Die Festspielwoche vor der erhabenen Steinkulisse des Blasiusdoms zeichnet sich in nahezu täglich deutlicheren Umrissen ab. Das naheliegende, sich beinahe aufdrängende Angebot machtvoller Theaterspiele vor der Fassade, mit den Säulen und auf den Domstufen ist 92 oder 25 Jahre alt, bei strenger und historisch richtiger Betrachtung gilt das erste, unter dem Blickwinkel der verfestigten und erfolgreichen Beständigkeit das zweite „Lebensalter“.
Geburtstag von Fürstabt Martin Gerbert als Anstoß
Der Kalenderhinweis auf den 200. Geburtstag des Fürstabts Martin Gerbert 1920 könnte ein stiller, aber nicht unmittelbar genutzter Anstoß gewesen sein für eine szenische Würdigung des bedeutendsten Klostervorstehers und seiner berühmten Glanzidee, der Kuppelkirche im Schwarzwald. Bis jetzt ist nirgends eine Aufzeichnung der örtlichen Initiatoren aufgetaucht, die sechs Jahre später, an zwei Julisonntagen 1926 Vorhalle und Vorplatz des Doms zur Theateraula machten.
Auf die Bühne kamen "Jedermann"-Spiele
Es wurde jedoch kein Fürstabt-bezogenes Freilichtspiel angeboten, sondern der unvermeidliche, damals (wie heute noch) hoch im Kurs stehende „Jedermann“. Diese ersten Domspiele starben gleichsam als Frühgeburt. Warum es keine Fortsetzung gab, ist nirgends festgehalten. Der Verweis auf die wirtschaftlichen, ideologischen und großpolitischen Entwicklungen der Jahre zwischen dem Ende des Ersten und Ausbruch des Zweiten Weltkriegs muss allerdings vorrangig in Betracht gezogen werden.
Blasius-Tag im Mittelpunkt
Bewusst mitten in die Verarbeitung des Kriegstraumas stellen die Verantwortlichen der Stadt und auch der Blasius-Pfarrei am 21. Juli 1946 die Tausendjahrfeier St. Blasiens mit dem Festspiel „Ein Gottestag“ des Heimatforschers und späteren Ehrenbürgers Bernhard Steinert. Mit dieser Art moralischer Aufrüstung der Bevölkerung erlebt der Dom zum zweiten Mal seine hehre Zusatzaufgabe als stummer, aber machtvoller Mitspieler. Die Idee des Einsatzes örtlicher Laien als Schauspieler ist in der Welt, die Domfestspiele sind, wenn auch unbewusst und noch ohne Fortsetzungskeim, im Gemeindeleben angekommen.
Konzept in den 50er scheitert
Der sich in den 1950er Jahren wieder rasch entfaltende Erholungs- und Kurort legt den Gedanken eines anspruchsvollen Kulturprogramms nahe. Von 1952 bis 1956 werden bekannte Schauspieler, Bühnen und Theaterstücke nach St. Blasien geholt – vor den Dom natürlich. Am nicht wohl gesonnenen Wetter jener Jahre, am Besucherschwund, an einer nicht gerade leidenschaftlichen Organisation und an einem unglücklich verlaufenen Theaterstück einer in der Domstadt ansässigen Autorin lässt sich das Scheitern des Konzepts festmachen. Die damalige Prognose vom endgültigen Tod der St. Blasier Freilichtspiele war zwar unzutreffend, die Ahnung einer langen Ruhezeit aber richtig.
Fast vier Jahrzehnte später, am 20., 21. und 22. August 1993, feiert das Projekt Domfestspiele an drei Tagen restlos ausverkaufte, strahlende und befeuernde Auferstehung, auch wenn ein tobendes Gewitter die Sonntagsaufführung am 22. August um eine Woche in die Verlängerung schob.
Drei Zutaten für den Erfolg
Das nun ein Vierteljahrhundert lang bekömmliche Erfolgsrezept kann sich auf drei wesentliche Zutaten stützen: Menschen aus Stadt und weiter Region tragen das Theatergeschehen, machen Bevölkerung und somit potenzielle Zuschauer neugierig. Die Stadtverwaltung mit ihrer Herkulesarbeit, die Pfarrei St. Blasius und das Staatliche Hochbauamt (als handlungsberechtigte Vertretung des baupflichtigen Kircheneigentümers Baden-Württemberg) unterstützen das Projekt und nehmen zeitlich begrenzte Beeinträchtigungen in Kauf. Schließlich ist der Zugriff auf historischen Lokalstoff (eingebettet in überörtliche Querbezüge) der Reiz, aus dem ein Freilichtspiel vor und mit dem Dom seine Anziehungskraft nährt.
Fürstabt Martin II. die Ehre geben
Die für 1993 beschlossene thematische, technische und personelle Runderneuerung der Festspiele ist ihrer Aufgabe anerkanntermaßen gerecht geworden. Nach dem Ausflug in die hohe Theaterliteratur in den anfänglichen 1950er Jahren heißt der wohl unveränderbare Auftrag: Die ehemalige Benediktinerabtei zu würdigen und ihre Geschichte aufzubereiten; dem überragenden Fürstabt Martin II. die Ehre zu geben; und schließlich sich zu verneigen vor den in die Säulen gesprochenen Ewigkeitsworten. Seit einem Vierteljahrhundert (1946 war eine der Zeit und den Umständen geschuldete Sonderleistung) wird das gegenwärtige Modell vom Erfolg getragen.