Rheinfelden/Schweiz Wer in der Stadtkirche St.¦Martin in Schweizer Rheinfelden auf einer Bank sitzt und Richtung Hauptaltar schaut, sieht sie nicht, die kleine Holztür im südlichen Kirchenschiff, hinter der eine enge Wendeltreppe versteckt ist. Steigt man die Stiegen hinauf, kommt man in den ersten Stock der Kirche. Hinter einer Tür befindet sich die ehemalige Stiftsbibliothek. Die meisten Regale sind leer geräumt.

In dieser alten Bibliothek findet sich eine metallbeschlagene Tür (eine mittelalterliche Form des Brandschutzes), die in einen weiteren Raum führt. Stadtführer Robi Conrad öffnet sie und sagt: „Das ist der ehemalige Chorherren-Saal.“ Wie und wozu der Raum in früheren Jahrhunderten genutzt wurde, darüber ist nicht viel bekannt. Die Sitzbänke entlang der Wände lassen aber gemäß dem Fricktaler Historiker Linus Hüsser vermuten, dass der Raum als Versammlungsort gedient haben könnte – vielleicht bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts. Sicher war der Raum ehemals auch ein Archiv.

Gemäß Robi Conrad sind in diesem Raum früher in einer alten Truhe Utensilien der Sebastiani-Bruderschaft aufbewahrt worden. An diese Kiste erinnert sich Klaus Heilmann. Als klar war, dass er in die Bruderschaft aufgenommen wird, stieg er 1992 mit Karl Becker hinauf in die „geheimnisvollen Höhen“ von St. Martin. „Dort oben, mit Spinnweben und in Dunkelheit, ging es dann eben zu besagter Truhe.“ In ihr befanden sich alte Zylinder von ehemaligen Brüdern. Heilmann durfte sich ein gut erhaltenes Exemplar in seiner Größe aussuchen. Erst später hat er entdeckt, dass der Hut innendrin mit Initialen versehen war. „Das F und R konnte ich schließlich meinem früheren und schon einige Zeit verstorbenen Bruder Fredi Rosenthaler zuordnen.“

Doch zurück zu den Chorherren und ihrem kleinen Saal: Das Rheinfelder Chorherrenstift St.¦Martin bestand von 1228 bis 1870, dann wurde es durch einen Beschluss des Großen Rates des Kantons Aargau aufgelöst. „Chorherren, auch Kanoniker oder Stiftsherren genannt, hatten die Aufgabe, in Gemeinschaft zu leben und die Liturgie zu feiern, insbesondere das Stundengebet“, schildert Robi Conrad. Sie waren oft Priester und übernahmen seelsorgerische Aufgaben, sowohl innerhalb des Stifts als auch in den zugehörigen Pfarrgemeinden.

Heute wird der Chorherren-Saal vor allem als Abstellraum genutzt. In den Regalen liegen Bücher, in einem anderen Schrank lagern alte Orgelnoten. Kruzifixe stehen am Boden, kirchliche Bilder hängen an den Wänden. Imposant ist eine Männerbüste, die in einer Fensternische platziert worden ist. Wen sie abbildet, ist unbekannt. Man kann es nicht anders sagen: Der ehemalige Chorherren-Saal ist heute eine Rumpelkammer. Aber eine, die wohl noch so manches Geheimnis birgt.