Herr Kammerlander, gemeinsame Erfolge mit Reinhold Messner haben ihre Karrieren geprägt und Maßstäbe im Alpinismus gesetzt. Wie sehen Sie diese Erlebnisse – die bekanntlich nicht alle konfliktfrei abgelaufen sind?
Hans Kammerlander: Die Erlebnisse mit Reinhold Messner waren sehr wichtig. Ich war jung und er der erfahrene Höhenbergsteiger, also mein Lehrmeister. Wir haben bis heute ein sehr gutes Verhältnis. Irgendwelche Leute spielen da Sachen hoch, für mich war er eine entscheidende und wichtige Person.
Der Manaslu ist Ihr Schicksalsberg. Hier verloren sie 1991 zwei Bergkameraden beim Gipfelaufstieg. Wie gehen Sie heute mit diesem tragischen Erlebnis um?
Kammerlander: In dem Moment, wo du zwei Freunde verlierst, bist du nicht darauf vorbereitet, es war schon eine Grenzsituation. Aber aus solchen Situationen lernt man auch sehr viel. Es bringt nichts, ständig die Frage nach dem Warum zu stellen, man muss den Blick nach vorn richten und nach vorn weitergehen. Später wurde ich noch einige Male mit solchen Situationen konfrontiert, in denen ich Freunde am Berg verloren habe – aber da war ich viel besser darauf vorbereitet. Ich wusste, ich musste sofort wieder nach vorn schauen, am besten zum gleichen Ziel hin. Es gibt Momente, in denen man sich erinnert. Im Laufe der Jahre heilen diese Wunden.
Was war Ihr bizarrster Moment auf einem Gipfel?
Kammerlander: Ohne Zweifel, Solo am Gipfel des Everest zu stehen und dort die Skier anzuschnallen, die Momente, wo man nicht loskommt, nur Tiefe unter sich hat. Ich war ganz allein dort oben am höchsten Punkt der Welt, extrem müde, ohne Sauerstoffmaske, sechzehneinhalb Stunden ohne Biwak, die Steigeisen abziehen und die glatten Skier anschnallen, da war ich hin- und hergerissen, da sind nicht die kleinsten Fehler erlaubt. Gleichzeitig wusste ich, dass in diesem Zustand die Reaktion bei einem Fahrfehler einfach nicht mehr gut genug sein würde. Aber da war die Kombination meiner zwei Hobbys: Skifahren und Klettern am höchsten Berg der Welt zu kombinieren.
Wie beeinflusst die Erfahrung von Gefahr Ihre Sicht auf das Leben und welche Lektionen des Bergsteigens sind für Sie im Alltag wertvoll?
Kammerlander: Vor einer Reise war ich zu Hause in diesem europäischen Treiben, in diesem extrem überflüssigen Stress. Wenn ich zurückkam, waren die Sachen, die ich vor dem Aufbruch noch als mühsam empfunden oder aufgeschoben habe, die waren dann so etwas von einem Klacks und banalen Geschichten. Man sieht dann ein paar Wochen die Welt ein wenig anders. Dann bist du aber wieder drin in dieser Schablone, der man nicht ausweichen kann. Bevor ich wieder richtig drin bin, hau ich schon wieder ab. Ab liebsten nach Nepal, wo ich meine Wurzeln durch meine Hilfsprojekte gelassen habe. Dort mache ich Treckingtouren als Bergführer, am liebsten ohne Gipfel. Damit die Leute diese Freundlichkeit der Leute spüren und mit voller Energie zurückkehren.
Welche Bedeutung hat Stille für Sie?
Kammerlander: Das ist das Schöne, wenn du allein bist, gar keinen Ton hörst, höchstens die Naturgeräusche. Es gibt noch Punkte, wo man die Stille genießen kann. Die Leute haben die Eigenschaft, wie Schafe die rennen auf einem Punkt zu, wo schon 100.000 andere sind. Dort ist keine Stille, nur Hektik.
Wenn sie sich auf eine Expedition vorbereiten. Welche Rolle spielt dabei die mentale Vorbereitung?
Kammerlander: Ich finde, die beste mentale Vorbereitung ist ein gutes körperliches Training. Wenn Du in Form bist, bist du extrem ausgeglichen. Das Training habe ich immer sehr ernst genommen, aber nicht gezielt mentale Sachen gemacht. Da habe ich vorher lieber eine steile Wand gemacht, das beste Training, was man sich vorstellen kann. Da lernst du dich kennen, du weißt, du musst funktionieren, sonst hängst du in den Seilen. Wenn der Kopf stimmt, ist alles leicht. Das positive Denken darf aber nicht in Leichtsinn übergehen – das ist ein schmaler Grat.
Haben Sie jemals ein Abenteuer abgebrochen?
Kammerlander: Ganz oft sogar. Dieses Umdrehen habe ich von Messner gelernt. Ich habe als junger Mann ganz viele Schutzengel gebraucht. Er hat gesagt, wenn der Zeitpunkt da war: Wir kehren um und kommen im nächsten Jahr wieder. Das sind die vernünftigen Entscheidungen. Ich habe bei für mich wichtigen Bergen, drei vier Anläufe gebraucht. Aus jedem gescheiterten Versuch habe ich gelernt.
Wie hat sich Ihr Blick auf die Berge verändert?
Kammerlander: Verändert hat er sich in dem Moment, als ich beschlossen hatte, mit dem Leben ständig am Limit aufzuhören, das ist jetzt vorbei. Heute sind die Berge eine wahnsinnige Freude. Ich hätte aber nicht gedacht, dass die Zeit nach diesem Wettlauf schön wird. Trotz der vielen Auf- und Abstiege tut mir heute nichts weh, das ist der größte Erfolg.
Welches ist das ungewöhnlichste Souvenir, das Sie von einer Expedition mitgebracht haben?
Kammerlander: Ich habe am Nanga Parbat wahrscheinlich den Gipfelhaken von Hermann Buhl, dem Erstbesteiger dieses Berges, gefunden und mitgebracht. Das ist etwas Besonderes. Ich habe auch einen kleinen Schraubenschlüssel und ein Stahlband von einem Reflektor, der am Gipfel des Everest für die Vermessung verankert ist. Von allen mir wichtigen Gipfeln, von allen Achttausendern, habe ich eine Handvoll Steine in die Tasche gesteckt. Meine Ausrüstung habe ich den Kindern in Nepal geschenkt, sie haben was davon und ich brauche es nicht.
Nepeal – zu diesem Land haben Sie einen besonderen Bezug?
Kammerlander: Ja, mit Gästen Trekking machen. Und dreimal im Jahr gehe ich dorthin – ins Land des Lächelns. Ich weiß, wie man mit diesen Menschen umgeht. Ich spüre hier die Begeisterung, es macht Freude, wenn du einem Gast einen Traum erfüllen kannst. Beim Abstieg siehst du dann in glückliche Gesichter.
Gibt es einen Traum, den Sie noch nicht verwirklicht haben?
Kammerlander: Vielleicht habe ich Glück. Wenn ich mit 90 noch einmal auf meinen Hausberg, den Großen Moosstock, hochkomme. Den Dreitausender, wo ich meinen weiten Weg als Kind begonnen habe. Dann hätte sich ein schöner Kreis geschlossen. Und es gibt ein paar Länder, in denen ich zu kurz war – dort war ich nur wegen der Berge.
Worauf können die Besucher Ihres Vortrags gespannt sein?
Kammerlander: Ich freue mich, in diese Gegend zu kommen, hier habe ich viele Freunde. Man spürt hier eine Bergbegeisterung. Ich erzähle diesen Vortrag gerne, er ist mein ganzer Lebenslauf. Die Geschichten und Bilder gehen über Südtirol, bis zum Everest mit Skiern. Der rote Faden ist die Geschichte am Manaslu.