Schon bald müssen einige Bewohner des Todtnauer Ortsteils Geschwend ihre Häuser verlassen. Denn ein gewaltiger und schwer absturzgefährdeter Felsturm mit einem Volumen von 250 Kubikmetern muss gesichert werden. Und die Gefahr besteht, dass diese Sicherungsarbeiten neue Felsabstürze auf das Wohngebiet auslösen – und zwar Tag und Nacht.
Unruhe im Schwarzwalddorf
Sie haben in den vergangenen Monaten viel durchgemacht – die Bewohner des kleinen Schwarzwaldortes Geschwend bei Todtnau im Oberen Wiesental. Seitdem am 8. März 2019 ein gewaltiger Felskoloss in einen Garten stürzte und eine Schneise der Verwüstung hinterließ, herrscht hier Unruhe. Immer wieder werden Felssicherungsarbeiten durchgeführt. Aktuell wird ein rund 1000 Meter langer Schutzzaun auf dem Hang aufgebaut. Ein Teil des Waldes wurde für die Errichtung des Zauns abgeholzt und die Bäume wurden mit Hubschraubern weg gebracht. Alles zur Sicherheit der Bewohner. Doch auch wenn die Arbeiten abgeschlossen sind, bleibt eines: Die Angst der Bürger, dass wieder etwas Großes vom Hang der Geschwender Halde auf das Wohngebiet in der Gisibodenstraße herunterkrachen könnte.

„Wir haben die Welt nicht mehr verstanden“
Am 19. Oktober müssen die Bewohner von bis zu zehn Häusern der Gisibodenstraße Geschwend nun ausziehen. Für mindestens sechs Wochen. In dieser Zeit dürfen sie auch kein einziges Mal ihr Haus betreten. Denn es herrscht Absturzgefahr. Als der Brief der Stadt mit der Ankündigung der Evakuierung angekommen war, sei die Stimmung im Dorf aufgeheizt gewesen, erzählen Karin Spitz und ihr Lebensgefährte Edmund von der Busche. Auch sie müssen ausziehen. Das war zwei Tage, bevor der Zaunbau begann. „Wir haben die Welt nicht mehr verstanden“, sagt von der Busche. Schließlich hieß es noch letztes Jahr, dass man nicht von einer weiteren Evakuierung ausgehe. Der Zaun solle doch den nötigen Schutz bieten.

Doch die beiden kennen die Gefahrenlage nur zu gut. Denn bei ihnen war im März 2019 der große Fels in die Einfahrt gekracht. Das sei ein großer Schock gewesen. „Noch heute schwebt bei jedem Geräusch die Angst im Hinterkopf, dass erneut was runter kommen kann“, erzählt Karin Spitz.

Die Einsicht kam
„Wir dachten immer, wir fühlen uns sicherer, wenn der Zaun steht. Jetzt mit dem großen Felsturm ist das nicht mehr so“, sagt sie. Als sie bei der Infoveranstaltung für die Bürger erfahren hätten, wie groß der absturzgefährdete Fels ist, war die Einsicht zum vorübergehenden Auszug schnell da.

Sie kennen das schon, denn schon damals mussten sie recht kurzfristig aus dem Haus. Karin Spitz zieht nun mit ihrem Lebensgefährten in ihre ehemalige Wohnung. Doch die Katze können sie nicht mitnehmen. Auch viele andere Betroffene hätten viele Tiere, die in der Zeit irgendwie versorgt werden müssten. „Wir machen das Beste daraus“, sagt das Paar.
Ist Geschwend ein Felsabsturz-Risikogebiet?
Doch viele Fragen bleiben offen. Etwa, wer den Schaden zahlt, wenn bei den Sicherungsarbeiten etwas herunter kommt. Schon beim damaligen Felssturz sei das Paar auf den meisten Kosten sitzen geblieben. Und noch viel entscheidender: „Es bleibt offen, wie es in Zukunft weiter geht, ob wir vielleicht sogar jedes Jahr raus müssen“, so von der Busche. Ihre Kinder hätten damals oben bei den Felsen auf dem Hang gespielt, da habe man noch nicht in der Angst gelebt, erzählt Karin Spitz.
Heute ist das undenkbar. Denn heute weiß hier jeder von dem Risiko, dass vom Hang oberhalb der Wohnbebauung ausgeht. Der Geologe hätte bei der Infoveranstaltung gesagt, das hier nie ein Baugebiet hätte entstehen dürfen, so Spitz.
Und ja: Dr. Clemens Ruch, vom Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau bestätigt auf Anfrage des SÜDKURIER: „Die Bebauung an der Gisibodenstraße hat sich im Wesentlichen ab den frühen 1960er-Jahren etabliert. Zu dieser Zeit hat man sich um etwaige Geogefahren, die von der Geschwender Halde ausgehen, keine Gedanken gemacht.“ Und: „Zu dieser Zeit gab es im Gegensatz zu heute auch noch keine Bebauungspläne, in denen auf etwaige Geogefahren untersucht bzw. hingewiesen wird.“
„Ein gewisses Restrisiko wird wie in allen derartigen Fällen immer bestehen bleiben.“Dr. Clemens Ruch vom Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau
Wie läuft die Evakuierung ab?
Die Stadt Todtnau geht von einer Dauer der Arbeiten von mindestens sechs Wochen aus. Es könne aber auch kürzer oder länger dauern, sagt Gerhard Asal vom Bürgerbüro. Die Stadt bezahle die Unterbringung der Bürger, ganz egal, ob sie nun eine Ferienwohnung anmieten oder privat unterkommen, so Asal. Laut Asal hätten alle betroffenen Bürger eine Unterkunft gefunden. Ob die Stadt auch bezahle, wenn während der Arbeiten Schäden an den Häusern entstehen, wollten wir wissen. Doch dazu wollte Asal keine Auskunft geben.
Wer haftet und wer zahlt?
Warum geht von dem Fels eine so große Gefahr aus?
Dies erklärt Dr. Clemens Ruch vom Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau Freiburg. Die Geologen haben damals die Bewertung des Hangs vorgenommen. „Im Falle eines Absturzes würde sich der Felsturm in Einzelblöcke von jeweils bis zu rund 30 Kubikmeter zerlegen und über das steile Hanggelände auf die Bebauung im Unterhang (Gisibodenstraße) niedergehen. Für derartig große Sturzkörper reicht ein Schutzzaun am Hangfuß allein nicht aus“

Wie wird die Wohnbebauung nun geschützt?
Mit der Errichtung des Schutzzaunes am Hangfuß sowie der Sicherung von insgesamt elf absturzgefährdeten Einzelbereichen, werde laut Ruch die Wohnbebaung an der Gisibodenstraße gegen weitere Felsabgänge geschützt. Drei der Bereiche sind bereits im Herbst 2019 gesichert worden. Der große Felstrum sei bereits 2019 entdeckt und in die Maßnahmen 2020 aufgenommen worden, so Ruch.
„Der Felsturm ist schon jetzt stark absturzgefährdet“Frank Baumann, der Bauleiter der durchführenden Firma Sachtleben Mining Services aus Wolfach.
Frank Baumann erklärt: „Der Felsturm wird nun mit einem elektronischen Warnsystem ausgestattet, um auch die Sicherheit unserer Mitarbeiter zu gewährleisten.“ Dieses System warne vor Bewegungen. Zuerst werde der Fels mit mehreren Seiltrossen gegen ein Umkippen gesichert. In der Hauptsicherung werde der Fels mit einer Stahlübernetzung sowie mit Spritzbetonarbeiten und einer Vernagelung gesichert, erklärt Baumann. Man könne es sich wie ein Spinnennetz vorstellen, das über den Fels gestülpt werde. 18 Mitarbeiter seien aktuell in verschiedenen Bauabschnitten im Einsatz. Baumann macht deutlich, dass nicht nur während der Sicherung, sondern auch in der Nacht Felsabstürze möglich seien. „Wir bringen ja Bewegung rein“, so der Bauleiter. Ziel sei es, in den geplanten sechs Wochen fertig zu sein, was auch einzuhalten sei, wenn das Wetter mitspiele. Vom Schutzzaun hat die Firma bereits mehr als die Hälfte errichtet.
Karin Spitz und Edmund von der Busche gehen mit ihrem Hund spazieren. Bald müssen sie ihre Koffer packen. Wie viele andere Bewohner von Geschwend auch. „Uns bleibt ja nichts anderes übrig“, sagen sie. Wer weiß, vielleicht ist es die letzte Evakuierung in dem Schwarzwalddorf. Vielleicht aber auch nicht.