hegau dadurch wieder auf die Landkarte der deutschen Endlagersuche kommt, befürchten die Bürgermeister nicht. Die Verhältnisse auf deutscher und auf Schweizer Seite seien nicht vergleichbar, meint Singens OB Häusler. Vera Schraner erklärt: „Schlussendlich entscheidet die Sicherheit der Gesteinsschichten.“
In der Schweiz liege die Schicht von Opalinuston tiefer und habe weniger Verwerfungen als in Deutschland, sagt Klinger. Auf deutscher Seite der Grenze habe der Vulkanismus die Tonschicht durchstoßen: „Den Opalinuston im Hegau und den in der Schweiz kann man nicht in einen Topf werfen.“ Und in Deutschland gebe es eben auch andere geologische Formationen, die besser geeignet seien, sagt Klinger. Es sei zwar noch kein deutsches Gebiet offiziell ausgeschieden, doch der Hegau dürfte trotzdem nicht weiter verfolgt werden.

Doch Thomas Auer weist darauf hin, dass man nun negative Auswirkungen bei der Regionalentwicklung verhindern müsse, zum Beispiel durch Abgeltungszahlungen. Eine Forderung, die auch die Landräte der Grenzlandkreise Lörrach, Waldshut-Tiengen, Schwarzwald-Baar und Konstanz teilen, wie aus einer gemeinsamen Pressemitteilung hervorgeht.
Deutsche Kommunen in Grenznähe würden einen „substanziellen Beitrag“ zur schweizerischen Tiefenlagerung leisten, heißt es da. Daher sollten sie im Verfahren und bei der Abgeltung wie Schweizer Gemeinden behandelt werden. Hegau-Gemeinden dürften sich von solchen Zahlungen aber wohl verabschieden. Nach dem Aus des Standorts Zürich Nordost dürften Abgeltungen für Hegau-Gemeinden wohl kein Thema mehr sein, erwartet Klinger.

Anti-Atom-Aktivist sieht noch mehr Anlass, aus der Atomkraft auszusteigen
Weniger entspannt sieht Thomas Jochim die Entscheidung. Jochim lebt in Engen und ist Aktivist in dem Verein „Kein Leben mit atomaren Risiken“ (KLAR). Er hat unter anderem die Anti-Atom-Radtour nach Benken mit organisiert, die im August auch durch Engen kam.
Seine Einschätzung, die er ausdrücklich als persönlich kennzeichnet, lautet: „Das Endlager ist da hingekommen, wo es den geringsten Widerstand gab.“ Mit den Details der Begründung habe er sich zwar noch nicht intensiv auseinandergesetzt.
Doch er verweist darauf, dass Nördlich Lägern schon beinahe aus dem Rennen war. Die Nagra wollte Nördlich Lägern im Jahr 2015 tatsächlich am liebsten von der Liste streichen. Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) und die Kantone entsprachen dem jedoch nicht, Nördlich Lägern blieb im Verfahren. Einen Nachteil sieht Jochim in der Nähe des vorgeschlagenen Standorts zu den Thermalquellen rund um Zurzach.
Und er wirft die Frage auf, ob nukleare Endlagerung in der Schweiz überhaupt Sinn ergibt. Ein europäisches Endlager gehe aber erst, wenn alle Atomkraftwerke abgeschaltet seien. Der Dreck müsse irgendwo hin. Doch in seinen Augen sei es unlauter, nach der Schaffung eines Endlagers weiter Atommüll zu produzieren, der neue Lagerkapazität braucht.
Für ein europäisches Endlager werde man nie die Akzeptanz finden, lautet indes die Einschätzung von Gottmadingens Bürgermeister Michael Klinger. Für KLAR-Aktivist Jochim ist jetzt klar: „Wir müssen im 21. Jahrhundert dringend die Wende hinkriegen.“ Und auch er glaubt nicht, dass die Suche nach einem Endlager auf deutscher Seite im Hegau weitergeht.