Leony Stabla

Manchmal geschehen unvorhergesehene Dinge im Leben und plötzlich verschieben sich dadurch die Prioritäten völlig. So erging es Gerhard Richter am Donnerstag vor einer Woche. Gerade noch übte er auf der Trompete ein Jazz-Stück, als er auf der Straße vor seinem Haus, der Wiechsmühle, einen Tumult bemerkte. Sein Bruder sagte ihm, es ginge um Enten. So wurde Richter Entenvater auf Zeit.

Eine Autofahrerin, Kerstin Hammer, hatte zwölf Entenküken von der Fahrbahn gerettet, auf der die Entenmutter totgefahren worden war. Richter erklärte sich spontan bereit sie aufzunehmen. Weil der Bach direkt durch sein Grundstück fließt, ist Richter die Gesellschaft von Enten gewöhnt. „Ich manchen Sommern habe ich schon 50 Enten in meinem Garten gezählt“, sagt er und erklärt, er habe schon so manche Rettungsaktion am Schacht des alten Mühlrads gemacht. „Dort geht es sieben Meter in die Tiefe und die Enten kommen allein nicht wieder heraus.“ Aus diesem Grund habe er auch immer Entenfutter zuhause, sagt er.

Die Verantwortung für mutterlose Küken sei aber doch etwas ganz Neues für ihn. Zuerst habe sich dem 63-Jährigen die große Frage gestellt, wohin mit den kleinen Wesen. Dabei konnte ihm glücklicherweise seine Nichte helfen. Ein alter Nagerstall mit Auslauf dient den Enten nun als Zuhause. Er steht am Rande des Baches, damit die Kleinen möglichst viel von ihrem zukünftigen Lebensraum mitbekommen. Im Inneren wärmt sie eine Heizdecke und sie kuscheln sich ganz eng aneinander. In der Nacht ziehen die Küken ins Innere des Hauses um. Zum einen, weil es Füchse und Marder in der Gegend gibt, die den Enten gefährlich werden könnten, aber auch, weil es nachts einfach zu sehr abkühlt.

Wärme sei sowieso das Wichtigste, das er seinen neuen Zöglingen bieten müsse, sagt Richter, denn ohne das wärmende Federkleid ihrer Mutter stehe den Küken sonst der sichere Tod bevor. Eine spezielle Wärmelampe hat der ehemalige Landwirt im Internet für die neuen Mitbewohner ersteigert, leider ist diese noch immer nicht geliefert worden und er fiebert der Zustellung förmlich entgegen, da er fürchtet, es könnte zu spät für die Küken sein, wenn sie endlich ankommt.

Zwei der zwölf kleinen Enten haben leider schon die ersten 24 Stunden nicht überlebt. Die anderen zehn machen aber gute Fortschritte und haben auch schon ordentlich zugelegt. „Das spürt man schon allein beim Hochheben“, freut sich Richter, „dafür muss ich die Küken gar nicht wiegen.“ Schwierig ist, dass den Entenkindern das Futter nicht besonders schmeckt. Sie verschmähen die Körner und stürzen sich fast ausschließlich auf die Mehlwürmer, die Tierschützerin Hannelore Nuß Gerhard Richter für die Küken geschenkt hat. Kein Wunder, dass diese schnell weg sind. Also schwingt er sich auf sein Fahrrad und fährt bei strömendem Regen zum Baumarkt, um neue zu besorgen. Wasserscheu kann man Richter sowieso nicht nennen, denn er sei auch schon einem Küken in den Bach nachgehechtet, da es ihm beim morgendlichen Umzug in den Garten entwischt sei, erzählt der Entenvater schmunzelnd. Er hält sein Engagement für selbstverständlich und kann nicht verstehen, was manche Menschen der Umwelt und speziell Tieren antun.