Jonathan Boese

René Leuenberger und Claus Epting könnten auf den ersten Blick unterschiedlicher kaum sein. Der eine groß und stämmig gebaut, Schweizer aus der mehreren Stadt, wortgewaltig in starkem Schweizerdeutsch. Der andere eher klein, fast schmächtig, Deutscher aus der minderen Stadt, still und falls er doch mal etwas sagt, dann im alemannischen Dialekt. Nicht vorzustellen, was sie verbinden soll, außer ihrer Geselligkeit vielleicht. Doch wenn die Beiden an Fasnacht ihr traditionelles Häs überstreifen und ihre Holz-Maske aufsetzen, wenn sie gemeinsam auf der alten Steinbrücke den Rhein überqueren und als Zunftmeister ihrer jeweiligen Stadthälfte Jahrhunderte altes Brauchtum pflegen, dann wird klar, dass Ländergrenzen für die Laufenburger Narronen keine Rolle spielen.

In der Laufenburg wird seit über 600 Jahren auf beiden Seiten des Rheins gemeinsam Fasnacht gefeiert. Und nicht nur das. Schweizer und Deutsche feiern die närrischen Tage in nur einer Zunft – der Narro-Altfischerzunft 1386. Um zu verstehen, wie diese grenzüberschreitende Freundschaft zweier oft so unterschiedlicher Nationen funktioniert, muss tief in die Geschichtsbücher geblickt werden.

Laufenburg liegt an einer Rheinenge. Im Winter sei der Hochrhein früher oft nur knapp zwölf Meter breit gewesen, erklärt Charly Oberle, Ehrenzunftmeister der Narro-Altfischerzunft (mindere Stadt), im Gespräch mit den beiden amtierenden Zunftmeistern. „Deshalb wurde die Stadt früh zur Rheinüberquerung genutzt, vielleicht schon von den Römern. Schon früh gab es hier eine Brücke.“ Von der heute schweizerischen Seite des Rheins aus, entwickelte sich die Stadt auch auf der deutschen Seite. „Das ist schon etwas Besonderes. Die anderen Städte der Region am Rhein sind meist nur einseitig. Was ja auch sinnvoll war, denn dann musste eine Seite der Stadt nicht mit einer Stadtmauer geschützt werden“, erklärt Oberle. Die Brücke habe der Stadt aber so viel Geld gebracht, da sei der Aufbau einer flussübergreifenden Festung sinnvoller gewesen.

Die Fischerei, insbesondere der Salmfang (Lachsfang), war für Laufenburg ebenfalls von großer Bedeutung. In den Stromschnellen Laufenburgs blieben die Fische stehen und waren so gut zu fangen. Sie wurden, so Charly Oberle, bis nach Wien und Paris verkauft. Die Fischerzunft sei daher im Mittelalter schon groß gewesen. Im Winter hätten die Fischer aber wenig Arbeit gehabt, sie pflegten stattdessen das zu der Zeit schon bekannte Brauchtum der Fasnacht. Woher dieses Brauchtum letztendlich komme, könne man aber nicht sicher sagen, bedauert Oberle. „Damals ging es wahrscheinlich um die Winter- oder Geistervertreibung.“

1386 wechselte die Macht über Laufenburg zu Herzog Leopold III. Der Legende nach sollen die Laufenburger ihn zum Machtantritt so gewürdigt haben, dass er ihnen ein besonderes Gewand versprach. Es war den Schuppen der Salme nachempfunden, bestehend aus unzähligen bunten Plätzchen. Den Ratsherren soll es aber nicht gefallen haben, sie wollten das Gewand nicht tragen. So soll es die Fischerzunft übernommen und mit handgeschnitzten Holzmasken zu ihrem Fasnachts-Häs gemacht haben. Noch heute tragen René Leuenberger und Claus Epting ihre Häser und individuellen Masken, die von Generation zu Generation vererbt werden – mit Stolz.

In den Wirren der Weltpolitik wurde die Stadt 1801 plötzlich geteilt. Napoleon legte mit dem Frieden von Lunéville die Länder-Grenze auf den Rhein: Der damals größere Teil Laufenburgs (die mehrere Stadt) wurde schweizerisch, der kleinere Teil (die mindere Stadt) fiel an die Markgrafschaft Baden. Trotz unterschiedlicher Nationen blieben die Einwohner Laufenburgs aber eine Gemeinschaft, auch in der Fischerzunft, betont der schweizerische Zunftmeister René Leuenberger junior.

Gerne berichtet er mit seinem deutschen Zunftbruder von Ereignissen, bei denen die Narronen gegen die politische Situation in der Stadt rebellierten. So zum Beispiel nach dem Ersten Weltkrieg (1914 bis 1918), als das Leiden der Bevölkerung für die Menschen vielerorts schwer vereinbar schien, mit der ausgelassenen Fröhlichkeit der Fasnacht. Die Folge waren Fasnachtsverbote. Auch auf der deutschen Seite Laufenburgs wurde ab 1915 die Fasnacht, besonders aber das Tschättern, untersagt. Die Narronen wollten ihr Brauchtum nicht aufgeben, sich die Fasnacht nicht verbieten lassen. Während der Fasnacht 1920 tschätterten sie trotz Verbot – und wurden angezeigt. Die Strafe: 50 Mark oder zehn Tage Haft. Aus Protest gegen die Obrigkeiten sammelten sie Pfennige und überbrachten ihr Bußgeld als Münzen in einer Schubkarre.

Zur fast gleichen Zeit, 1909 bis 1914, wurde unterhalb Laufenburgs ein Wasserkraftwerk gebaut. Die Lachse kamen nicht mehr bis nach Laufenburg, die Stromschnellen wurden gesprengt, die Fischer-Zunft als Berufsvereinigung verlor ihre Daseinsberechtigung, nur das von den früheren Fischern gepflegte fasnächtliche Brauchtum blieb bestehen.

1924 wurde die Fischerzunft neu organisiert und zur Fasnachtsgesellschaft, zur Narro-Altfischerzunft. Aus vereinsrechtlichen Gründen musste auf jeder Seite des Rheins ein eigener Verein gegründet werden, so gibt es heute zwei Zunftmeister, einen deutschen und einen schweizerischen. Die großen Sitzungen halten René Leuenberger und Claus Epting aber gemeinsam ab, der Vorsitz wechselt jährlich zwischen ihnen.

Als Beleg für die starke Verbindung der beiden Laufenburg erzählen sie gerne vom Narrolaufen 1946. Wieder nach einem Krieg, diesmal dem Zweiten Weltkrieg (1939 bis 1945) war auf deutscher Seite die Fasnacht stark reglementiert, außerdem herrschten Hunger, Armut und Entbehrung. Trotz geschlossener Grenze liefen die Schweizer Narren am Fasnachts-Dienstag zur Mitte der Brücke und warfen den deutschen wie beim traditionellen Narrolaufen Brot und Wurst zu, um deren Hunger etwas zu lindern.

Heute sei das größte Problem, dass die Zunft viel Papierkram doppelt erledigen müsse. Die grenzübergreifenden Umzüge zur Tschätter-Musik oder das große Guggenmusik-Festival am Fasnachtsfreitag beispielsweise, müssen von deutschen und Schweizer Behörden genehmigt werden. Einen Unterschied zwischen deutschen und Schweizer Zunftbrüdern mache man nicht, aber natürlich gebe es wie in jedem Verein Leute, mit denen man besser könne und Leute, mit denen man eben nicht so gut kann, meint Charly Oberle. René Leuenberger bekräftigt: „Wir sind eine Stadt und eine Zunft!“ Und freut sich damit auf die fasnächtliche Zeit mit seinem deutschen Zunftbruder in Laufenburg, der Stadt in zwei Ländern.


 

Die Fasnacht erleben

  • Samstag, 25. Februar, 19.11 Uhr: Nachtumzug „Häxefüür“, Nacht der Hexen, Geister und Dämonen mit grenzüberschreitendem Umzug, danach Programm/D und CH.
  • Sonntag, 26. Februar, 14.11 Uhr: Grenzüberschreitender Umzug/D und CH; 18.30 Uhr: Tschättermusik/CH.
  • Dienstag, 28. Februar, 13.30 Uhr: Marsch der Narronen durch beide Laufenburg/D und CH; 14.30 Uhr: Großes Traditionelles Narrolaufen; 19.30 Uhr: Große Tschättermusik und Fasnachtsverbrennung auf dem Rathausplatz/D.

Tschättern und Narrolaufen – das macht Laufenburgs Fasnacht aus

  • Geschichte: „Die nechst kommende fassnacht ist alles haffenklopffen unnd ungebeurliche mummereyen genzlichen abgeschafft unnd fernners das überlouffen mitt dem kuechlin holen (…) verbotten worden“, ist in einem Ratsbeschluss von 1611 zu lesen. Der erwähnt damit das fasnächtliche Brauchtum Laufenburgs zum ersten Mal schriftlich. Gemeint sind die Laufenburger Tradition der Tschätter-Musik, damals noch Hafenklopfen genannt, und das Narrolaufen.
  • Die Tschätter-Musik begleitet die Narronen vom Ersten Faissen bis zum Fasnachtsdienstag und soll den Winter und die bösen Geister vertreiben. Als Instrument erlaubt sind alle Gegenstände, die Lärm machen.
    Die Narronen ziehen in langsamen Tempo durch die Altstadt und schlagen, blasen und klopfen im Rhythmus von „D’Mülleri hät, sie hät…“.
  • Das Narrolaufen widmet sich hingegen besonders den Kindern der Stadt. Am Fasnachts-Dienstag ziehen die Narronen rückwärts durch die Stadt und verteilen, beziehungsweise werfen Süßigkeiten, Weggen, Obst und Würstchen aus. Die Besucher rufen dabei verschiedene Narrensprüche. Der Brauch ist eine Weiterführung der mittelalterlichen Witwen- und Waisenbescherung. (jbo)