Boris Burkhardt

Herr Steiner, Inwiefern unterscheidet sich eine Ortschronik aus dem Jahr 2019 von jenen, die in der Boomzeit in den 60er Jahren bis zu den 80er Jahren entstanden sind?

Da fällt allein der Unterschied in der Sprache auf. Die letzte Veröffentlichung über Karsau von Eugen Zeller, die allerdings schon in den 20ern erschienen ist, hat keinen erkennbaren wissenschaftlichen Anspruch und beschreibt die Geschichte Beuggens eher romantisierend. Dann ist ein großer Unterschied der heutige Datenschutz. Wir haben uns bewusst entschieden, Porträts von Karsauer Dorforiginalen nicht in die Chronik aufzunehmen. Erzählungen über solche Personen können schwer auf Fakten überprüft werden. Auch Übernamen, Spitznamen mit meist negativer Konnotation, haben wir weggelassen.

In älteren Chroniken erschreckt oft die fehlende Distanz zu den Weltkriegen und der Zeit des Nationalsozialismus‘. Sie haben ebenfalls einen sehr subjektiven Ansatz gewählt.

Für die Chronik berichtet aus der NS-Zeit und der französischen Besatzung der Zeitzeuge Rudolf Scheu, Jahrgang 1932. Ich habe da keine Bedenken wegen mangelnden ideologischen Abstands. Viele seiner Erzählungen sind deckungsgleich mit dem, was mein Vater erzählte. Ich bin im Gegenteil froh, dass Rudolf Scheu sich gemeldet hat. Was wäre die Alternative gewesen? Wir hätten aus Berichten und Archiven zitiert, dann wäre der Text Gefahr gelaufen, zu distanziert zu sein. So konnten wir eine der letzten Möglichkeiten nutzen, dass jemand, der in dieser Zeit gelebt hat, seine Erlebnisse zu Papier bringt.

Die verlorene Selbstständigkeit Karsaus durch die Zwangseingemeindung 1975 ist immer wieder Thema. Was ist Ihre persönliche Meinung dazu?

Ich bin Jahrgang 1971 und empfinde die Stadt Rheinfelden als meine Heimat, bin aber sehr mit der Geschichte Riedmatts und meiner Familie dort verbunden. In unserem Bekanntenkreis in Riedmatt war die Eingemeindung später auch nie Thema – das mag in Karsau oben anders gewesen sein. Interessant finde ich in diesem Zusammenhang übrigens, dass es nie eine Rivalität zwischen Karsau und Riedmatt gegeben hat: Die beiden Orte haben seit jeher eine Einheit gebildet.

Das ist das Stichwort für Ihren morgigen Vortrag über die Siedlungsentwicklung Karsaus und Riedmatts. Was kann man in Kürze dazu sagen?

Riedmatt wurde erst im 19. Jahrhundert von einem Weiler zu einem Dorf, Karsau war das bereits im 18. Jahrhundert. Ein Weiler definiert sich durch seine lockere Bebauung mit großen Obstgärten um die Häuser, während in einem Dorf die Grundstücke durch Erbteilungen bereits kleiner sind. Als historischer Kern Karsaus wird das Innerdorf rund um die Trotte betrachtet. Weitere ältere Bereiche befanden sich an der Forststraße und beim Füllenplatz. Dieser Name bezeichnet übrigens eine frühere Schutthalde: Dort gibt es die einzige große Kuhle in Karsaus Topografie, und diese wurde mit allerlei Unrat befüllt – daher der Name. Die Baugebiete Karsauer Straße, Kapfbühl und Burstel entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg. In den 50ern versuchte die Gemeinde, eine neue Ortsmitte zu finden und schuf ein neues Zentrum mit Rathaus, Schule, Kindergarten und später der Mehrzweckhalle.

Wie war Ihre persönliche Erfahrung mit der Arbeit an der Chronik?

Als man mich anfragte, habe ich sofort zugesagt. Ich wollte schon immer etwas über Riedmatt schreiben und hatte schon seit Jahrzehnten Material gesammelt. Ich habe während der Arbeit nur positive Erfahrungen gemacht – aber sie bedeutete für mich auch drei Jahre lang keinen Urlaub.

Was schreiben Sie sonst?

Meine ersten zwei wissenschaftlichen Texte als Historiker waren die über die Tschamberhöhle, die nun auch in der Chronik enthalten sind. Meine Doktorarbeit 2005 schrieb ich über die Schiffbarmachung des Hochrheins. Ich bin Mitglied in der Fricktalisch-Badischen Vereinigung für Heimatkunde und veröffentliche dort.

Wie geht es mit der Autorengruppe weiter? Ist ein Geschichtsverein geplant?

Nein, darüber haben wir nie gesprochen. Aber es gibt noch einige Gebiete der Geschichte Karsaus, über die es noch lohnt, zu forschen. Die Zeit der napoleonischen Kriege oder des dortigen Kinderheims haben wir in der Chronik komplett außen vor gelassen.